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D: Schröder verliert Vertrauensvotum

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Vertrauensabstimmung im Deutschen Bundestag wie von ihm angestrebt verloren. Bei der namentlichen Abstimmung stimmten 151 Abgeordnete mit Ja, 296 mit Nein.

148 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Kanzler Schröder kann nun Bundespräsident Horst Köhler um die Auflösung des Parlaments und eine Neuwahl bitten.

Schröder erhielt bei der Abstimmung um 150 Stimmen weniger als die Kanzlermehrheit von 301 Stimmen. Schröder sowie die Minister seines Kabinetts mit Bundestagsmandat hatten bereits zuvor mehrheitlich angekündigt, sich bei der Vertrauensfrage der Stimme zu enthalten. Denselben Schritt hatte SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering seinen Fraktionskollegen empfohlen. Eine Mehrheit der Grünen wollte Schröder dagegen das Vertrauen aussprechen. Union und FDP hatten angekündigt, dem Kanzler das Vertrauen zu versagen.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz will hingegen gegen die vorzeitige Auflösung des Bundestages notfalls vor das deutsche Verfassungsgericht in Karlsruhe ziehen. „Ich werde notfalls, falls die Auflösung passieren sollte, Verfassungsklage einreichen“, kündigte der frühere DDR-Bürgerrechtler nach dem Votum an. Er habe ein Gespräch mit dem Bundespräsidenten gehabt, und werde dessen Entscheidung abwarten. Die Debatte am Freitag über die Vertrauensfrage habe ihn darin bestätigt, dass die Vertrauensfrage eine Farce gewesen sei.

Nach Auffassung von Innenminister Otto Schily (SPD) verstößt der von Schröder eingeschlagene Weg, über eine Vertrauensfrage zu Neuwahlen zu kommen, nicht gegen das Grundgesetz. Dies sei „verfassungsfest“, sagte Schily am Freitag unmittelbar nach der wunschgemäß negativ ausgegangenen Abstimmung dem ZDF. Die Entscheidung Schröders sei „mutig, fair und souverän“. Das deutsche Grundgesetz sieht keine Selbstauflösung des Parlaments vor.

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) kündigte unmittelbar nach der verlorenen Vertrauensfrage einen „heftigen Wahlkampf“ an. Bei einer Bundestagswahl am 18. September sei noch nichts entschieden, auch wenn die Umfragewerte gegen Rot-Grün sprächen, sagte Fischer im ZDF. Er hoffe, dass es jetzt keine „Hängepartie“ bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser absichtlich verlorenen Vertrauensfrage gebe.

Bundespräsident Köhler hat nun drei Wochen Zeit, über die Auflösung des Bundestages zu entscheiden. Der Kanzler wollte unmittelbar nach der Abstimmungsniederlage beim Präsidenten formal die Auflösung des Parlaments beantragen. Als Datum für die Neuwahlen streben alle im Bundestag vertretenen Parteien den 18. September an.

Hintergrund: Köhler legte sich mehrfach mit dem deutschen Kanzler an

Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler ist im Berliner Politikbetrieb ein Quereinsteiger. Er versteht sich aber als politischer Präsident, der auch Kontroversen nicht aus dem Weg geht. Wird er das auch bei der schwierigsten Entscheidung seiner an diesem Freitag genau einjährigen Amtszeit wieder beweisen? Nur er kann jetzt darüber befinden, ob er Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf dem Weg zu einer vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst folgen will oder nicht.

Mit dem Kanzler hat sich der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF/IMF) schon einige Male angelegt. So durchkreuzte er Schröders Plan, den Nationalfeiertag vom 3. Oktober auf einen Sonntag zu verlegen und damit einen freien Tag einzusparen. Des Kanzlers Informationspolitik bei dem Neuwahl-Plan gefiel dem Staatsoberhaupt auch nicht. Köhler erfuhr davon aus dem Fernsehen.

Als angebliche Zitate aus einer vertraulichen Unterredung mit dem Kanzler in den Medien auftauchten, hagelte es aus dem Regierungslager so heftige Angriffe auf den ersten Mann im Staate, dass Schröder die Notbremse ziehen musste. Er pfiff seine Parteifreunde zurück, um Schaden vom Amt fern zuhalten.

Der von Union und Liberalen zum Nachfolger des SPD-Manns Johannes Rau gewählte Köhler begrüßte zwar Schröders Reformpläne mehrfach. Einige seiner Reden wurden aber aus dem rot-grünen Lager als einseitig wirtschaftsliberal oder zu konservativ kritisiert. CDU/CSU und FDP hatten Köhlers Wahl als „Signal“ für den Machtwechsel in Berlin bejubelt.

Der Bundespräsident selbst hat es nun in der Hand, ob er den Weg zu einem Regierungswechsel ebnet oder nicht. Zeit zum Überlegen hat er genau drei Wochen. Für Ende Juli hat er seinen Urlaub im Bayerischen Wald gebucht. Spätestens am 22. Juli muss er seine Entscheidung bekannt geben.


Stichwort: Vertrauensfrage in Deutschland

Köhler: Prüffrist ausschöpfen

Auszüge aus der Schröder-Rede

Stimmen aus der Debatte

Verfassungsrechtler uneins

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