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Corona-Leugner bestätigt

©APA/AFP/ALEX HALADA
Gastkommentar von Johannes Huber. Die Regierung orientiert sich nicht mehr am Infektionsgeschehen. Das kann man machen. Aber nicht klammheimlich.

Ja, „Corona-Leugner“ ist eine Bezeichnung, die man definieren muss: Gemeint sind hier Leute, die meinen, wir seien seit einem Jahr eher nur mit einer ganz gewöhnlichen Grippe konfrontiert; die daher nur widerwillig zu Hause bleiben oder eine Maske tragen; und die aus all diesen Gründen alle Beschränkungen genauso ablehnen wie die Regierung, die ebendiese verhängt.

Eine Zeit lang hat das virologische Quartett, also Bundeskanzler Sebastian Kurz, Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Vizekanzler Werner Kogler und Innenminister Karl Nehammer, behauptet, fünf Prozent der Bevölkerung halte sich nicht an die Maßnahmen. Heute sind es so viele, dass Lockdowns laut Kurz sinnlos geworden sind: Sie würden nichts mehr bringen. Da ist wohl etwas dran.

Der Beitrag der Regierung kann kaum überschätzt werden: Anfangs hat sie Beschränkungen mit dem ausschließlichen Ziel begründet, die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Das war plausibel: Spätestens im Herbst hat man gesehen, dass sie schnell außer Kontrolle geraten können; dass es dann plötzlich sehr viele Intensivpatienten und auch Corona-Tote gibt.

Heute treten Kurz, Anschober, Kogler und Nehammer nicht mehr als virologisches Quartett auf. Das ist bezeichnend: In den vergangenen Wochen haben sie eine radikale Kursänderung vorgenommen. Steigende Infektionszahlen spielen plötzlich nur noch eine untergeordnete Rolle. Mediziner mögen aufgrund der Entwicklungen vor Lockerungen warnen, das wird aber nicht einmal mehr ignoriert. Der dritte Lockdown wurde beendet, und sogar eher als mit Impfungen beschäftigt man sich zusammen mit Wiens Bürgermeister Michel Ludwig mit der Frage, wann und wie Schanigärten demnächst wieder öffnen könnten.

Auch eine solche Strategie wäre begründbar. Sie entspricht ziemlich genau der schwedischen, wonach trotz Corona ein bisschen Normalität möglich sein muss. Ist ja logisch: Auf Dauer führt alles andere zu gigantischen Kollateralschäden. Laut einer Untersuchung der Donau Uni Krems und der MedUni Wien leiden hierzulande schon 56 Prozent der Schülerinnen und Schüler unter einer depressiven Symptomatik, die Hälfte unter Ängsten, ein Viertel unter Schlafstörungen. 16 Prozent haben zudem täglich oder an mehr als der Hälfte der Tage suizidale Gedanken. Hunderttausende Ältere stehen ohne Job da, tausende Unternehmen sind geschlossen, zu viele werden wohl nie wieder aufsperren. 

Das gehört jedoch ausgesprochen von der Regierung: Wenn sie bei steigenden Zahlen nur einfach so weiter lockert, ohne zu erklären, dass es nun nicht mehr allein darum geht, Corona-Sterbefälle und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern, sondern auch einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenbruch, wird das verhängnisvoll. Nicht zuletzt auch für sie selbst: Dann könnten sich die eingangs erwähnten Leugner bestätigt fühlen, die schon immer gesagt haben, dass die Beschränkungen einfach nur übertrieben seien und überhaupt alles nur Lug und Trug sei.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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