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Blutzuckerspitzen messen: Ein umstrittener und sehr komplexer Ernährungstrend

©Symbolfoto: Canva Pro
Die Kontrolle des Blutzuckerspiegels erlangt zunehmend Aufmerksamkeit, doch die Auswirkungen von hohen Blutzuckerspitzen auf die Gesundheit sind nicht zu unterschätzen.

In einer Zeit, in der Gesundheitstrends oft viral gehen, hat das Thema blutzuckeroptimierte Ernährung eine breite Aufmerksamkeit erlangt. Jessie Inchauspé, auch bekannt als "Glucose Goddess" auf Instagram, teilt regelmäßig ihre Einsichten und Ratschläge zur Kontrolle des Blutzuckerspiegels. Aber ist das Management von Blutzuckerspitzen wirklich so revolutionär, wie es dargestellt wird, oder gibt es mehr Nuancen zu beachten?

Laut Stefan Kabisch, einem erfahrenen Stoffwechselmediziner an der Charité, sind die Gefahren hoher Blutzuckerspitzen nicht zu unterschätzen. "Bei Menschen, die bereits Diabetes haben, steigt durch hohe Blutzuckerspitzen auf Dauer das Risiko für Langzeitkomplikationen", erklärt Kabisch in einem Interview mit Zeit.de. Doch auch für gesunde Menschen könnten regelmäßige hohe Blutzuckerspitzen langfristige Konsequenzen haben, darunter ein erhöhtes Risiko für Diabetes und Gewichtszunahme durch Heißhungerattacken.

Die Frage, ab wann eine Blutzuckerspitze als gefährlich anzusehen ist, bleibt jedoch komplex. "Es gibt keine Spitzenhöhe, die eindeutig problematisch ist – weil jeder Mensch auch von einem unterschiedlichen Wert startet", so Kabisch gegenüber "Zeit.de".

Altert man schneller?

Die Aussage, dass starke Blutzuckerspitzen den Alterungsprozess beschleunigen können, wurde laut Kabisch im Tiermodell nachgewiesen, allerdings fehlen noch eindeutige Belege beim Menschen. Kabisch betont zudem, dass eine stabile Energieversorgung über den Tag ohne extreme Blutzuckerschwankungen zwar nicht unmittelbar mehr Energie liefert, jedoch die Täler nach einer Blutzuckerspitze vermeidet.

"Glucose Hacks"

Die von Influencerinnen propagierten "Glucose Hacks" reichen von der Reihenfolge der Nahrungsaufnahme bis hin zu speziellen Frühstücksvarianten. Kabisch sieht in einigen dieser Tipps durchaus einen metabolischen Nutzen, warnt jedoch vor einer zu engen Fokussierung auf den Blutzuckerspiegel. "Ich würde sogar sagen, dass eine ständige Überwachung des Blutzuckerspiegels diesen Menschen mehr schaden als nützen könnte", so der Experte. Das Risiko, in eine Orthorexie abzugleiten, ist nicht zu unterschätzen.

  • Orthorexie, oder Orthorexia nervosa, bezeichnet eine Essstörung, die durch eine übermäßige Besessenheit mit dem Essen von als gesund angesehenen Lebensmitteln charakterisiert ist. Im Gegensatz zu anderen Essstörungen wie Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa, bei denen die Quantität der Nahrung im Vordergrund steht, liegt der Fokus bei der Orthorexie auf der Qualität der Nahrung. Menschen, die unter Orthorexie leiden, setzen sich selbst extrem strenge Diätvorschriften hinsichtlich der Reinheit und Qualität ihrer Nahrungsmittel. Diese Besessenheit kann dazu führen, dass sie eine Vielzahl von Lebensmitteln als ungesund betrachten und diese meiden, was zu ernährungsbedingten Mängeln, sozialer Isolation und sogar zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit führen kann.

"Wissenschaftlich fragwürdig"

Zu den neuesten Entwicklungen gehört die Ankündigung von Jessie Inchauspé, ein "Anti Spike"-Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen. Kabisch bleibt skeptisch: "Wissenschaftlich ist so ein Produkt fragwürdig."

Ein Milliarden-Geschäft

Das Interesse an der Überwachung des Blutzuckers hat zu einem wahren Boom bei den Continuous Glucose Monitors (CGMs) geführt, die ursprünglich für Diabetiker entwickelt wurden, nun aber auch von Gesundheitsbewussten genutzt werden. Diese kleinen, unter der Haut getragenen Sensoren messen den Blutzucker kontinuierlich und übertragen die Daten an das Smartphone. Pharmaunternehmen wie Abbott und Dexcom, die mit diesen Geräten Milliardenumsätze erzielen, sehen in der wachsenden Zahl von Diabetikern und dem neuen Interesse von einem gesundheitsorientierten Publikum ein enormes Marktpotenzial.

Promis und Influencer

Um die Popularität weiter zu steigern, setzen Startups auch auf die Bekanntheit von Prominenten und Influencern. So werben Schauspielerinnen wie Ellen Pompeo und Raven Symoné für Signos, während Levels mit dem Arzt und Gesundheitsinfluencer Mark Hyman zusammenarbeitet, der auf Instagram über 2,5 Millionen Follower erreicht. (VOL.AT)

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