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Antisemitismus: Verurteilen reicht nicht

©APA/dpa/Sven Kaeuler
GASTKOMMENTAR VON JOHANNES HUBER. Österreich braucht dringend einen Robert Habeck, der erklärt, worum es geht.

Das Lichtermeer auf dem Heldenplatz war ein wichtiges Zeichen gegen Antisemitismus. Ebenso wie die klaren Worte, die der Kanzler und andere Politiker nach dem Anschlag auf die jüdische Zeremonienhalle auf dem Zentralfriedhof gewählt haben. „Antisemitismus hat keinen Platz in unserer Gesellschaft und wird mit allen politischen und rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft“, stellte etwa Karl Nehammer auf Twitter (X) klar.

Das reicht jedoch nicht. In Wirklichkeit hat Antisemitismus nämlich viel zu viel Platz in unserer Gesellschaft. Es gibt radikale Kräfte, die ihn offen betreiben. Und eine Masse, bei der er mehr oder weniger tief sitzt. Laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr, die im Auftrag des Parlaments erstellt worden ist, meint etwa ein Fünftel der Menschen in Österreich, dass Jüdinnen und Juden „zumindest zum Teil“ selbst daran schuld seien, dass sie in der Geschichte so oft verfolgt wurden.

Antisemitismus ist da oft etwas Unbewusstes. Das macht nichts besser, ist aber wichtig: Es geht um etwas, was über Jahrhunderte gewachsen ist. Antisemitismus gab es auch lange vor dem Nationalsozialismus. Katholischen zum Beispiel. Durch den Holocaust erreichte er eine unsagbare Dimension. Zu lange danach hat man sich jedoch davor gedrückt, sich dieser Schuld zu stellen. Erst spät hat man zum Beispiel auch angefangen, sich zu vergegenwärtigen, welche Bedeutung es durch den Massenmord in Konzentrationslagern bekommen hat, wenn man sagt, man mache etwas „bis zur Vergasung“ oder irgendjemand falle „durch den Rost“.

Parallel dazu ist muslimischer Antisemitismus aufgekommen. Er ist sogar ausgeprägter, wie die Studie des Parlaments bestätigt. Und wie man heute durch Sympathiebekundungen für die Terrororganisation Hamas sieht. Das ist bedrohlich.

In Deutschland hat sich der grüne Vizekanzler Robert Habeck nun in einer knapp zehnminütigen Rede klar dagegengestellt: Das Preisen der Hamas und das Verbrennen der israelischen Flagge sei eine Straftat, betont er: „Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen. Wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden.“ Nachsatz: „Toleranz kann keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens.“

Zentral ist auch, was Habeck zum Verhältnis zu Israel sagt: Die Generation seiner Großeltern habe jüdisches Leben in Europa einst vernichten wollen. Deutschland sei daher verpflichtet, das Schutzversprechen an das jüdische Volk durch die Gründung des Staates Israel zu erfüllen.

Wo ist der österreichische Habeck, der vergleichbares sagt? Es wäre so wichtig. Bundeskanzler Nehammer und die Vorsitzenden der übrigen Parlamentsparteien haben sich darauf beschränkt, kryptisch festzustellen, dass Österreich aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung habe und Israel nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober daher nicht im Stich lassen werde.

These: Zu vielen ist nicht klar, was gemeint ist. Für Deutschland hat es Habeck ausgeführt. Aber für Österreich? Bei der Studie des Parlaments haben ganze 30 Prozent der Befragten angegeben, dass Israel die Palästinenser „im Grunde auch nicht anders behandelt als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden“. Das erklärt ein bisschen, dass nicht wenige zumindest ein gewisses Verständnis für das Vorgehen der Hamas aufbringen. Dass sie übersehen, dass diese letztlich nur ein Ziel hat: Israel und seine Bewohner vernichten. Und dass sie am 7. Oktober gezeigt hat, dass sie das ernst meint.

Österreich muss Stellung dagegen beziehen. Da gibt es keine Neutralität. Es geht darum, sich gegen einen weiteren Holocaust zu positionieren. Das schließt nicht aus, Israels Vorgehen in diesem Krieg mit Blick auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen differenziert zu sehen. Im Gegenteil. So viel Unterscheidungsfähigkeit sollte jedoch selbstverständlich sein.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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