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Built for Comfort

Feine Nuancen betonen die Geometrie des Gebäudes – ein regelmäßiger Würfel – und seinen kräftigen und reinen Körper.
Feine Nuancen betonen die Geometrie des Gebäudes – ein regelmäßiger Würfel – und seinen kräftigen und reinen Körper. ©archphoto.com/EH+IL
Lustenau - Wird heute etwas – ein Haus oder ein Auto – als komfortabel bezeichnet, so ist damit die üppige Ausstattung zum Wohlbefinden des Kunden angesprochen.
Millennium Park: Haus 2226

Komfortabel bedeutet – so heißt es im zeitgenössischen Duden – „mit allen Bequemlichkeiten des modernen Lebensstandards ausgestattet.“ Das sind all die Vorrichtungen, die uns versorgen, das Leben erleichtern, Tätigkeiten abnehmen und freie Zeit und Kontrolle mehren – was kann nicht alles schon vom Bildschirm erledigt werden. Diese Erleichterung hat ihren Preis: Die Apparate beanspruchen immer mehr Zeit, ihre Komplexität erfordert immer mehr Spezialisten, der finanzielle Aufwand steigt.

Am Anfang des modernen Bauens um 1900 steht die Beschäftigung mit dem Wohnkomfort. Das Buch „Das englische Haus“ von Hermann Muthesius war richtungsweisend. Da stellte er neue Bauten dieses Landes vor und pries den „komfortablen Gebrauch“ als Leitbild. Was wollte diese Erneuerungsbewegung, warum der Blick nach England, was machte englischen „Comfort“ so neuartig?

Ein lebenspraktischer Zug zieht sich durch die englische Kultur. Um ein Ganzes, den Menschen und seine Dinge, ihr Verhältnis und die davon ausgehenden, positiven Empfindungen geht es – das ist „Comfort“. Ermutigen, aufmuntern, Unannehmlichkeiten lindern, das Leben erleichtern, beschwichtigen, besänftigen – so wird „to comfort“ auch übersetzt. Wir als Ganzes samt unserem Tun sind gemeint. Schaffen und Schönheit in englischen Gärten zeigen das. Etwas Wohltuendes, Unaufgeregtes, fast Lässiges ist dem englischen „comfort“ eigen. Das Piepsen und Summen, Klingeln und Brummen technischer Apparate ist da unerheblich.

Kann das ein modernes Haus noch? Lässt sich heute so bauen? Ja, doch, sagt der Architekt Dietmar Eberle und stellt ein Haus ins Ländle, das genau das verspricht: Sein Haus „2226“ ist ein „Haus ohne Technik“. Ein Haus für Büros, darunter sein eigenes Architekturbüro, gemeinsam genutzte, soziale Räume und eine Galerie. Die Zahl „2226“ besagt, dass Raumtemperaturen von 22–26 °C garantiert sind – und das ohne Heizung, Kühlung und Lüftung. Mit Wänden aus Ziegel und Kalkputz, Fenstern in Massivholzrahmen, Steinböden und –decken: Ziemlich lässig!

Zwei Einschränkungen: Ganz ohne Steuerung und Elektronik geht’s nicht. Sensoren messen den Co2- Gehalt der Luft, bei Bedarf öffnen Elektromotoren die Lüftungsflügel. Das war’s dann aber, und öffnen lassen sie sich auch nach Gusto der Nutzer. Und ohne Technik: Das ist missverständlich. Der Bau ist technisch durchaus ausgereizt. So sind die Ziegelwände nach Statik und Bauphysik auf höchsten technischen Standard ausgelegt – und mit 75 cm ungewöhnlich stark. Dennoch: Die Wand kennt keine Faser, keine Folie – stattdessen Festigkeit und Ruhe des Mineralischen mit Schatten, die vor Hitze schützen. Das gilt auch fürs Räumliche – jedes der sechs Geschoße ein fließender Raum, eng und weit, gegliedert durch Wandpaare im Zentrum, die in die vier Himmelsrichtungen ausgehen. Auffallend: die ungewöhnlichen Raumhöhen mit hohen, eher schmalen Fenstern. Da macht man sich Qualitäten zunutze, die jeder bei den noch immer beliebten Gründerzeithäusern beobachten kann: optimal genutztes Tageslicht, große Raumtiefen und -höhen: Großes Volumen, guter Luftaustausch, reichlich Speichermasse ergeben ein konstantes Raumklima.

