Wer sich wundert, dass Herbert Kickl noch immer von der Coronapolitik redet und auf einer Pressekonferenz diese Woche etwa von einem „zweiten Jahrestages des Lockdowns für Ungeimpfte“ sprach, erhält hier die Antwort: Gut die Hälfte der Wähler seiner Partei, der FPÖ, gibt an, dass das Geschehene nach wie vor Einfluss auf ihr Wahlverhalten habe. Das hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Unique Research“ für das Nachrichtenmagazin „Profil“ ergeben. Man könnte auch sagen: Gesundheitlich mag die Pandemie vorbei (bzw. „Normalität“ geworden) sein, politisch ist sie es nicht. Da ist sie nach wie vor etwas, was Kickl boostert.
Umso mehr kann man sich über Bundeskanzler Karl Nehammer wundern: Als ÖVP-Obmann ist ihm wohl kaum entgangen, dass das Ganze neben dem unrühmlichen Abgang von Sebastian Kurz ein entscheidender Grund dafür ist, dass die Volkspartei abgestürzt ist. Kurz-Anhänger sind zu den Freiheitlichen zurückgekehrt. Und zwar eben auch, weil nur diese sagen, was sie hören wollen: „Der Lockdown für Ungeimpfte war ein Unrecht, die Impfpflicht ein unverzeihliches Vergehen.“
In einem Moment zu Beginn dieses Jahres hat Nehammer erkannt, dass er unter diesen Umständen handeln muss. Also hat er einen „Versöhnungsprozess“ angekündigt. Er wolle jetzt die Hand ausstrecken – „auch zu all jenen, die sich durch die Pandemie und ihre Folgen nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft willkommen gefühlt haben“, sagte er. Die „Krone“ schrieb, worum es ihm in Wirklichkeit ging: Er werbe um Impfgegner und wolle so Wähler zurückholen.
Es ist nicht so, dass gar kein Prozess laufen würde. In der Akademie der Wissenschaften wird nach wie vor analysiert, was geschehen ist. Gegen Jahresende soll ein Bericht vorgelegt werden. Er aber wird politisch kaum noch etwas bewirken können. Grund: Es ist jetzt zu lange nichts geschehen. Das hat dazu geführt, dass Kickl Coronaleugner und Maßnahmengegner eng an sich binden konnte. Dass es wenig glaubwürdig ist, wenn sich Nehammer nach langer Zeit wieder einmal zu Wort meldet zum Thema.
Es bräuchte keine großen Studien, um herauszufinden, wo die Probleme liegen. Die Pandemie war zunächst ein Ausnahmezustand, in dem Freiheitsrechte in ungewohnter Weise Nachrang hatten. Die Regierung war überfordert. Das erspart ihr aber nicht den Vorwurf, Bürgerinnen und Bürger zu lange wie Befehlsempfänger behandelt zu haben; zu wenig darauf geachtet zu haben, auf Augenhöhe mit ihnen zu kommunizieren und unterschätzt zu haben, welcher Eingriff in die Persönlichkeitssphäre die Impfung für sehr viele Menschen darstellt; dass man sich diese Leute zu Gegnern macht, wenn man sich darüber hinwegsetzt.
Ja, jeder macht einen Fehler. Nehammer, Werner Kogler, Alexander Schallenberg, Karoline Edtstadler und Co., die in der Regierung eine Rolle spielen, haben es jedoch verabsäumt, das glaubwürdig einzugestehen und damit einen echten Versöhnungsprozess zu ermöglichen.
Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik
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