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Beim "Corona-Widerstand" hängt der Haussegen schief

Reinhard Haller wurde selbst schon angefeindet und sieht für den sogannten "Corona-Widerstand" keine große Zukunft.
Reinhard Haller wurde selbst schon angefeindet und sieht für den sogannten "Corona-Widerstand" keine große Zukunft. ©Stiplovsek/Vlach
Joachim Mangard (VOL.AT) joachim.mangard@russmedia.com
Dr. Reinhard Haller im VOL.AT-Interview über den "Kleinkrieg" zwischen den "Corona-Maßnahmenkritikern", Misstrauen gegenüber der Regierung, Verschwörungstheorien und fehlenden Schuldeingeständnissen.
Zwist bei Corona-Kritikern: Zu radikal?
Was der Corona-Widerstand plant

Zwischen den führenden Köpfen in der Vorarlberger Fraktion der sogenannten "Corona-Rebellen" herrscht Zwiespalt. Nach dem Austritt von Matthias Lexer aus der FBP herrscht ein regelrechter Kleinkrieg zwischen dem ehemaligen Bundessekretär und Obmann Georg Palm, wie VOL.AT berichtete. Und auch die MFG als "Corona-Maßnahmen-kritische" Partei war kein sicherer Hafen für den inzwischen aufgrund einer anonymen Anzeige aus dem Dienst entlassenen Finanzpolizeibeamten. VOL.AT sprach mit Dr. Reinhard Haller über die aktuellen Streitereien in den Lagern der während der Pandemie entstandenen Gruppierungen.

VOL.AT: Mit dem Fall von Maskenpflicht und Corona-Maßnahmen ist es auch im Lager der sogenannten „Maßnahmenkritiker“ ruhiger geworden. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Dr. Reinhard Haller: Man muss der Ehrlichkeit halber schon sagen, dass diese Gruppierungen teilweise recht behalten haben. Corona hat sich inzwischen anders entwickelt, als von Fachleuten prophezeit. Dadurch ist ihnen jetzt aber auch das Thema verloren gegangen, die Menschen finden wieder zusammen, die Spaltung der Gesellschaft schreitet aufgrund der fehlenden direkten Bedrohung weniger voran. Letztlich ist ihnen der Inhalt, der in der Gruppe für Zusammenhalt gesorgt hat, verloren gegangen.

VOL.AT: Nach dem "scheinbaren und trügerischen" Ende der Pandemie konzentrieren sich viele "Verschwörungstheoretiker" auf den Ukraine-Konflikt und sehen sich mit der nächsten Konspiration konfrontiert. Gerade pro-russisches Gebaren ist in den Gruppen angesagt, die "Mainstream-Medien unterstützen die 'US-NATO' und 'WEF-Propaganda'". Füllt diese Thematik das Vakuum, das die Pandemie hinterlässt?

Dr. Reinhard Haller: Zunächst glaube ich, dass diese Gruppierung mit diesen neu auserkorenen Themen auf wenig fruchtbaren Boden stoßen werden. Dafür war uns Corona wesentlich näher als beispielsweise der Konflikt in der Ukraine, vor allem wenn es um den Aufbau von politischen Parteien geht. Der Großteil der Kritiker waren "normale" Menschen, keine Querulanten oder dissoziative Personen. Fünf Prozent der Gruppierung haben aber den Ton angegeben. Und unter jenen finden sich viele mit Persönlichkeitsstörungen, paranoide oder fanatische Tendenzen waren deutlich erkennbar. Und jene werden sich immer ein Thema suchen, gegen das sie aufbegehren werden. Diese Menschen haben eine gewisse Leere in ihrem Leben, die mit solchen Themen ausgefüllt werden. Der aggressive Widerstand wurde zu ihrem Lebensinhalt.

VOL.AT: Aufgrund der Pandemie entstanden beispielsweise mit FBP und MFG zwei neue Parteien, mit einem klaren regierungs- und maßnahmenkritischen Kurs. Inzwischen gehen diese Parteien aufeinander los, obwohl sie in vielen Belangen deckungsgleiche Inhalte verfolgen. Woran liegt das ihrer Meinung nach?

Dr. Reinhard Haller: Diese Menschen sind äußerst schwierig. Wenn sie dann eine Partei gründen, ist es oft der Fall, dass sie untereinander zu streiten beginnen. Gerade wenn es um den Aufbau von Parteistrukturen geht, kommen sie nicht auf den gleichen Nenner. Das konnte man auch schon früher beobachten, ich denke beispielsweise an die Piratenpartei.