Schneeweiß steht er da, der mit Sumpfkalk handwerklich verputzte Bau – ein Würfel von 24 x 24 x 24 m Außenkante. Auf allen Seiten völlig regelmäßig angeordnete Fenster, im Hochformat von 1:2 mit viel Wand dazwischen – für einen modernen Bau ungewohnt wenig Glas. Erst bei genauem Hinsehen zeigen sich feine Abweichungen von der Geometrie – Vor- und Rücksprünge differenzieren den Bau nach jeder Seite und bringen Leben in die regelmäßige Geometrie.

Ein richtungsweisender Bau, aus der Hand eines Architekten, der vor einem Drittel Jahrhundert den Holzbau wiederbelebte. Und der mit diesem Bau, der so ganz anders erscheint, als die damaligen Pionierbauten, sich doch ganz treu geblieben ist: „Ich will selbst über das Verhältnis zu meiner Umgebung bestimmen“, sagt Dietmar Eberle, „nicht durch immer mehr Technik den Kontakt zur Welt verstellen.“ Sein Weg: die technische Intelligenz aus den Apparaten in den Bau selbst zurückführen – „Komplexität reduzieren, mit der Nutzung abstimmen, weniger Baustoffe als heute einsetzen.“ So wird es – nicht zu glauben, doch eigentlich logisch – sogar preiswerter.

Seit einigen Monaten wird nun hier gearbeitet. Helle, großzügige Räume, Wohlfühlklima selbst an den heißesten Sommertagen. Eine konzentrierte, doch lässige Atmosphäre. „Comfort“ auf englische Art? „Built for Comfort“? Der Song, die sensationelle E-Gitarre, die Stimme Howlin‘ Wolfs ziehen einem durch den Kopf (natürlich: die Chicago Version). Wie heißt es da so schön: „some folk built like this / some folk built like that / the way I built / don’t call it fat / ‘cause I built for comfort / not built for speed / I got everything / all the good girls need“. Braucht’s mehr?

Daten & Fakten

Objekt: Haus 2226, Lustenau, Millennium Park

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Eigentümer: AD Vermietung OG, Lochau
Grundstücksgröße: 4037 m²
Nutzfläche: 2421 m²
Architektur: Baumschlager Eberle Lustenau
Projektleitung: Jürgen Stoppel
Statik: Mader & Flatz, Bregenz
Energieoptimierung: Lars Junghans, Michigan, USA
BUS-Steuerung: Peter Stefan Widerin, Hörbranz
Brandschutz: IBS, Linz
Lichtplanung: Ingo Maurer, München; Symetrys, Lustenau
Elektroplanung: Elmar Graf, Dornbirn
Planung: 1/2006–4/2013

Bauweise: Massivbau, Ziegel; Außenwände 75 cm, verputzt (Sumpfkalk); Fertigbetondecken; Innenwände: Ziegel, verputzt; Innentüren: Ganzglas; Fenster: Festverglasung in Massivholzfenstern mit Lüftungsklappe

Ausführung: Rohbau: Rhomberg Bau, Bregenz; Putz: Kratzer, Röthis und Ulrich, Satteins; Fußböden: Fließ- Anhydrit-Estrich auf Fichtenschalung: Ebner, Lustenau; Innentüren: Glasbau Marte, Bregenz; Fenster: Sigg, Hörbranz; Elektro: Elmar Graf, Dornbirn; Möbel nach eigenem Entwurf: Holzwerkstatt Faißt, Hittisau

Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut

Architektur vor Ort 105
Dieses außergewöhnliche Bürohaus von Baumschlager Eberle steht am Programm der Architekturführungsreihe des vai Vorarlberger Architektur Institut. Eine gute Gelegenheit für alle Interessierten, sich von den energetischen und atmosphärischen Qualitäten dieses Gebäudes vor Ort zu überzeugen. Freitag, 22. 11., um 16 Uhr, Millennium Park 20, Lustenau. Info und Folder unter v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

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