Wien. 166 Seiten umfasst das Gutachten von Werner Gerstl. Am Ende seiner Ausführungen kommt der Linzer Facharzt für Kinderheilkunde und Kinder- und Jugendneuropsychiatrie zum Ergebnis, dass im Tatzeitpunkt eine Schizophrenie und Zwangsstörungen als “handlungsbestimmende Kräfte” wirksam waren, die beim Angeklagten eine Zurechnungsunfähigkeit bewirkt haben sollen.
Schizophrenie
Wie Gerstl ausführt, dürfte es beim Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der fünften Klasse Mittelschule zum Abbau von Interessen, zur Störung der Konzentration und einem Leistungsknick gekommen sein, die der Sachverständige auf eine Frühform einer Schizophrenie zurückführt. Diese habe sich bis zur gegenständlichen Straftat über Monate symptomatisch weiter entwickelt. Insofern habe – so Gerstl – “eine psychopathologische Kontinuität bestanden”.
Der Gutachter ist überzeugt, dass – bezogen auf die Bluttat – “die Folgen der über lange Zeit unentdeckten und fachlich unversorgten Schizophrenie […] handlungsbestimmend waren”. Mit “hoher Wahrscheinlichkeit” dürfte der Bursch versucht haben, seine Eltern “auf […] Veränderungen seiner Wahrnehmungsqualität aufmerksam zu machen”. In der Familie hätten aber sowohl die Einfühlbarkeit als auch das Wissen um solche Phänomene gefehlt bzw. wären die Wesensveränderungen des Burschen verdrängt worden, vermutet der Gutachter.
Stark erhöhtes Risiko für Tötungsdelikt
“Nur eine kleine Minderheit an Schizophrenie erkrankter Menschen begeht ein Tötungsdelikt”, hält Gerstl fest. Statisch gesehen hätten jedoch Betroffene ohne entsprechende Behandlung nach einer längeren Zeit ein “stark erhöhtes Risiko ein Tötungsdelikt zu begehen”.
Mit seiner Einschätzung widerspricht der Linzer Sachverständige dem von der Staatsanwaltschaft bestellten Erstgutachter Peter Hofmann. Der führende Gerichtspsychiater war zum Schluss gekommen, dass der 16-Jährige im Tatzeitpunkt zwar eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung und eine Zwangsstörung aufwies. Seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit waren laut Hofmann zum Zeitpunkt der Tat allerdings nicht aufgehoben, sodass nach dessen Dafürhalten Zurechnungsfähigkeit und Schuldfähigkeit gegeben waren. Hofmann empfahl jedoch für den Fall eines Schuldspruchs wegen Mordes die Unterbringung des Jugendlichen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, weil er diesen für derart gefährlich hält, dass ohne im Maßnahmenvollzug gewährleistete therapeutische Behandlung neuerlich mit Straftaten mit schweren Folgen gerechnet werden muss.
Zum Prozess am kommenden Mittwoch, der unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden wird, werden nun beide Sachverständige geladen. Sie werden dem Schwurgericht ihre Expertisen mit ihren unterschiedlichen Schlussfolgerungen darlegen. Sollten die Geschworenen Gerstl folgen, könnte der Angeklagte mangels Schuldfähigkeit nicht verurteilt werden, sondern wäre ohne Ausspruch einer Strafe allenfalls mit einer – zeitlich unbefristeten – Einweisung in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher vorzugehen.
Möglich ist allerdings auch, dass vom Gericht noch ein dritter psychiatrischer Sachverständiger als eine Art Obergutachter bestellt wird. Das hätte zur Folge hätte, dass die Verhandlung vertagt werden müsste.
Dagegen sprach sich der Rechtsvertreter der Angehörigen des umgekommenen Mädchens, der Wiener Anwalt Nikolaus Rast, am Montagabend im aus. “Im Namen der betroffenen Familie hoffe ich, dass die Widersprüche aufgeklärt werden können und es am Mittwoch eine Entscheidung gibt. Damit die Familie abschließen kann”, sagte Rast im Gespräch mit der APA.
(APA)
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