AA

Amoklauf in Graz - Notfallpsychologin: Fokus auf Opfer, nicht Täter

Barbara Juen warnt davor, dem Täter eine Bühne zu geben.
Barbara Juen warnt davor, dem Täter eine Bühne zu geben. ©APA
Um Traumata wie den mutmaßlichen Amoklauf an einer Schule in Graz kollektiv aufzuarbeiten, sollte die Gesellschaft ihren Fokus auf Gemeinschaftliches richten, sagte Notfallpsychologin Barbara Juen im APA-Gespräch.
So reagieren Vorarlberger Schulen
"Meine Freundin geht in die Schule, wo..."

Die außerordentliche Professorin an der Universität Innsbruck ist auch fachliche Leiterin der Psychosozialen Dienste vom Österreichischen Roten Kreuz. Anstatt den Täter ins Zentrum zu stellen, sei es sinnvoll, Opfer und Rettungsmaßnahmen zu beleuchten.

"Taschenlampe auf positive Seiten schwenken"

Es gebe die Tendenz zu sagen, "alles wird schlimmer, alle sind egoistisch", sagte Juen. Doch das entspreche nicht der Realität. "Es ist gesamtgesellschaftlich wichtig, die Taschenlampe auf die positiven Seiten zu schwenken." Laut der Expertin gibt es nach Taten wie dieser schnell Schuldzuweisungen. Die Suche nach einem Schuldigen sei jedoch ein "Impuls, den man unterdrücken sollte". Denn dadurch können Wut- und Rachegefühle gegenüber der Familie von mutmaßlichen Tätern oder anderen Gruppen, denen ein Täter vielleicht angehört hat, entstehen. Und es sei möglich, dass diese Rachegefühle in Gewalt münden.

Wie auch bei Suiziden bestehe bei Taten wie dem Amoklauf die Gefahr der Nachahmung, erklärte Juen. "Je mehr man das Gefühl hat, dass der Täter eine 'heldenhafte', spektakuläre oder medienwirksame Tat vollbracht hat, desto mehr werden Nachahmer angeregt."

Ressourcen waren "schon einmal schlechter"

Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, die nicht direkt beteiligt waren, nach solchen Vorfällen psychische Störungen entwickeln, sei sehr gering, betonte die Psychologin. "Die Mehrheit wird sich erholen", sagte Juen. "Wenn außergewöhnliche Dinge passieren, dann brauchen Kinder zunächst einmal das Gewöhnliche." Das seien normal verfügbare Bezugspersonen. Auch Erwachsene brauchen ihre "normale, verlässliche Umgebung". Erst wenn sich zeige, dass dies nicht ausreicht, ist weitere Hilfe nötig.

Auf die Frage, ob es in Österreich diesbezüglich genügend Ressourcen gebe, sagte die Fachfrau nein, doch die Situation "war schon einmal schlechter". Die Bemühungen nach der Pandemie hätten einiges Neues gebracht, es gebe aber nach wie vor "Engpässe". Als Positivbeispiele nannte Juen die Initiative "Gesund aus der Krise", die relativ schnelle Therapiemöglichkeiten für Jugendliche biete, und die Psychosozialen Zentren.

Hilfe suchen, wenn man Alltag nicht bewältigen kann

Hilfe bei der Bewältigung solcher Erlebnisse sollten sich Personen spätestens suchen, wenn sie im Alltag, in ihrem Beziehungsleben oder am Arbeitsplatz, nicht mehr zurechtkommen. Bemerkt man Veränderungen im Verhalten seiner Kinder, sollte man frühzeitig Hilfe in Anspruch nehmen. Solche Änderungen zeigen sich beispielsweise darin, dass das Kind nicht mehr in die Schule geht, keinen Freundeskreis mehr hat oder nicht mehr wie früher spielt, führte Juen aus.

(APA)

  • VOL.AT
  • Österreich
  • Amoklauf in Graz - Notfallpsychologin: Fokus auf Opfer, nicht Täter