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Brüssel-Terror: Scharfe Kritik an Belgiens Sicherheitsbehörden

Belgische Sicherheitskräfte fahnden weiter nach Verdächtigem
Belgische Sicherheitskräfte fahnden weiter nach Verdächtigem
Nach den Terroranschlägen von Brüssel wächst der Druck auf die belgischen Sicherheitsbehörden. Die Türkei hat das Land nach Angaben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bereits im Juli 2015 vor einem der Attentäter gewarnt. Doch trotz des Hinweises, dass der Mann ein "ausländischer terroristischer Kämpfer" sei, sei er von den belgischen Behörden freigelassen worden. Belgiens Justizminister Koen Geens wies den Vorwurf der Fahrlässigkeit zurück.

Die Polizei fahndet weiter nach einem Komplizen der drei Selbstmordattentäter, der vom Flughafen Brüssel geflüchtet sein soll.

EU-Kommissar Günther Oettinger kritisierte in der “Bild”-Zeitung (Donnerstag) den Zustand der belgischen Polizei in Brüssel: “Wir müssen aber auch klar die Mängel bei den belgischen Sicherheitsbehörden ansprechen. Es gibt allein in Brüssel mehrere verschiedene Polizeibehörden, die nicht ausreichend kooperieren. Das kann nicht so bleiben.”

Erdogan: Türkei will Belgien vor Terrorbruder gewarnt haben

Der türkische Staatspräsident Erdogan sagte in Ankara, einer der Brüsseler Angreifer sei im Juni festgenommen und ausgewiesen worden. Die belgischen Behörden seien am 14. Juli informiert worden. Laut Medienberichten handelte es sich um Ibrahim El Bakraoui, der aber von den belgischen Behörden freigelassen wurde. Justizminister Geens betonte, El Bakraoui habe in Belgien keine terroristischen Straftaten begangen. Seines Wissens sei er auch nicht nach Belgien, sondern in die Niederlande abgeschoben worden, sagte Geens dem Sender VRT.

Zeitung: Belgischer Geheimdienst hatte konkrete Hinweise

Nach einem israelischen Zeitungsbericht soll der belgische Geheimdienst konkrete Warnungen vor den Anschlägen in Brüssel bekommen haben. Auch andere westliche Geheimdienste seien im Bilde gewesen, schrieb die Zeitung “Haaretz”, nannte allerdings keine Quellen. Der israelische Geheimdienstminister Israel Katz hatte bereits am Mittwoch erklärt: “Wenn sie in Belgien weiter Schokolade essen und das Leben genießen (…) und nicht klar feststellen, dass ein Teil der Muslime, die dort leben, Terror organisieren, dann können sie sie auch nicht bekämpfen.”

US-Verteidigungsminister Ashton Carter und die US-Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton forderten angesichts der Terroranschläge in Brüssel von den Europäern größere Anstrengungen im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu forderte einen globalen Kampf gegen den Terrorismus.

Der Fraktionsvorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, sprach sich für eine Neuorganisation der europäischen Sicherheitsarchitektur aus. Der deutsche Justizminister Heiko Maas sieht nach den Brüsseler Anschlägen weiterhin keinen Grund dafür, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Flüchtlingszustrom und Terrorgefahr herzustellen. “Die meisten Männer, die in den vergangenen Monaten diese grauenhaften Anschläge verübt haben, sind bei uns in Europa zu einer terroristischen Bedrohung herangewachsen”.

Belgien weist Vorwürfe von Erdogan zurück

Den Brüsseler Selbstmordattentäter Ibrahim El Bakraoui fahrlässig auf freiem Fuß gelassen zu haben, wies der belgische Justizminister Koen Geens zurück. El Bakraoui habe in Belgien keine terroristischen Straftaten begangen, sagte Geens am Mittwochabend dem Sender VRT.

Als El Bakraoui von der Türkei ausgewiesen wurde, sei er lediglich als normaler Straftäter auf Bewährung bekannt gewesen. Seinem Wissen nach sei El Bakraoui auch nicht nach Belgien, sondern in die Niederlande abgeschoben worden, ergänzte Geens.

Das niederländische Justizministerium teilte am Abend mit, der Vorgang werde geprüft. Weitere Informationen seien nicht vor Donnerstag zu erwarten.

Alle Selbstmordattentäter identifiziert

Die Selbstmordattentäter, die am Dienstag 31 Menschen in Brüssel in den Tod gerissen hatten, sind inzwischen identifiziert. Alle drei sind in Belgien geboren und hatten Verbindungen zu den islamistischen Drahtziehern der Anschläge von Paris. Es handelt sich um die Brüder Ibrahim (29) und Khalid (27) El Bakraoui und Medienberichten zufolge um den 24-jährigen Najim Laachraoui, der wegen der Terroranschläge von Paris erst vor kurzem zur Fahndung ausgeschrieben worden war.

