Edi Stöhr steht gedankenversunken auf dem Spielfeld des Ernst-Happel-Stadions. Minutenlang verzieht der Deutsche keine Miene, sein Blick läuft ins Leere. Um ihn herum trainieren seine Spieler, doch davon nimmt er in diesem Augenblick nichts wahr. Er wirkt in sich gekehrt, fast in eine andere Welt entrückt. Die Momentaufnahme erinnert an den 8. Juli 1990 damals schlenderte der frischgebackene Weltmeister-Trainer Franz Beckenbauer über den Platz des Römer Olympiastadions und blendete den siegestrunkenen Freudentaumel seiner Mannen aus. Für den scheidenden Austria-Coach ist das heutige Cup-Finale wohl das, was für Beckenbauer seinerzeit das WM-Endspiel war.
Sascha Boller mit Flugangst
Der Weg ins Wiener Ernst-Happel-Stadion war lang für Stöhrs Austria. Das gilt in Sachen sportliche Qualifikation für das Endspiel, die über die beiden Bundesligisten Austria Wien und Kapfenberg führte, wie fast gleichermaßen für die Anreise an den Final-Spielort. Die nämlich begann am Samstagmorgen um 5.30 Uhr vor dem heimischen Reichshofstadion. Oder besser gesagt: hätte um 5.30 Uhr beginnen sollen. Denn die Abreise zum Flughafen Friedrichshafen verzögerte sich. Der ein oder andere Spieler hatte den Pass vergessen. Ein anderer Spieler hatte verschlafen. Ich fand das herrlich und musste herzhaft schmunzeln, gesteht ein zu diesem Zeitpunkt noch gelöster Stöhr im Gespräch mit der NEUE am Sonntag, das in der Lobby des Hotel Pyramide unweit der Shopping City Süd stattfindet. Es ist 15.03 Uhr knapp drei Stunden vor anfangs beschriebener Szene im Happel-Stadion. Superstar Sascha Boller ist zu diesem Zeitpunkt wieder gelöst. Wieder, weil der 27-Jährige einen für ihn sehr unangenehmen Teil des Projekts Pokalsieg hinter sich gebracht hat: den Hinflug. Ich habe Flugangst und bin sehr froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Sein Coach unterstreicht: Ich wusste davon. Dass seine Angst aber so intensiv ist, war mir nicht bewusst.
Dem Erlebnis angemessen
Die Tortur war für Boller nach etwas mehr als einer Stunde Flugzeit um kurz vor halb 9 Uhr vorbei, da nämlich landete die Mannschaft am Wiener Flughafen. Gegen halb zehn war die Austria im Hotel. Auf das Team wartete jetzt das Frühstück, anschließend zogen sich alle auf ihr Zimmer zurück. Um 13.30 Uhr wurde das Mittagessen serviert Fisch mit Kartoffeln. Die Stimmung in der Mannschaft ist gut, wie Urgestein Harald Dürr erklärt: Im Moment fühlt es sich nicht anders wie vor einem Erste-Liga-Spiel an. Boller bekräftigt: Wir halten alle unsere gewöhnlichen Vorbereitungsrituale ein. Wobei der Ablauf dieses Mal schon anders ist, weil wir zuletzt zu den Auswärtsspielen immer erst am Spieltag angereist sind. Stöhr hatte für die Beibehaltung dieses Szenarios plädiert und wollte erst am Sonntag nach Wien fliegen. Ich wäre dafür gewesen, spät möglichst anzureisen, schnell was zu essen und den Cup mitzunehmen. Aber die Mannschaft wollte das Stadion kennenlernen. Selbstverständlich habe ich mich nicht gegen diesen Wunsch gestellt, zumal diese Handhabung dem Erlebnis angemessen ist.
Kollektiv muss funktionieren
Den Matchplan für das heutige Cup-Finale hat der Trainer längst im Kopf. Wir wollen hoch verteidigen und Ried früh attackieren. Wir sind keine Mannschaft, die sich hinten rein stellt, das passt nicht zu uns. Freilich wird es aber auch Spielphasen geben, in denen wir reagieren müssen. Aber wenn wir im Ballbesitz sind, werden wir den Raum zum gegnerischen Tor rasch überbrücken. Keiner vermag dies bei der Austria besser als Sascha Boller. Der macht sich ob dieser Tatsache aber keinen Druck: Ich gehe locker ins Spiel und werde mein Bestes geben. Natürlich werde ich versuchen, der Partie meinen Stempel aufzudrücken. Aber das versuche ich immer. Und das mit Erfolg: In der Wahl zum besten Spieler der Liga belegte er den zweiten Rang. Doch sein Trainer stellt klar: Es wird gegen Ried darauf ankommen, dass wir als kollektiv funktionieren. Einer alleine wird es nicht richten können.
Der Ablauf im Überblick
Und so läuft der Sonntag: Bis 9.30 Uhr können die Spieler frühstücken, danach gehts ab zum Training, das in Wiener Neudorf nahe Mödling stattfindet. Um 12.30 Uhr wartet das Mittagessen. Anschließend ziehen sich die Spieler ein letztes Mal auf ihr Zimmer zurück. Um 14.30 Uhr trifft sich die Mannschaft zu Kaffee und Kuchen, bei dieser Gelegenheit findet auch die Spielbesprechung statt. Dann werden sich die Grün-Weißen zum Stadion aufmachen. Um 16.30 Uhr ist Ankick und gegen 18.20 Uhr dürfen sich die Austrianer hoffentlich österreichischer Cupsieger nennen. Vielleicht steht Edi Stöhr dann wieder gedankenversunken auf dem Platz des Ernst-Happel-Stadions.
(NEUE am Sonntag/Hannes Mayer)
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