Reinhard Haller und sein aktuelles Buch "Die dunkle Leidenschaft: Wie Hass entsteht und was er mit uns macht". ©Philipp Steurer

VOL.AT: "Impfregime, Widerstand, Marsch für die Freiheit": Wie beurteilen Sie das doch einschlägige Vokabular, das von diesen Gruppierungen verwendet wurde?

Dr. Reinhard Haller: Kein Mensch wusste, wie sich dieses unkalkulierbare Virus verhält. Für Menschen, die generell unzufrieden mit dem System und unserer Struktur sind, ein gefundenes Fressen. Und jene greifen gerne zur Radikalsprache, zur Primitivsprache voller Hass, die einfache Emotion trägt. Dieser "Hatespeech" fährt über alles drüber und kann in einer aufgeheizten Situation die Psychologie der Masse beeinflussen. Ich glaube aber auch, dass sich dieser Hass inzwischen in Resignation und Depression verwandelt. Und die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation nicht mehr so gegeben ist, wie während des Höchststands an Demonstrationen. Ich glaube, die Gruppierungen sind inzwischen eher wieder auf der Suche nach einem neuen Thema.

VOL.AT: Wissenschaftsskepsis, Vertrauensbruch mit traditionellen Medien, teilweise absurde Mythen und alles unheimlich schnell via Social Media & Co. im Umlauf: Wem kann man überhaupt noch trauen?

Dr. Reinhard Haller: Solche Menschen suchen immer die am wenigsten wahrscheinlichste Begründung. Und werden in diversen Verschwörungsmythen fündig, die ihnen dann einen "glaubwürdigen" Feind für ihren Kampf liefert. Wie z.B. die böse Pharmaindustrie, welche die Menschheit ausrotten will. Wir müssen wieder lernen, mehr Sachlichkeit und Transparenz in diese hochemotionale, politische Debatte einfließen zu lassen. Außerdem hat der Umgang mit Hass im Netz eine völlig neue Dimension erreicht. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum werden. Als Psychiater kann man das Netz aber auch als eine Art Ventil für Aggression betrachten. Das Hasspotenzial, gerade bei jungen Männern, wird hier ebenfalls offensichtlich. Auch ich wurde bereits genügend Opfer von Beschimpfungen. Pragmatisch könnte ich jetzt sagen, lieber im Netz verbal, als auf der Straße mit den Fäusten. Die Rückkehr zu einer kultivierten Form der Netzdebatte wird eine enorm wichtige, politische Aufgabe.

VOL.AT:Klimakrise, Energiekrise, Teuerung, die Menschen haben Angst. Die Regierung schafft es aber gleichzeitig nicht, ihnen diese Angst zu nehmen. Vor welcher Herausforderung steht hier die Politik?

Dr. Reinhard Haller: Ich habe ein Problem damit, dass man alle Probleme auf die Regierung projiziert. Kardinal Schönborn hat dies in einer Pressestunde schön ausgedrückt. Auf die Frage, wie er zu den "Bocksprüngen" der Regierung stehe, antwortete er, ob man damit die "Bocksprünge" des Virus meine. Alle Experten haben Fehler gemacht, ich nehme mich da selbst nicht aus und habe anfangs auch eine andere Meinung vertreten. Ich habe auch geglaubt, dass die erste Welle im Sommer vorbei wäre. Oder dass die Impfung die Lösung für die Pandemie darstellt. Wenn man nun die Maßnahmen der Schweizer und der Österreicher beurteilt, kann man nicht wirklich sagen, wer den besseren Kurs gewählt hat. Natürlich hat unsere Regierung Fehler gemacht, vielleicht auch dem Personal geschuldet. Wir müssen nur wieder zur Sachlichkeit zurückkehren. Und vielleicht auch einmal die positiven Dinge in den Vordergrund rücken. Gerade in einer Krise kann das ein elementares Werkzeug zur Bewältigung derselben sein.

VOL.AT: Es würde aber auch nicht schaden, einen Fehler zuzugeben, gerade wenn man an die quasi nicht vorhandene Rücktrittskultur in Österreich denkt?

Dr. Reinhard Haller: Wenn man nach Deutschland blickt und Robert Habeck betrachtet, fällt auf, dass dieser Politiker mit seinem authentischen Kurs, Fehler zuzugeben und Zweifel zu hegen, sehr gut fährt. Das würde manch einem Entscheidungsträger auch hierzulande gut stehen.

(VOL.AT)

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