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"Die Verwerfungen in diesem Land sind tief!"

„Die Pandemie bringt in der Gesellschaft zahlreiche Ängste und Probleme zum Vorschein, die lange unter der Oberfläche brodelten. Verstärkt wurde das alles durch die Politik der vergangenen Jahre“, sagt der Historiker Werner Bundschuh im Gespräch mit WANN & WO.
„Die Pandemie bringt in der Gesellschaft zahlreiche Ängste und Probleme zum Vorschein, die lange unter der Oberfläche brodelten. Verstärkt wurde das alles durch die Politik der vergangenen Jahre“, sagt der Historiker Werner Bundschuh im Gespräch mit WANN & WO. ©Sams
Historiker Werner ­Bundschuh über die Corona-Demos, Social Media, ­Ver­schwörungstheorien und Fake News, raue Rhetorik und ­gewissenlose Politik in Österreich.   

WANN & WO: Herr Bundschuh: Von Bregenz bis Wien gingen am vergangenen Wochenende zigtausende Menschen gegen die Coronamaßnahmen und die Bundesregierung auf die Straße. Dabei das gesamte politische Spektrum von rechtsextrem bis links außen und alles dazwischen. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Werner Bundschuh: Was man dabei sehen muss: Es war ja nicht DIE Demonstration. Das waren ganz viele Demos, die man sich im einzelnen genau anschauen muss. Sehr spannend daran ist, dass sich diese sehr unterschiedlichen Gruppen mit ganz unterschiedlichen Motiven  unter einem Thema finden – und es sich dabei auch nicht nehmen lassen, neben Rechtsradikalen zu marschieren. Ich persönlich würde nie neben einem Gottfried Küssel laufen. Auch wenn mein Anliegen noch so groß wäre. Ich halte dessen politische Agenda für eine Bedrohung unserer liberalen demokratischen Gesellschaft. Aber, und das ist durchaus ein wichtiger und richtiger Punkt, den Sie ansprechen: Der absolut überwiegende Teil der Demonstranten sind selbstverständlich keine Rechtsextremisten, sondern Bürger aus allen Bereichen der Gesellschaft.

WANN & WO: In einem historischen Kontext gefragt: Was geschieht da gerade?

Werner Bundschuh: Um die Moderne zu erklären, braucht es einen Blick auf die französische Revolution und die bürgerlichen Revolutionen. Die saloppe These: Du verstehst in der Gegenwart nichts, wenn du die Vergangenheit nicht kennst. In einer Zeit wie heute, in der so kurzfristig und kurzsichtig gedacht wird, ist das aber ein Problem, das zu vermitteln. Man kann die Welt nicht in Trumpscher Verkürzungsmanier in einem Tweet erklären. Als Historiker versucht man deshalb, das mühsame Geschäft der Aufklärung zu betreiben. Und die ist komplex, vielgestaltig und kostet Zeit. Auch braucht es Zeit, die Entwicklung des Demokratiegedankens durch die Jahrhunderte begreifbar zu machen und weiter zu erklären, wieso das heute in Coronademos so durcheinandergeht.

WANN & WO: Sie haben gerade von „Tweets“ gesprochen. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das ­Thema Social Media?

Werner Bundschuh: Ich bin kein Experte für Social Media, sehe darin aber durchaus ein Problem: Es ist heute ganz leicht, über diese Kanäle Fake News und Weltverschwörungstheorien – beides alte historische Themen – zu verbreiten. Seit der französischen Revolution bis heute gilt: Man braucht einen Sündenbock. Ein Jahrhundertthema, das sich von den Weisen von Zion bis zu Soros und all diesen Verrücktheiten zieht. Die neuen Instrumentarien verbreiten derartige Dinge in Sekundenschnelle – da braucht man eine Kompetenz, um das dekonstruieren zu können. Und es braucht historisch-politisches Wissen. Deshalb halte ich die Einführung von politischer Bildung in den Schulen für enorm wichtig. Überhaupt hängen viele Dinge, die gerade geschehen, mit Bildung zusammen. Manche Ideen, die sich da verbreiten, kann ich nicht nachvollziehen.

WANN & WO: Was zum Beispiel?

Werner Bundschuh: Etwa die Meinung, dass die heutige Situation mit den Geschehnissen in den 1930ern vergleichbar ist. Das sind sehr verquere Vergleiche. Oder die Impfung sei Genozid. Da frage ich mich: Wissen die Menschen überhaupt, was ein Genozid ist? Da wird einfach viel nachgeplappert. Und das geht weiter bis zu jenen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe, die an eine Hohlerde, Reptiloide, etc. glauben – bis hin zu Bill Gates, der uns mit der Impfung irgendwas einpflanzen will. Ich weiß nicht, wie es zu so etwas kommt. Das wäre eine Frage für Herrn Haller. Ich kann nur konstatieren: Diese Gedanken und Ideen sind da und moderne Medien befeuern das. Da kommen wir auch zur Frage nach dem Stellenwert von Wissenschaft in Österreich? Gegenaufklärung war – mit Ausnahme kurzer Phasen – immer schon stärker als Aufklärung. Den Status der Wissenschaft und ihrer Erkenntnisse hochzuhalten, sollte Priorität haben.

