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Bilderband über Wien-Floridsdorf zeigt bürgerliche Seite des Bezirks

Ein neuer Bilderband zeigt die bürgerliche Seite Floridsdorfs.
Ein neuer Bilderband zeigt die bürgerliche Seite Floridsdorfs. ©Screenshot Amazon/CanvaPro (Sujet)
Wien-Floridsdorf aht das Image eines klassischen Arbeiterbezirks. Ein Bilderband von Gabriele Dorffner und Matthias Marschik zeigt nun die bürgerliche Seite des Wiener Bezirks.

Tatsächlich war der ursprünglich bäuerlich geprägte Flecken in Wiens Transdanubien ab der Industriellen Revolution lange von Großbetrieben mit proletarischer Arbeiterschaft geprägt. Doch gab es auch eine bourgeoise Seite, wie Gabriele Dorffner und Matthias Marschik im neuen Bildband "Wien-Floridsdorf - Bürgerliches Alltagsleben im 21. Bezirk 1880 bis 1960" anhand historischer Dokumente zeigen.

Bilderband über Wien-Floridsdorf präsentiert die bürgerliche Seite

Die Historikerin und ihr Berufskollege sind Wien-Floridsdorf genuin tief verbunden, weil ebendort zuhause. Dorffner ist zudem ehrenamtlich im Bezirksmuseum tätig.

Die Grenzen des 21. Wiener Gemeindebezirks existieren in der heutigen Form freilich erst seit 1954, ist gleich zu Beginn zu erfahren: "Entstanden war Floridsdorf 1786 als kleines Dorf. 1894 wurde es mit Donaufeld, Jedlesee und Neu-Jedlersdorf zur Großgemeinde Floridsdorf vereinigt, die 1904 mit Leopoldau, Kagran, Hirschstetten, Aspern und Stadlau nach Wien eingemeindet und im Jahr 1911 um Strebersdorf erweitert wurde. Damit umfasste Floridsdorf, mit Ausnahme von Kaisermühlen, alle linksufrigen Teile Wiens. Mit der Schaffung von 'Groß-Wien' im Oktober 1938 wurde auch Stammersdorf eingemeindet."

Floridsdorf entwickelte sich über die Zeit zum Verkehrsknotenpunkt

Diese geografische Einordnung ist auch wichtig, um die Entwicklung des Bezirks zu verstehen. Als südwestlicher Ausläufer des Marchfelds war das Gebiet einerseits vom Bisamberg, andererseits von den Armen der unregulierten Donau begrenzt. Über Generationen gediehen hier vor allem Getreide, Erdäpfel und Mais. Doch entwickelte sich Floridsdorf im Lauf der Zeit auch zu einer Art Verkehrsknotenpunkt. "Am Spitz" wurden die Reichsstraßen nach Prag und Brünn in der heutigen tschechischen Republik mit jener nach Preßburg (heute ist Bratislava die Hauptstadt der Slowakei) mit der Taborbrücke und damit mit Wien verknüpft. In Verbindung mit der Lage an der schiffbaren Donau und der Anbindung an die Nord- und Nordwestbahn entstanden so die besten Voraussetzungen für die Ansiedlung von Fabriken und anderen Betrieben.

Industrielle Agglomeration in Floridsdorf

"Am Beginn der Industrialisierung stand eine 1856 errichtete Maschinenfabrik, die 1864 in eine Raffinerie umgestaltet wurde. Es folgten 1869 die Lokomotivfabrik und 1817 die I. Österreichische Jute-Spinnerei und -Weberei. Innert weniger Jahrzehnte entwickelte sich Floridsdorf zur bedeutendsten industriellen Agglomeration der Monarchie, geprägt durch Werke der Elektro- und Metall-, der chemischen und der Maschinenbranche."

Entwicklung der Firmen in Wien-Floridsdorf

Dorffner und Marschik erläutern diese Entwicklungen auch anhand ehemals renommierter Firmen wie der Wagen- und Waggonfabrik "Lohner" und den Betriebsstätten der Unternehmerfamilie "Mautner Markhof". Die Wirtschaft florierte, das Gaswerk Leopoldau war dereinst eines der größten in Europa. Der industrielle Niedergang begann mit der Wirtschaftskrise in den späten 1920er Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Floridsdorf dann Teil der sowjetischen Besatzungszone, wodurch die Mittel aus dem US-amerikanischen Marshall-Plan zum Wiederaufbau eher spärlich über die Donau flossen.

Industrie florierte in Floridsdorf

In der Zeit, als Floridsdorf als Industriestandort florierte, entstand hier nicht nur eine selbstbewusste Arbeiterszene mit vielen Vereinen und großen kommunalen Wohnbauten, sondern auch eine Unternehmerschicht, die ihre Spuren in standesgemäßen Bürgerhäusern und Villen am Stadtrand sowie Bürogebäuden und Zinskasernen hinterließen. Dazu kamen "Privatbeamte", also Büroangestellte, die gemeinsam mit den Staatsbeamten und Industriellen einen wichtigen Teil der bürgerlichen Oberschicht bildeten.

All dies wird mit einer Fülle an historischen Fotos, Bildern und Skizzen und natürlich informativen Texten dokumentiert. Es werden dabei verschiedenste Bereiche berührt, etwa "Unterricht und Schule" oder "Feste, Feiern, Freizeit, Vereine", "Kirchen, Pfarrer, Rabbis" und nicht zuletzt "Sport und Kunst".

Bilderserien reichen bis in das Jahr 1960

Die Bilderserien reichen bis in das Jahr 1960. Damals, so das Fazit, "begann die Wohlstandsgesellschaft die Differenzen zwischen den Schichten zu verschleifen." Wobei dies in manchen Bereichen auch schon früher geschah. Im Sport nahmen insbesondere die traditionellen Fußballklubs Floridsdorfer AC und Admira in gewisser Weise eine klassenverbindende Funktion ein. "Dort waren einerseits zahlreiche Gewerbetreibende und Fabriksdirektoren als Funktionäre tätig, und andererseits war der Profifußball für proletarische junge Männer der einzige Weg zu gesellschaftlichem Aufstieg."

Beide Vereine gibt es heute noch. Sie spielen in der zweiten Fußball-Bundesliga. Dennoch ist ein Aufeinandertreffen kein "Floridsdorfer Derby" mehr, schließlich übersiedelte die Admira 1971 nach einer Fusion mit Wacker Wien in die Südstadt nach Niederösterreich.

Wien-Floridsdorf und Fußball

Wie der Fußball gab sich aber auch die Kultur oft verbindlich: "Selbst die zahlreichen ab 1900 entstandenen Arbeiterkulturvereine präferierten - von Goethe bis Beethoven - einen bürgerlichen Wertekanon". Garniert werden solche Analysen mit sehenswerten Fotos wie einem vom "Salonorchester von Karl Treybal". Dieses spielte in der Ära des Stummfilms im Weltbild-Kino zur Untermalung der Filme. "Kurt Treybal war hauptberuflich Angestellter der Lokomotivfabrik. Seine Kapelle umfasste acht Mann, er spielte die Primgeige". Womit die gelegentliche Symbiose von Proletariat und Bürgertum in Floridsdorf vor rund hundert Jahren treffend und (vor)bildlich skizziert sein dürfte...

Gabriele Dorffner und Matthias Marschik: "Wien-Floridsdorf - Bürgerliches Alltagsleben im 21. Bezirk 1880 bis 1960", Sutton Verlag, Tübingen 2023, 122 Seiten, 24,99 Euro

(APA/Red)

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