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Big Data und Corona: "Datenschutz muss jetzt ein wenig zurücktreten"

Zahlreiche Länder setzen auf neue Technologien im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus.
Zahlreiche Länder setzen auf neue Technologien im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. ©pixabay.com (Sujet)
Die Nutzung von Big Data im Kampf gegen das Coronavirus ist laut dem Datenschutzexperten Viktor Mayer-Schönberger zulässig.
FPÖ warnt vor Überwachungsstaat
Big Data gegen Infektionswellen

"Die Datenschutzgrundverordnung, die in Österreich und in der gesamten Europäischen Union gilt, sagt ganz klar: Gesundheit geht vor, Leben retten ist wichtiger als Datenschutz hochhalten", sagte der Experte im Ö1-Frühjournal am Montagmorgen.

Experte: Gesundheit geht vor Datenschutz

Der österreichische Rechtswissenschafter und Datenschutzexperte am Oxford Internet Institute erklärte, dass die Frage "ganz sachlich und differenziert" betrachtet werden müsse: Es handle sich um eine Ausnahmesituation. "Jetzt muss der Datenschutz ein wenig zurücktreten."

Wichtig sei, dass nach dem Ende der Coronakrise alle Daten wieder gelöscht werden. Das seien "Maßnahmen im Katastrophenfall: man verwendet sie nur im Katastrophenfall und nicht, wenn der Katastrophenfall wieder vorbei ist."

Neue Technologie im Kampf gegen Coronavirus

Zahlreiche Länder setzen auf neue Technologien im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus. Die chinesischen Technologie-Riesen Alibaba und Tencent etwa haben Handy-Anwendungen entwickelt, die auf Basis von Bewegungs- und Interaktionsprofilen das Risiko einer Infizierung mit dem Virus bewerten und farblich darstellen. In mehreren Städten müssen sich Menschen mittlerweile mit dieser App nach dem Ampelprinzip "ausweisen", um etwa die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu dürfen. Auch Taiwan, Südkorea, Singapur oder Hongkong kontrollieren die Bewegungsprofile der Handybenutzer und ob sich Menschen in Quarantäne an die Auflagen halten. In Israel ist es dem Inlandsgeheimdienst Shin Bet erlaubt, alle Bewegungsdaten sämtliche Handynutzer auszuwerten.

Kanzler Kurz deutete Nutzung von Big Data an

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte die Nutzung von Big Data angedeutet. Die Opposition reagierte alarmiert. SPÖ, FPÖ und NEOS fürchten Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hatte in Interviews versichert, dass keine "individuelle Überwachung" von Bürgern angedacht sei.

Datenverarbeitung "mit Maß und Ziel" erlaubt

Die Nutzung von Daten im Kampf gegen das Coronavirus ist für den Datenschutzaktivisten Max Schrems durchaus legitim - aber "mit Maß und Ziel". Dass der Datenschutz zur Bekämpfung der Krise eingeschränkt werden müsste, weist Schrems zurück. Denn entsprechende Ausnahmebestimmungen seien schon jetzt vorhanden. Allerdings warnt Schrems davor, die technischen Möglichkeiten zu überschätzen.

Geregelt sind die Ausnahmen in den Artikel 6 und 9 der Datenschutzgrundverordnung. Dort heißt es, dass Datenverarbeitung zulässig ist, wenn "lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person" geschützt werden müssen sowie zur Bekämpfung "grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren".

"Die DSGVO sieht die Datenverarbeitung im Kampf gegen Epidemien ausdrücklich vor", erklärte Schrems in einer Aussendung am Montag. "Die Frage ist daher nicht ob, sondern wie." Eingriffe müssten auf ein Mindestmaß reduziert werden. Denn aus seiner Sicht gibt es viel Raum zwischen "überbordender Totalüberwachung" und der Sammlung und spezifischen Auswertung von ganz bestimmten wichtigen Informationen.

Webseite zeigt Beispiele der Datennutzung

Auf einer eigenen Internet-Seite hat Schrems' Datenschutzorganisation "noyb" 20 Beispiele für die Vorgehensweise der Staaten im Kampf gegen das neuartige Coronavirus gesammelt. Darunter finden sich freiwillige Programme zur Kontakt-Verfolgung wie das vom Österreichischen Roten Kreuz entwickelte "Stopp Corona" bis hin zu israelischen Plänen der Überwachung von Bewegungsdaten durch den Inlandsgeheimdienst Shin Bet oder der Möglichkeit bulgarischer Behörden, Personen in Quarantäne per Handyortung aufzuspüren.

Freiwillige Programme mit nur lokal gespeicherten Daten hält Schrems für auch in Österreich machbar: "Das entspricht dann eher dem eigenverantwortlichen Mitnehmen eines Lawinen-Piepsers als einer zentralen Totalüberwachung." Allerdings warnt der Informatiker Horst Kapfenberger davor, die technischen Möglichkeiten zu überschätzen. So hält er die Positionsdaten der Mobilfunkbetreiber zu ungenau für Aussagen über mögliche Infektionen: "Wir können mit ungenauen Basisdaten keine aussagekräftigen Modelle bauen."

Eher nicht zulässig wäre es nach Ansicht des Juristen Nikolaus Forgo allerdings, die Ausgangsbeschränkungen nur für jene Personen zu lockern, die sich "freiwillig" einer Handyüberwachung unterziehen. Denn freiwillig sei eine Einwilligung nur, wenn man eine echte Wahl habe, also Nein sagen könne, ohne Nachteile zu erleiden, so der Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht am Wiener Juridicum am Montag in der "Presse". In so einem Fall wäre eine Einwilligung wohl "keine gültige Rechtsgrundlage".

(APA/Red)

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