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AstraZeneca: "Schwarzes Schaf" der Impfstoffe?

Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein, Leiter des Molekularbiologischen Labors VIVIT in Dornbirn, informiert ausführlich über AstraZeneca.
Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein, Leiter des Molekularbiologischen Labors VIVIT in Dornbirn, informiert ausführlich über AstraZeneca. ©AFP, handout/Mündlein
Joachim Mangard (VOL.AT) joachim.mangard@russmedia.com
Covid-19: Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein, Leiter des Molekularbiologischen Labors VIVIT in Dornbirn, sprach mit VOL.AT über den zu Unrecht in Ungnade gefallenen Impfstoff.
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VOL.AT: Woran liegt es, dass AstraZeneca seit Markteinführung als "Schwarzes Schaf" unter den Impfstoffen gilt?

Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein: Der Impfstoff von AstraZeneca hat bereits vor seiner Zulassung durch einen Todesfall in der Phase-III Studie, dem dadurch bedingten Pausieren der Studie, und der in Folge verzögerten Zulassung, für eine gewisse Verunsicherung gesorgt. Der vermeintlich geringere Impfschutz im Vergleich zu den beiden mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna, vorab fehlende Studiendaten hinsichtlich dessen Wirksamkeit bei älteren Personen und nicht eingehaltene Liefervereinbarungen mit der EU haben aber vor allem für negative Schlagzeilen gesorgt und den Impfstoff in der Bevölkerung bereits vor den Thrombose-Vorfällen  zum „Schwarzen Schaf“ unter den Impfstoffen gemacht. Der jüngste Verdacht thromboembolischer Nebenwirkungen hat das Vertrauen in die Sicherheit des AstraZeneca Impfstoffs zudem beschädigt.

VOL.AT: Was sind die Vorteile, was die Nachteile des Impfstoffes?

Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein: Der AstraZeneca Impfstoff ist mit ca. zwei Euro pro Dosis sehr günstig und lässt sich in einem normalen Kühlschrank lagern. Dies macht ihn für groß angelegte Impfkampanien auch in Ländern mit einer weniger gut ausgestatteten Infrastruktur als Österreich besonders attraktiv. Die anfangs noch nicht ganz klare Wirksamkeit bei älteren Personen konnte mittlerweile anhand von Daten aus Großbritannien bestätigt werden, weswegen der Impfstoff nun auch bei uns bei Personen ab 65 Jahren eingesetzt wird. Ein Vorteil liegt auch in der relativ langen Zeitspanne von drei Monaten zwischen erster und zweiter Impfdosis. Durch die gewonnene Zeit für die Impfstoff-Lieferungen können aktuell mehr Menschen damit geimpft werden, was in Anbetracht der viel diskutierten dritten Welle besonders wichtig erscheint.

Andererseits scheint der Impfstoff von AstraZeneca bei bestimmten Mutanten, wie der südafrikanischen Variante, weniger gut zu wirken als die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Diese Varianten sind aber zum Glück, bis auf Ausnahme des Bezirks Schwaz in Tirol, noch kaum bei uns vertreten. Um den Impfschutz bei einem Überhandnehmen impfstoffresistenter Mutationen zu erhöhen, ist eine Auffrischung mit den Impfstoffen von Biontech/Pfizer oder Moderna nach einer Grundimmunisierung mit AstraZeneca möglich. Ein weiterer Nachteil des AstraZeneca-Impfstoffs scheinen die bei uns im Vergleich zu den anderen zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna verstärkt auftretenden Nebenwirkungen wie Fieber, Schüttelfrost und grippeähnliche Beschwerden zu sein. Interessanterweise lässt sich dieser Unterschied in Großbritannien aber nicht beobachten. Möglicherweise tragen neben den unterschiedlichen geimpften Altersgruppen auch die erhöhte mediale Aufmerksamkeit und das bei uns verbreitete schlechte Image des AstraZeneca-Impfstoffs zu einer erhöhten Melderate von Nebenwirkungen bei. Fachleute sprechen deswegen auch von einem Nocebo-Effekt des AstraZeneca Impfstoffs.

Dennoch, der Anteil der im zeitlichen Zusammenhang mit der COVID-19-Impfung stehenden Krankenhausaufenthalte ist anhand eines Berichts des „Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen“ (BASG) bei AstraZeneca rund doppelt so hoch wie bei BioNtech/Pfizer bzw. Moderna (19 von 128.650 versus 52 von 654.080 Geimpften). Ein häufigeres Auftreten von Nebenwirkungen beim AstraZeneca Impfstoff im Vergleich zu den beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffen erscheint deswegen tatsächlich möglich.

VOL.AT: Wie hoch ist sein Wirkungsgrad in Relation zu herkömmlichen Impfstoffen vor der Pandemie?

Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein: Neue Daten aus Schottland zeigen, dass der Impfstoff drei Wochen nach der ersten Dosis einen Schutz von 76 Prozent gegen eine COVID-19 Erkrankung aufweist und zu 94 Prozent weniger Klinikaufenthalten führt. Damit ist der Impfstoff von AstraZenca anderen herkömmlichen Impfstoffen, wie gegen die Grippe, welche eine Wirksamkeit zwischen 60 und 70 Prozent aufweisen, überlegen.

VOL.AT: Wie lässt sich die Thrombose-Gefahr bei dem Vakzin einstufen?

Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein: Mehrere Länder, darunter auch Österreich, berichteten vom Auftreten thromboembolischer Vorfälle ein bis zwei Wochen nach der Impfung. Die Herstellung einer ursächlichen Verbindung zwischen Impfung und Thrombose ist jedoch schwierig. Entsprechende Untersuchungen sind noch am Laufen. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) stellte am 15. März in einem Statement jedoch klar, dass die Anzahl der thromboembolischen Ereignisse bei AstraZeneca geimpften Personen insgesamt nicht höher zu sein scheint als in der Allgemeinbevölkerung. Gleichzeitig hielt sie fest, dass die Vorteile des AstraZeneca-Impfstoffs für die Prävention von Covid-19 die Risiken der Nebenwirkungen übertreffen. Das in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut hatte allerdings festgestellt, dass die in jüngerer Zeit in Deutschland aufgetretenen sieben (Stand 15. März) bzw. 13 (Stand 18. März) Fälle sogenannter Sinusvenenthrombosen, eine der großen Hirnvenen verstopfenden Blutgerinnsel, bei 1,6 Millionen mit dem AstraZeneca Vakzin geimpften Personen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung statistisch gehäuft aufgetreten waren – zu erwarten wäre für diesen Zeitraum nur ein Fall gewesen. Nach dieser Datenlage liegt das absolute Risiko für das Auftreten einer Sinusvenenthrombose nach einer AstraZeneca Impfung somit bei über 1:100.000. Eine jüngst veröffentlichte Auswertung der EMA konnte hingegen ein wesentlich geringeres Risiko ermitteln – bei 20 Millionen bislang mit dem AstraZeneca Vakzin geimpften Personen traten insgesamt nur 18 Fälle an Sinusvenenthrombosen bzw. sieben Fälle an Thrombosen in mehreren Blutgefäßen (disseminierte intravasale Gerinnung, DIC) auf.

Die EMA bekräftigte erneut, den Impfstoff weiter einzusetzen.

VOL.AT: Warum haben sich einige Länder entschieden, die Impfung mit AstraZeneca auszusetzen, während andere, wie Großbritannien, darauf schwören?

Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein: Deutschland folgte einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts, die Impfung mit AstraZeneca vorerst auszusetzen, um die Daten hinsichtlich des überproportionalen Auftretens von Sinusvenenthrombose mit den europäischen Partnern untersuchen und abgleichen zu können. Dies erscheint insofern nachvollziehbar, als auch jüngere Personen von diesen schweren Nebenwirkungen betroffen waren, bei denen das Nutzen-Risiko Verhältnis einer Impfung weniger hoch ist wie bei Älteren.

Die in Dänemark und anderen Ländern vereinzelt aufgetretenen Fälle thromboembolischer Ereignisse im zeitlichen Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung haben bereits zuvor zu einem Impfstopp in diesen Ländern geführt, obwohl bereits klar war, das die Anzahl der aufgetretenen Thrombosen bei geimpften Personen nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung und nach aktuellem Wissensstand von keinem ursächlichen Zusammenhang auszugehen war. Diese Entscheidungen scheinen deswegen eher politisch motiviert gewesen zu sein, um der Bevölkerung zu vermitteln, dass seitens der Regierung ausreichende Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich des in der EU mit einem schlechten Image behaftenten AstraZeneca-Impfstoffs getroffen werden. In Großbritannien, dem Land, in welchem bislang die meisten AstraZeneca-Impfdosen verabreicht wurden, konnten keine Auffälligkeiten beobachtet werden, weswegen dort uneingeschränkt weiter damit geimpft wird. Unabhängig der Ereignisse in Europa soll der Impfstoff von AstraZeneca in einem Monat auch in den USA zugelassen werden. In diesem Zusammenhang sagte der Leiter der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH), Francis Collins, es gebe "möglicherweise eine gewisse Überreaktion auf etwas, das in keiner Beziehung zu dem Impfstoff steht (there may be a bit of an overreaction to something that is unrelated to the vaccine itself)“.

VOL.AT: Wie beurteilen Sie die Entscheidung der EMA?

Priv.-Doz. Dr. Dr. Axel Mündlein: Das Sicherheitskomitee der EMA hält in ihrem Statement vom 18. März fest, dass die Vorteile des AstraZeneca Impfstoffs die Risiken von Nebenwirkungen weiterhin übertreffen, dass der Impfstoff das allgemeine Risiko für thromboembolische Ereignisse nicht erhöht und dass es ebenso keinen Beweis dafür gibt, dass es Probleme hinsichtlich der Sicherheit mit bestimmten Chargen oder Produktionsstandorten gibt. Die EMA bekräftigt damit ihre Aussage von Anfang der Woche.

Zusätzlich wird angeführt, dass der AstraZeneca Impfstoff mit sehr seltenen Blutgerinnungsstörungen, wie den Sinusvenenthrombosen, in Verbindung stehen kann. Auf dieses Risiko soll zukünftig hingewiesen werden. Diese Einschätzung der EMA ist natürlich richtig und entspricht den wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Erwartungen; zu groß wäre der hervorgerufene gesundheitliche Schaden an tausenden Europäern durch nicht vermiedene Covid-19 Erkrankungen, den ein Impfstopp hervorgerufen hätte.

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