Die drohende Unmündigkeit

Macht, Recht und Demokratie am Arbeitsplatz im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz.
Hauptberater in Brüssel
Paul Nemitz, geboren 1962 in Bonn, deutscher Staatsangehöriger, ist Hauptberater in der Generaldirektion für Justiz und Verbraucher der Europäischen Kommission. Er wurde im April 2017 ernannt, nachdem er sechs Jahre lang als Direktor für Grundrechte und Bürgerrechte in derselben Generaldirektion tätig war. Als Direktor leitete Nemitz die Reform der Datenschutzgesetzgebung in der EU (DSGVO), die Verhandlungen über das EU-US Privacy Shield und die Verhandlungen mit großen US-Internetunternehmen über den EU-Verhaltenskodex gegen Aufstachelung zu Gewalt und Hassreden im Internet.
Die Kämpfe um Macht in der Gesellschaft sind wieder aufgeflammt. Verantwortlich ist der technologische Fortschritt. Paul Nemitz, der die Reform der Datenschutzgesetzgebung auf EU-Ebene leitete, appelliert daher, genauer hinzusehen. „Macht und Gegenmacht sind Themen, die wir im Zeitalter der künstlichen Intelligenz neu thematisieren müssen“, sagt der Chefberater der EU-Kommission im Bereich Justiz und Verbraucher bei der Wissenschaftskonferenz in der Schafferei der Arbeiterkammer. Am Abend war er zu Gast bei Vorarlberg LIVE.
Die ganze Sendung:
Auswirkungen nicht abschätzbar
Wie Digitalisierung am Ende konkret auf Demokratie und Gesellschaft wirkt, sei noch nicht abschätzbar. „Was sind die Folgen für Beschäftigung, Lohnniveau und Qualifizierung, wenn Künstliche Intelligenz in einen Betrieb einzieht?“, stellt Nemitz nur eine von vielen Fragen. Er könne nicht vorhersagen, welche Jobs bedroht würden oder ob sich Produktionen auf Grund des technologischen Fortschritts gar wieder in EU-Länder wie Deutschland und Österreich zurück verlagerten.
Es sei daher unabdingbar, sich mit den Folgen der Technik auseinanderzusetzen. „Die Frage ‚Müssen wir hier regulieren‘ ist hochpolitsicher Natur.“ Schließlich formuliere die Technologie selbst keine Regeln für die Gesellschaft. Die Künstliche Intelligenz vergleicht er mit der Atomkraft: "Sie hat interessante Potenziale, aber birgt auch gewaltige Gefahren. Daher müssen wir in die Zukunft schauend regulieren." Die Fehler der Vergangenheit dürften nicht wiederholt werden. "Wir haben eine lange Zeit der Unterregulierung des Internets hinter uns mit nicht erfreulichen Folgen", erinnert Nemitz unter anderem daran, wie sich Hass und Gewalt in Europa auf Grund des unregulierten Kommunikationsumfeldes verbreitet hätten.
In die "Black Box" schauen
Umso wichtiger sei es, die neuen Technologien zu verstehen. Schließlich „nehmen sie uns nicht nur die physische Arbeit ab, sondern versuchen uns auch in unserem Denken zu verstehen, zu kontrollieren und zu manipulieren“. Ziel der Künstlichen Intelligenz sei es den Menschen zu verbessern, ergänzen oder zu ersetzen. „Überall, wo gesellschaftlich relevante Entscheidungen getroffen werden, müssen wir genau verstehen, wie die Systeme funktionieren“, betont Nemitz. Die „Black Box“ dahinter gehöre geöffnet. Ansonsten befänden wir uns zurück auf dem Weg in die selbstverschuldete Unmündigkeit.
Regulierung gefordert
Entsprechende Rechtsetzung und Regulierung sei Ziel der EU-Kommission. Rechtsakte wie jene zum Datenschutz, zum E-Commerce oder zur Regulierung der Künstlichen Intelligenz dienten schließlich dem Interesse einer florierenden Wirtschaft aber auch einer funktionierenden Demokratie und Gesellschaft, in der die Grundrechte unter Bedingung der neuen Technologien geachtet werden. Aussagen wie jene von John Perry Barlow in den 90er-Jahren, wonach Regierung, Parlamente und Gesetzgeber im Raum des Internets keine Legitimität hätten, seien überholt, ist Nemitz überzeugt. „Das große Freiheitsversprechen des Internets wurde nicht erfüllt“, sondern habe vielmehr zu neuen Machtkonzentrationen geführt.
Die Sendung "Vorarlberg LIVE" ist eine Kooperation von VOL.AT, VN.at, Ländle TV und VOL.AT TV und wird von Montag bis Freitag, ab 17 Uhr, ausgestrahlt. Mehr dazu gibt's hier.
(VOL.AT/VN)
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