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Die Wunderläufer in Kenia - Gedanken über's Aufgeben

Die Wunderläufer in Kenia - Aufgeben ist keine Option.
Die Wunderläufer in Kenia - Aufgeben ist keine Option. ©handout / J. Riedmann
Heute möchte ich über die mentalen Fähigkeiten der Eliteläufer schreiben. Ich habe dazu einen Fragebogen verwendet, um einen groben Überblick zeigen zu können.  Spannend wurde es in den Gesprächen danach: Wir sind nämlich auf eine Art psychologischen Wirkstoff gestoßen, der alle Wunderläufer verbindet. Dieser "Wirkstoff" ist für die Sportler offensichtlich wie ein Gegenmittel in schwierigen Zeiten. 
Johannes Riedmann in Kenia III.
NEU
Johannes Riedmann in Kenia II.
Johannes Riedmann in Kenia I.

Zuerst ein paar Gedanken über’s Aufgeben

So manches gibts in unserem Leben,
da liegt das Soll vom Ist daneben.
Du hast alles gut geplant, doch ein zwei Dinge nicht geahnt.
Es fühlt sich an,
als ob man nicht mehr atmen kann.
Dein Herz – es pocht,
dein Schweiß – er tropft.
Willst immer noch Dein Ziel erreichen,
so ist eins klar, jemand muss weichen.
Es tut weh, und ich bin dumm,
denn vor dem Ziel dreh ich nicht um.
Muskeln schreien und haben Sorgen,
aufgeben? Heute nicht, vielleicht MORGEN.

Wie sind die mentalen Fähigkeiten von kenianischen Eliteläufern? Ich weiß inzwischen, dass auch die Läufer aus dem Camp öfters mal ans Ausschlafen denken und gerne im warmen, kuschligen Bett liegen bleiben würden, anstatt auf zu stehen und draußen in der Morgenkälte zu schwitzen. Ich rede mit Mary, Gitonga und Esther, der Marathonsiegerin des Vorjahres (Dreiländermarathon) und sie lachen. Natürlich wollen auch sie mal ausschlafen, aber ihr Wille etwas zu erreichen ist nunmal stärker. Um die mentalen Fähigkeiten der Läufer näher kennen zu lernen habe ich einen standardisierten Fragebogen aus der Sportpsychologie benutzt. Vielen Dank an Dr. Arno Künz (Facharzt für Psychiatrie) für die Unterstützung bei der Suche – es war garnicht so leicht einen geeigneten Fragebogen für einen Überblick zu finden. Ich habe drei Läufer aus dem Camp befragt und den Test auch selber gemacht. Wer Interesse an den eigenen Fähigkeiten in diesem Bereich hat, kann sich gleich seine eigenen Antworten überlegen, bevor man die Ergebnisse liest. Die Fragen kann man hier finden: 

Ein Ja habe ich mit zwei Punkten besetzt, ein Nein mit 0 Punkten und eine Angabe dazwischen mit 1 Punkt. Es ist klar, dass so ein Test nur einen sehr groben Überblick zu den mentalen Fähigkeiten der Sportler geben kann. Und trotzdem bleibt es sehr interessant. Die Ergebnisse von Mary, Gitonga und Esther, der amtierenden Streckenrekordhalterin des Dreiländermarathons in Bregenz, sind:

  • Zielsetzung: volle Punktezahl
  • Vorstellungskraft: volle Punktezahl
  • Selbstvertrauen: volle Punktezahl
  • Motivation: volle Punktezahl
  • Konzentration: volle Punktezahl

Ängste („Blockaden”): Davon haben sie viele. Zum Beispiel haben alle Angst davor sich bei einem großen Event blamieren zu können. Wenn sie zu Beginn des Wettkampfes einen Fehler machen, geben sie an auch nach einingen Kilometern noch daran zu denken. Vor dem Verlieren haben sie auch Angst. Trotzdem scheinen sie so unglaublich inspiriert zu sein, dass sie über all diese Dinge hinweg sehen können.

Der Wirkstoff gegen harte Zeiten

Die härteste Zeit von Gitonga war es, als er sich kurz vor der Stipendienvergabe (die Chance um aus Kenia heraus zu kommen!) verletzte und auch seine bisherigen Erfolge nicht ausreichten, um einen Platz zu bekommen.
Mary hatte ihre schwierigste Phase als sie sehr hart für ihren Traum kämpfte, einmal bei einem internationalen Megaevent einen Halbmarathon unter 70 Minuten zu laufen und ihre Schuhe kaputt gingen. Das Problem: Sie hatte über viele Wochen nicht genug Geld Neue zu kaufen und hatte über diesen ganzen Zeitraum bei jedem Training heftigste Schmerzen. Hinzu kam, dass sie wusste, das alle Kontrahentinnen gute Schuhe hatten und sie dadurch einen riesen Nachteil bekam. 
Auch Esther ging durch ihre Talfahrten, vorallem als sie in eine Leistungsgruppe kam, in der sie jedes Mal Letzte wurde. Das kennt wahrscheinlich jeder Sportler nur all zu gut: du trainierst härter und härter und kommst jedes Mal als zweiter (oder letzter) durchs Ziel, weil das Niveau der Gegner einfach viel zu groß ist. Das kann sehr stark am Selbstbewusstsein eines Sportlers nagen. Es gibt jedoch einen Wirkstoff dagegen.

Was sie antreibt

„Was treibt dich an weiter zu machen?”. Auf diese Frage kann jeder dieser Athleten auf Anhieb antworten. Sie erzählen dann nämlich ihre persönliche Geschichte. Ein Erlebnis, das stark genug war, um sie emotional mit ihrem Sport zusammen zu schweißen. Fast immer ist diese persönliche Geschichte schon in ihrer Kindheit passiert.
Mary erzählt von ihrer Grundschulzeit, als sie einen Läufer gesehen hatte, von dem erzählt wurde, dass er durch seine Leistungen ein Stipendium für Japan bekommen hatte und dort studieren gehen kann. Seither hatte sie für diesen Traum gekämpft einmal selbst dieses Stipendium zu bekommen. Zehn Jahre später hat sie es geschafft und inzwischen ihren Bachelorabschluss in Soziologie gemacht. In den fünf Jahren, in denen sie in Japan trainiert und studiert hatte, hat sie fließend japanisch gelernt.
Gitonga erinnert sich ebenfalls noch ganz genau. Er wurde von seiner Großmutter eingeladen, als er fünf Jahre alt war und sie zeigte ihm die Medaillen seines Vaters. Er war ein Athlet, der in der Region einige Läufe gewonnen hatte. Noch am selben Tag hat er angefangen zu trainieren. Er wollte eines Tages so stark sein wie sein Vater – ja sogar stärker! Wenn Sie ein Sportler sind und diesen Bericht gerade lesen, dann möchte ich Sie nun nach ihrer eigenen, persönlichen Geschichte fragen. Ich glaube die Antwort auf diese Frage ist ganz entscheidend, um schwere Zeiten durchstehen zu können – und die kommen eines Tages, ganz bestimmt!
Die persönliche Geschichte von Esther wird in einem der nächsten Blogeinträge – in einem spannenden Interview mit der amtierenden Streckenrekordhalterin des Dreiländermarathons beschrieben.

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