Die Staatsanwaltschaft wollte sich am Mittwoch nicht zu den Berichten über die Identifizierung Laachraouis äußern. Sie kündigte eine Stellungnahme für diesen Donnerstag an. Der Jihadist soll im Februar 2013 nach Syrien gereist sein. Anfang September 2015 geriet er – mit falscher Identität unter dem Namen Soufiane Kayal – zusammen mit Salah Abdeslam und Mohamed Belkaid in eine Kontrolle an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich. Abdeslam und Belkaid gelten als mutmaßliche Beteiligte der Pariser Anschläge, bei denen im November 130 Menschen getötet wurden.

Sondertreffen der EU-Minister in Brüssel

Die für Innere Sicherheit zuständigen EU-Minister wollen am Donnerstagnachmittag zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammenkommen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wies darauf hin, dass konkrete Vorschläge für mehr Sicherheit in Europa seit Monaten auf dem Tisch lägen. Ein ähnliches Sondertreffen gab es auch nach den Anschlägen von Paris.

Terrorismus-Experte sieht Anschlagsgefahr in Österreich

Der Terrorismus-Experte Nicolas Stockhammer erkennt indes eine klare Anschlagsgefahr in Österreich. “Dass etwas in Österreich passieren wird, halte ich für ziemlich wahrscheinlich”, meinte Stockhammer in der “ZiB 24” am Mittwochabend. In Anbetracht des vergangenen Jahres sei Österreich zu einem “sekundären Terrorziel” aufgestiegen.

Österreich befinde sich nun hinsichtlich der Anschlagsbedrohung in einzelnen Ländern vergleichsweise in einem “Mittelfeld”. Das gibt laut dem Experten und sicherheitspolitischen Berater des Verteidigungsministeriums “Anlass zur Hoffnung, dass es nicht zu bald passieren wird”. Europa werde sich auf einen mindestens 20-jährigen “langatmigen, brutalen Kampf” gegen den Terror einstellen müssen, so Stockhammer. Für den Schütz der Zivilbevölkerung sei bisher “zu wenig getan” worden, dieser müsse verstärkt werden.

Debatte um mehr Sicherheit an Flughäfen

EU-Experten wollen in der kommenden Woche darüber beraten, wie Flughäfen sicherer gemacht werden können. Für den 31. März sei ein Treffen von Flugsicherheitsexperten der 28 Mitgliedsstaaten geplant, teilte ein EU-Vertreter am Mittwoch mit. Am 11. April würden Fachleute für Transportsicherheit zusammenkommen. Eine konkrete Agenda sei noch nicht festgelegt.

Nach jüngsten Zahlen wurden bei den Attentaten in Brüssel 300 Menschen verletzt. Die Hälfte von ihnen lag am Mittwoch noch in Krankenhäusern, 61 auf einer Intensivstation, wie das Gesundheitsministerium mitteilte. Es ist zu befürchten, dass sich die Zahl von 31 Toten noch erhöht. Aus Sorge vor neuen Anschlägen blieb die höchste Terror-Warnstufe in Kraft. Der Flughafen Zaventem bleibt bis einschließlich Freitag weitgehend geschlossen.

Belgien will am Nachmittag um 14.30 Uhr mit einer landesweiten Schweigeminute der Opfer der Terroranschläge gedenken. Am Mittwochmittag hatte es bereits eine Schweigeminute in Brüssel gegeben, an der unter anderem das Königspaar teilnahm.

Am Freitag wird US-Außenminister John Kerry in Brüssel sein. Nach Angaben des Außenministeriums in Washington werde er nach den Anschlägen persönlich das Beileid der USA bekunden. Kerry werde auch Vertreter Belgiens und der Europäischen Union treffen.

Schweigemarsch für Terroropfer in belgischer Hauptstadt

Zahlreiche Mitarbeiter und Anrainer des Brüsseler Flughafens versammelten sich am Mittwochabend zu einem Schweigemarsch. An dem Gedenken an die Opfer der Terroranschläge beteiligten sich nach Angaben der belgischen Nachrichtenagentur Belga Hunderte Menschen.

AUA und Lufthansa streichen alle Flüge

Die Austrian Airlines streichen alle Flüge zwischen Wien und Brüssel bis inklusive nächsten Montag, den 28. März, kündigte eine AUA-Sprecherin Mittwochabend gegenüber der APA an. Grund sei die zerstörte Infrastruktur am Brüsseler Flughafen nach dem Terroranschlag. In Brüssel sei derzeit keine Abfertigung für Passagiere möglich.

Auch die Deutsche Lufthansa streicht alle Flüge nach Brüssel bis einschließlich 28. März. Das teilte ein Sprecher der Fluggesellschaft am Mittwochabend mit. (APA/red)

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