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Die Kiste der Erinnerung öffnen

In seinem Buch erzählt Aly El Ghoubashy von den Erfahrungen eines arabischen Menschen, der nach Europa kommt.
In seinem Buch erzählt Aly El Ghoubashy von den Erfahrungen eines arabischen Menschen, der nach Europa kommt. ©Verena Kogelnig
Ein Gespräch mit dem Architekten, Lehrer und Autor Aly El Ghoubashy.
Der blaue Kranich von Aly El Ghoubashy

Feldkirch „Der blaue Kranich“ war das Flugzeug, das ihn von Ägypten nach Europa trug. Im Mai erschien nun das erste Buch des Architekten, Künstlers und Lehrers Aly El Ghoubashy unter ebendiesem Titel. In zahlreichen kurzen Kapiteln, die oft nicht länger als ein Absatz sind, fängt er Erinnerungen, Beobachtungen und Einsichten ein. Seine zugängliche Sprache ist durchflochten von einer Poesie, die nach arabischem Fladenbrot und Schwarztee duftet. Als ein Architekt der Seele umreißt er den Bauplan der Menschen, die er beobachtet. Selbst die kürzesten Kapitel mit nicht mehr als zwei Sätzen umzeichnen das Wesentliche, nach dem sich unsere Leben ausrichten, seien wir nun Deutsche, Österreicher oder Ägypter. Fernweh und Heimweh, fehlgeschlagene Kochversuche und Terrorismusverdachte, kulturelle Unterschiede in Warteschlangen und allerlei Absurditäten des Alltags beschäftigen ihn – und immer wieder die deutsche Sprache und was es bedeutet auf Deutsch zu dichten und Bus zu fahren, zu lieben und Kartoffeln zu kochen.

Frage: Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Aly El Ghoubashy: Drei Jahre habe ich daran geschrieben. Es waren Fragmente. Ich hatte schon alte Texte aus der Zeit, als ich Deutsch lernte und auf die Uni ging. Ich schrieb und revidierte, wenn sich meine Meinung veränderte.

Frage: In dem Buch sind Zeichnungen von Ihnen. Sie malen auch?

El Ghoubashy: Man kann sagen, Malen und Schreiben sind meine Leidenschaft. Ein Bild im Buch war Teil meiner Doktorarbeit. Es entstand aus den Überlegungen, was Architekten in unseren Ländern kaputt machten. Mein Studium war westlich orientiert. Wir setzten uns wenig mit Tradition und der eigenen Bauweise auseinander. Ich war im Irak, in Libyen und habe viel gesehen: wie die Leute selbst bauen und welch raffinierte Techniken sie verwenden. Diese Leute beachten die Natur, das Klima, die Bautradition.

Frage: Wo lebten Sie zuerst, als Sie nach Europa kamen?

El Ghoubashy: Anfangs lebte ich in Deutschland, dann in Österreich. Ich kam her, um einen Teil meiner Doktorarbeit abzuschließen und euch zu sehen und zu erleben.

Frage: In Ihrem Schreibstil wechseln Sie die Perspektive. Sie sprechen ein Du an, ein Gegenüber, schreiben dann aus der Ich-Perspektive? Was steckt dahinter? Ist der Text denn autobiographisch?

El Ghoubashy: Im Grunde geht es um mich, aber es geht auch um die anderen. Die anderen könnten auch solche Erfahrungen machen, solche Situationen erleben. Es kann einem so gehen – einem Ausländer oder Fremden. Aber ich habe alles erlebt und theoretisch könnte ich vier oder fünf Bücher schreiben.

Frage: Schrieben Sie die Texte auf Deutsch oder auf Arabisch?

El Ghoubashy: Es ist ein Wechselspiel zwischen beiden Sprachen. Manche Texte schrieb ich auf Arabisch, manche auf Deutsch. Für mich war es jedoch wichtig, die arabische Ausdrucksweise, den Flair ins Deutsche zu übertragen. Ich glaube nicht, dass ein deutschsprechender Mensch so schreibt. Das ist ein Fremder. Und das war Absicht. Wenn ich auf Arabisch schreibe, sagen mir wiederum manche Freunde, dass mein Arabisch ein bisschen anders ist – aufgrund meiner Reise durch die deutsche Literatur.

Frage: Worum geht es Ihnen mit dem Buch?

El Ghoubashy: Fragen Sie mich besser, woher ich komme… Meine Vergangenheit wird plötzlich gegenwärtig. Sie begleitet mich. Eine tiefe Auseinandersetzung mit anderen Kulturen ist gleichzeitig eine Frage an dich: Wer bist du? Welche Werte hast du? Wie würdest du die Probleme der arabischen Welt lösen? Das Schreiben war, wie die Kiste der Erinnerung zu öffnen. Es war nicht meine Absicht, chronologisch zu schreiben. Man springt von der Vergangenheit zur Gegenwart. Das Spiel dieses Springens in der Zeit hat mir viele Türen geöffnet.

Frage: Die Integration ist ein aktuelles Thema – ging es Ihnen mit Ihrem Buch auch darum?

El Ghoubashy: Diese politische Diskussion habe ich auf der letzten Seite behandelt. Wer mich sehen will, soll mich so betrachten, wie er will: als Migrant, mit MigrationsHINTERgrund oder als Fremder, Flüchtling. Fremd sein sollen die anderen – ich fühle mich nicht fremd. Ein wichtiger Punkt, dieses Buch zu veröffentlichen war, dieser politischen Debatte eine andere Richtung zu geben. Es ist ein literarischer Beitrag von mir. Ich hatte jedoch nicht vor, die politische Meinung mancher zu verändern. Literatur hat nicht den Auftrag, die Einstellungen der Menschen zu verändern. Aber es geht mir darum, den Lesern zu erklären und zu zeigen, woher diese Menschen, von denen ich schreibe, kommen. Sie haben auch ihre Kultur, ihre Geschichte, eine reiche Vergangenheit.

Aly El Ghoubashy studierte Innenarchitektur in Ägypten. Anfang der 1980er Jahre kam er nach Österreich, um seine Doktorarbeit hier abzuschließen. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. Heute lebt er in Feldkirch und unterrichtet am Gymnasium Schillerstraße die Fächer Kunsterziehung und Deutsch als Fremdsprache. Sein Buch „Der blaue Kranich“ erschien im Novum Verlag. VKO

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