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Brot und Spiele

Einen so alten, ehrwürdigen Handwerksbetrieb wie die Bäckerei neu erfinden? Warum und wie macht man das?
Einen so alten, ehrwürdigen Handwerksbetrieb wie die Bäckerei neu erfinden? Warum und wie macht man das? ©Christian Grass
Dornbirn - Geht das? Einen so alten, ehrwürdigen Handwerksbetrieb wie die Bäckerei neu erfinden? Warum und wie macht man das?
Impressionen

Was bei einem solchen Unterfangen gewöhnlich an erste Stelle geraten wird, ist das Ganze in seinen Bestandteilen zu analysieren. Das erübrigt sich bei den Betreibern des erfolgreichen Familienbetriebs: Sie kennen ihr Geschäft vom Korn bis zur Krume, von der Pike auf, in fünfter Generation. Also stand am Anfang etwas anderes: Reisen, Schauen, Sammeln. Drei Jahre erkundeten sie zwischen LA/ US, London, Mailand, Belgien und mehr, was sich zwischen Systemgastronomie und individuellem Auftritt an neuen Entwicklungen abzeichnet. Und kamen heim mit Geschichten vom Brot. „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“, dichtet Matthias Claudius, der sich als Romantiker auf Märchen versteht. Da geht es um Fremdes, Seltsames, Wundersames und im besten Fall um Wunderschönes – das Gefühl des Hans im Glück. Das spürt man noch, wenn die Betreiber von diesen Reisen erzählen. Der Wirbel an Eindrücken und Ereignissen: Wo erlebt man das so intensiv wie auf einem Markt? Gar wenn er im Orient, Heimat von 1001 Nacht, liegt? „Der Fremde sollte vor allen Dingen die Basare besuchen, denn das bedeutet, erst richtig in die ungeheure Stadt einzutreten. Man wird durch den Anblick, die Pracht und das Getümmel überwältigt; es ist ein Bienenstock, in den man gerät, jede Biene ist ein Perser, ein Armenier, ein Ägypter, ein Grieche. Orient und Okzident halten hier großen Markt. Ein solches Gedränge, eine solche Verschiedenheit der Trachten, eine solche Fülle…“, weiß der Märchenerzähler Hans Christian Andersen.

So reift die Idee zur neuen Bäckerei: Ein Ort soll es sein, der aus der Mühle des Alltags entführt. „Zu sich kommen, sich fallen lassen, träumen, wie daheim, doch angeregt – nicht zielstrebig, hektisch, drängend“, beschreibt Monika Haag die gesuchte Stimmung. Gerade für die Menschen in den Büros und Geschäften, inmitten der Stadt. Mit fachlicher Unterstützung entsteht eine Ausschreibung, ein kleiner Wettbewerb zur Einrichtung folgt, den die Architekten Georg Bechter und Thomas Mennel für sich entscheiden.

Ihr Konzept: Auflösung fester Grenzen. Die Backstube ist im Gastraum, die Barriere des Tresens ist verschwunden, Laufk undschaft begegnet Zeitungslesern in gepolsterten Sesseln, Service und Bäcker bewegen sich zwischen den Kunden – offene Wege zwischen einer Komposition klarer Kuben. Marktstände, Pavillons, Werkbänke kommen einem in den Sinn, fast ein räumliches Labyrinth. Das Ganze ist frei in die vorgefundene Struktur eines Geschäftshauses der 1950er-Jahre gestellt, ohne Eingriffe, nur wonötig ergänzt im Sinn des Bestandes. Unter der Decke des Gastraumes schweben „Wolken“, gepolstert, um die Akustik der harten Baustoff e zu mildern und die Beleuchtung zu integrieren. In Grau und Grün gehalten, vermitteln sie den Bau aus Beton zur Gastfläche, draußen unter Platanen.

Vor allem aber wird der Raumeindruck geprägt durch das expressive Ornament keramischer Fliesen – ein Muster, vier Farben, kontrastierend zum Backwerk. Azulejos aus Granada, Fayencen aus Lothringen, Delfter Kacheln, Majolika aus Wien? Fliesen entführen in ferne Länder und liegen doch nahe, da sie in jedem Lebensmittelbetrieb zu finden sind. (Die von den Architekten ausgewählten sind aus Zement, gefertigt 500 km den Rhein hinab.) Diese dem Betrieb und dem Schaffen verpflichtete Raumgestaltung entspricht, dass alle handwerklichen Vorgänge, die zum Brot (und zum Kaffee und zur Marmelade und…) führen, vor den Blicken des Publikums stattfi nden. Handwerkerstolz, inszeniert und konsequent verfolgt, indem beste Erzeugnisse des Lebensmittelhandwerks der Region auf den Tisch kommen. So versteht man den Namen: Marenda, das ist Brotzeit, Jause – laut Wörterbuch in Tirol und Vorarlberg verbreitet, mit rätoromanischen Wurzeln.

Was wir gewöhnlich als Gegensätze begreifen – weltläufig und regional, sinnlich beschaulich und handwerklich schaffig, verspielt und grundsolide, Hightech und Tradition – hier wirkt es zusammen. Und wird konsequent in Szene gesetzt, getragen von der Gestaltung Georg Bechters und Thomas Mennels, die Architektur weniger als Behälter, vielmehr als Körper versteht. Dazwischen entsteht ein Platz, ein Kaleidoskop aus Eindrücken, die von weiten Reisen träumen lassen…

Daten & Fakten

Objekt: Bäckerei und Cafe, Dornbirn

Nutzung: Herstellung, Verkauf, Gastbetrieb

Größe: 124 m2 + Freischankfläche

Bauzeit: 2012

Planung: Georg Bechter, Thomas Mennel

Ausführung: Einbauten und geringfügige Ergänzung in Bestehendes Stahlbeton – Geschäftsgebäude

Böden: Eiche massiv

Servicebauten: Holzunterkonstruktion mit Fliesenaufbau im Mörtelbett verlegte Zementmosaikfliesen nach Entwurf der Architekten

Sonderfertigung:

  • Fliesen: VIA, Bacharach am Rhein
  • Fliesenkörper: Weiler Möbel, mit Fliesen Bell, Götzis
  • Leuchtkörper: Johannes Mohr, Andelsbuch

Leben & Wohnen – Für den Inhalt verantwortlich: vai Vorarlberger Architektur Institut

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