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Das Fastentuch - Vergessenes Zeugnis volkstümlicher Frömmigkeit

Das Fastentuch in der Pfarrkirche Haselstauden beeindruckt mit seiner imposanten Darstellung des Leidensweges Christi.
Das Fastentuch in der Pfarrkirche Haselstauden beeindruckt mit seiner imposanten Darstellung des Leidensweges Christi. ©Bernhard Tost
Ein prachtvolles Fastentuch verhüllt den Altar in der Haselstauder Kirche.

Dornbirn. Seit Aschermittwoch verhüllt das vom Dornbirner Künstler, dem akad. Maler Prof. Gerhard Winkler eindrucksvoll gestaltete Fastentuch den Altar in der Pfarrkirche „Zu Unserer Lieben Frau Maria Heimsuchung“ in Haselstauden. Das künstlerisch wertvolle Werk ist mit Ölfarbe auf einem Baumwollrips gemalt, hat eine Gesamtgröße von 462 x231cm ist in 18 Einzelbilder in der Größe 77×77 cm unterteilt und besticht durch imposante Farbgebung. Das Fastentuch folgt inhaltlich dem gängigen Schema des 16. Jahrhunderts, stellt auf anschauliche Art den Leidensweg Christi dar und beeindruckt durch seinen Detailreichtum. Hervorzuheben ist die starke Aussagekraft der Bilder sowie das gute Gespür des Künstlers für den Raum.

Mehr als ein alter Brauch

Die christliche Fastenzeit dauert von Aschermittwoch bis Karsamstag. Sie ist für die Gläubigen eine Zeit der Entsagung, Buße und Besinnung zur Einstimmung auf das Osterfest. Im 11. Jahrhundert wird erstmals von dem Brauch berichtet, in der Fastenzeit Altäre, Reliquien, Bilder, ja ganze Altarräume mit großen Tüchern zu verdecken. Sie wurden im Chor aufgehängt, um der Gemeinde den Blick auf das Allerheiligste zu verwehren. Diese Textilien nannte man Fastentücher (Velum quadragesimale), aber auch Hungertücher. „Die Verhüllung war für die mittelalterlichen Gläubigen eine Bußübung. Sie verzichteten auf den Augenschein der Heiligen Messe. Zur körperlichen kam die eucharistische Abstinenz. Die Redewendung „am Hungertuch nagen“ für „ärmlich leben“ geht zumindest indirekt auf den Fastentuch – Gebrauch zurück“, erläutert Prof. Winkler diese in Vergessenheit geratene Gepflogenheit. Die volkstümlichen Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament dienten zur Glaubensunterweisung der Gemeindemitglieder. Wie die synoptischen Evangelien berichten, zeriss der Vorhang im Tempel im Augenblick des Todes Jesu entzwei (Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45). Das vor dem Altar hängende Tuch symbolisierte den Vorhang im Jerusalemer Tempel. Es wurde am Mittwoch in der Karwoche, am Karfreitag oder vor der Ostervigil abgenommen, um die Befreiung aus Sünde und Tod durch den Kreuzestod Jesu anzudeuten.

Reformatorischer Bildersturm

Einst in Europa weit verbreitet, sind Fastentücher unter anderem durch den reformatorischen Bildersturm selten geworden. Erhalten geblieben sind einige dieser Zeugnisse mittelalterlicher Frömmigkeit nur noch in Tirol, im Münsterland und in Teilen der katholischen Schweiz. Gerade im Alpenraum war die Tradition der Fastentücher weit verbreitet. Oft bestanden sie aus mehreren horizontalen miteinander vernähten Streifen, auf denen religiöse Szenen wiedergegeben wurden. Die churrätischen Kirchen mit ihren spätgotischen Flügelaltären nehmen eine besondere Stellung ein. „Um keinen Blick auf das Allerheiligste zu erlauben, werden die Flügel der Altäre geschlossen und erst am Karsamstag wieder geöffnet“, wie dem Buch „Spätgotische Flügelaltäre in der Ostschweiz und Liechtenstein“ zu entnehmen ist. In der Neuzeit wurde die Tradition des Fastentuchs erst durch die Aktion „Misereor“ 1976 wieder neu belebt. So bedeutet das kunstvolle Fastentuch „Wie die göttliche Liebe uns die Gnade gebracht“ in der Pfarrkirche Haselstauden eine Rarität In Vorarlberg. (BET)

Quellennachweis: Flyer: Das Fastentuch in der Pfarrkirche Haselstauden ; Prof. Gerhard Winkler; Bucher Druck und Verlag Hohenems.

Ferdinand R. Prostmeier: Kleine Einleitung in die synoptischen Evangelien.

Herder Verlag ISBN- 10 / 3451200561 (2006)

Die Bibel: Mathäus 27,51; Markus 15,38 und Lukas 23,45.

Rainer Sörries: Die alpenländischen Fastentücher; Universitätsverlag Carinthia, Klagenfurt 1988

Spätgotische Flügelaltäre in Graubünden und im Fürstentum Liechtenstein; Herausgegeben von Astrid von Beckerath; Marc Antoni Nay; Hans Rutishauser;

Red.: Armon Fontana

Verlag: Bündner Monatsblatt / Kantonale Denkmalpflege GR

 

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