AA

Arme als „Nächste“ begreifen

©VN
Bregenz - Vera Merkel brachte Sant Egidio nach Öster­reich. Die Bregenzerin lebt ihren Glauben.

Manchmal träumen angehende Maturanten von der großen Karriere. Wie sich das so anfühlen wird, als Banker oder Jurist . . .

Nicht für sich selbst

Vera Merkel geborene Tiefenthaler träumte anders. Die Bregenzerin war Anfang der Neunzigerjahre schon drauf und dran zu erfahren, „dass es wirklich etwas Schönes ist, nicht für sich selbst zu leben“. Den Blick zu weiten für die anderen. Deshalb arbeitete sie drei Monate lang bei der Lepraärztin Dr. Ruth Pfau in Pakistan. Deshalb hörte sie gespannt in einer Radiosendung das erste Mal von der Gemeinschaft Sant‘ Egidio in Rom. Neugierig geworden fuhr sie kurzerhand mit ihrer Schwes­ter Karin nach Trastevere. Und betrat eine andere Welt. Der römische Student Andrea Riccardi hat die Gemeinschaft Sant Egidio 1968 mit Freunden gegründet. Zusammen gingen sie in die Vorstädte Roms. Unterm Arm nicht die Maobibel, sondern das Matthäusevangelium. Ihr Markenzeichen waren die sieben „Werke der Barmherzigkeit“ – Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten – nichts weniger als die Verpflichtung, vor dem Bösen in der Welt nicht zu resignieren. Heute folgen weltweit an die 50.000 Menschen ihrem Beispiel. Vera und ihre Schwester führten die Gemeinschaftsmitglieder damals in die Zigeunerlager an der römischen Periferie. Nach der Matura kehrte Vera zurück und arbeitete ein halbes Jahr lang in der Altenbetreuung. „Nie dachte ich daran, selber etwas anzufangen in Österreich.“ Aber als sie abreiste, bestärkten sie die römischen Freunde: „Wir helfen dir!“

„Enorm bereichernd“

Also ging sie nach Wien. Erzählte Vorarlberger Studenten von ihren Erlebnissen. Gemeinsam zogen sie durch die Stadt. „Wir haben Wien mit anderen Augen kennen gelernt.“ Alsbald begannen sie mit Kindern in „Mini-Manhatten“ in Floridsdorf zu arbeiten. Gaben Nachhilfe. Betreuten Obdachlose. Und erfuhren ­„enorme Bereicherung durch die Freundschaft mit Armen, die wir ganz konkret viele Jahre begleiten dürfen“. Heute zählt der enge Kern in Wien 20 Freunde. Vera lebt inzwischen in Innsbruck und heißt Merkel. Ihren Mann lernte sie ebenfalls bei Sant Egidio kennen. Auch in Vorarl- berg findet die Idee von Sant Egidio inzwischen Verbreitung. Vor Wochen wurde ihr Gründer Andrea Riccardi in Aachen mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Denn die Gemeinschaft leistet auch auf diplomatischer Ebene unverzichtbare Friedensdienste.

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • VN-Menschen
  • Bregenz
  • Arme als „Nächste“ begreifen