WANN & WO: Der Ton wird immer rauer. Wie nehmen Sie aktuell die Rhetorik wahr – auch medial?

Werner Bundschuh: Die gesellschaftliche Spaltung durch derartige Rhetorik ist durchaus eine große Gefahr: Die Impfgegner. Die Schwurbler. Die Covidioten. Die Einen. Die Anderen. Man muss da ganz vorsichtig sein, auseinanderdröseln und differenzieren.

WANN & WO: Ein Thema, das die Wogen zuletzt hoch gehen ließ, war die Ankündigung einer Impfpflicht. Wie sehen Sie das?

Werner Bundschuh: Das ist ein ganz schwieriges Thema, das mit Vernunft angegangen werden muss. Selbstverständlich kann diese Maßnahme im Rahmen der Verfassung in einer Notsituation ergriffen werden. Ich gehöre noch einer Generation an, die verpflichtend gegen die Pocken geimpft wurde. Bis der Staat gesagt hat: Die Gefahr ist gebannt. Natürlich ist eine Impfpflicht eine staatliche Maßnahme, die von vielen abgelehnt wird. Das verstehe ich. Aber dass es geradezu die Pflicht des Staates ist, das für eine gewisse Zeit zu erlassen, um einer pandemischen Situation entgegenzuwirken, dazu bekenne ich mich. In der Diskussion kommt man dann zum Recht der Körperlichen Unversehrtheit oder zum liberalen „Laissez-faire“-Ansatz: Der Staat hat sich nicht einzumischen. In der Realität tut er es aber ständig. Das beginnt beim Autofahren. Da wird rechts vorgegeben. Ich kann ja mal versuchen, links zu fahren. Meine Freiheit – übrigens auch so ein wandelbarer Begriff – endet aber dort, wo die Gefährdung des Nächsten beginnt.

WANN & WO: Ein Schlussgedanke?

Werner Bundschuh: Ich persönlich hätte gehofft, dass diese Pandemie, die ja nicht die erste in der Menschheitsgeschichte ist, nicht dazu führt, dass die EU fraktioniert wird in nationale Egoismen, sondern dass die Vernunft da gewesen wäre, eine globale Pandemie als Herausforderung für ein größeres Gemeinwesen zu verstehen, und sie vernünftig und gemeinsam mit Maßnahmen zu bekämpfen. Aber es hat dazu geführt, dass Dinge, die über Jahre im Verborgenen gebrodelt haben, an die Oberfläche gelangt sind. Und gleichzeitig hatte man Politiker, ich nenne sie nun diese türkise Slimfit-„Clique“, die nur auf Meinungsumfragen schaute und Message Control und all diesen Schwachsinn betrieb. Eine ÖVP, die sich durch eine sehr gewissenlose Machtübergabe an die Erlöserperson Sebastian Kurz von einer christlich-sozialen Fraktion in eine rechtspopulistische Partei gewandelt hat – dem kurzfristigen Erfolg zuliebe. Das wirklich Betrübliche ist zudem, dass Chats oder Ibiza medial zum Aufreger wurden, man bis dahin aber nicht auf das Grundsätzliche geachtet hat. Man darf ja nicht vergessen, dass die Koalition Strache/Kurz in der Tradition Schüssel/Haider stand. Und Strache war ja nicht erst seit Ibiza ein Problem, sondern seine Politik in Tradition eines Haiders – bis zu Kickl heute. Der ist ja nicht blöd, sondern gewissenlos. Das macht die österreichische Politik so schwierig. Und die Verwerfungen im Land sind tief.

Kurz gefragt

Wie lange unterrichten Sie noch? Solange man mich brauchen kann, die Uni der Meinung ist, mir einen ­Lehrauftrag zu geben und meine Gesundheit es zulässt.

Was haben Sie in den letzten 20 Monaten gelernt? Wie schnell eine Pandemie scheinbare Grundfesten einer Gesellschaft ins ­Wanken bringen kann.

Sind Sie Optimist? Mit zunehmendem Alter Realist.

Was erhoffen Sie sich für 2022? Dass die gesellschaftlichen Gräben nicht so groß werden, wie ich es befürchte.

Zur Person

  • Dr. Werner Bundschuh
  • Alter: 70 Jahre
  • Wohnort: Dornbirn
  • Beruf/Funktion AHS-Lehrer in Pension, seit 1981 Obmann der ­Johann-Malin-Gesellschaft, bis 2016 Mitarbeiter „erinnern.at“, seit 1982 Lehrbeauftragter am Studienzentrum Bregenz; Sachbuchautor

(WANN & WO)

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