AA

Alltag trotz Schock und Trauer

Eindrückliches Staffelfinale
Eindrückliches Staffelfinale
Knapp 200 BesucherInnen erlebten im ORF-Publikumsstudio den letzten Vortrag in der aktuellen Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs. Barbara Juen sprach darüber, was Kinder brauchen, wenn etwas Schlimmes passiert.

Nach traumatisierenden Ereignissen sind wahrheitsgemäße Antworten und so viel Normalität wie möglich wichtig. Barbara Juen weiß, wovon sie spricht. Als Notfallpsychologin war sie u. a. beim Amoklauf von Winnenden und der Brandkatastrophe der Gletscherbahn Kaprun im Einsatz.

Als ob die Welt zusammenbricht

Kinder entwickeln die Vorstellung, dass die Welt ein gutartiger Ort ist und sie selbst etwas bewirken können. So der Normalfall. Tritt jedoch ein Notfall ein, werden diese Grundannahmen erschüttert. „Ein plötzliches unvorhergesehenes Ereignis und gleichzeitig erlebte Hilflosigkeit können bei Kindern das Gefühl auslösen, dass die ganze Welt zusammenbricht “, so die Innsbrucker Expertin. Gerade dann sei es wichtig, Kindern Zuwendung, Hoffnung und Sicherheit im Alltag zu geben.

„Normal“ steht auf der Tagesordnung

Wenn etwas Schlimmes passiert ist, brauchen Kinder laut der Expertin so viel Normalität wie möglich. „Je schrecklicher das Ereignis, desto mehr glauben wir, Kindern etwas Außergewöhnliches bieten zu müssen“, weiß Juen aus über 20 Jahren Praxiserfahrung. Stattdessen müssen Kinder erleben, dass der Alltag weiter geht. Dazu gehört die Aufrechterhaltung von familiären Ritualen wie das gemeinsame Essen ebenso wie der Kontakt zu gewohnten Bezugspersonen. Strukturen und klare Grenzen erleichtern es Kindern, nach einem unvorhergesehenen Ereignis wie dem Tod eines Elternteils mit den neuen Lebensumständen zu Recht zu kommen.

Bei der Wahrheit bleiben

„Wir schaffen das gemeinsam, wir halten zusammen“, sei eine essenzielle Botschaft, die es zu vermitteln gelte. Darüber hinaus plädiert die Psychologin dafür, bei der Wahrheit zu bleiben. Um zu verstehen, bräuchten Kinder größtmögliche Offenheit und Erwachsene, die sich auf ihre Fragen einlassen, auch wenn sie nicht immer eine Antwort parat haben. „Es ist sehr schmerzhaft, bei einem Suizid oder einer Trennung die Frage nach dem Warum nicht beantworten zu können.“ Oft seien Eltern und Erwachsene der Meinung, betroffene Kinder zu schonen, indem sie ihnen die Wahrheit vorenthalten, ihnen eine Scheinwirklichkeit vermitteln oder durch eine Lüge einen „Aufschub“ erwirken. Wenn einem 8-jährigen Jungen erzählt wird, dass sein Vater, der Suizid begangen hat, in den Urlaub gefahren ist und der Bub durch seine Klassenkameraden die Wahrheit erfährt, bleibt dies nicht ohne Folgen für das Kind. „Wir müssen uns nicht davor fürchten, offen mit den Kindern zu reden und gemeinsam nach Antworten zu suchen“, erklärt die Leiterin des Instituts für Psychologie der Universität Innsbruck.

Erinnerungshilfen

Zudem bräuchten Kinder Erinnerungshilfen, denn sie müssen eine neue Beziehung zu der verstorbenen Person aufbauen. Dies sei auch deshalb wichtig, weil „Trauer uns ein Leben lang begleitet und in jeder Entwicklungsphase wieder relevant wird“. Barbara Juen betont, dass in Trauerphasen Pausen erlaubt, ja wichtig sind und „man auch lachen darf, wenn man trauert“. Für Kinder seien Ablenkung, Bewegung, Spiel und Freunde gerade nach plötzlichen, tiefgreifenden Ereignissen angesagt. Grundsätzlich würden Kinder ganz unterschiedlich auf plötzliche Krisen und Tod reagieren als Erwachsene und schnell „aus der Emotion rausswitchen, wenn man sie lässt“.

Angst nehmen und Grenzen setzen

Trauma-Symptome bei Kindern reichen von Ängsten und heftigen Reaktionen auf bestimmte Geräusche, Gerüche und Bilder, die an das schlimme Ereignis erinnern, über Schlaf- und Konzentrationsprobleme, Regression, Klammern, Rückzug bis zu Aggression. Als Erwachsener gelte es, auf das Kind einzugehen, ihm aber auch Stück für Stück die Angst zu nehmen und es wieder zur Normalität hinzuführen. „So viel Zuwendung und Nähe wie möglich, aber auch klare Grenzen setzen“, laute die Devise, denn „zu wenig Grenzen“ sei neben„ fehlender Offenheit und Überprotektion“ ein häufiger Fehler im Umgang mit Kindern, die Krankheit, Tod oder Trennung in ihrem nahen Umfeld verkraften müssen.

Die Kindheit ist nicht vorbei

Emotionen teilen, aber nicht überfordern, Vertrauen schaffen, wenn das Familiensystem erschüttert ist, die Macht der Gewohnheit beschwören, wenn die Welt droht auseinanderzufallen – es ist keine leichte Aufgabe, die Familien nach einem traumatischen Ereignis bewältigen müssen, aber: Das Leben geht trotzdem weiter, für Erwachsene wie für Kinder, deren Kindheit nicht vorbei, ganz sicher aber anders ist.

Die Reihe „Wertvolle Kinder“ geht nun in die Sommerpause, bevor im Herbst die 15. Runde mit neuem Themenschwerpunkt startet. Der Vortrag von Barbara Juen steht in der Vokithek des Vorarlberger Kinderdorfs (https://www.vorarlberger-kinderdorf.at/familienimpulse/vortraege-nachhoeren-und-sehen) zum Nachhören bereit.

Die Vortragsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird gemeinsam mit dem ORF Vorarlberg und Russmedia durchgeführt und vorwiegend vom Land Vorarlberg/Fachbereich Kinder und Jugend finanziert. Sämtliche Vorträge können in der Vokithek des Vorarlberger Kinderdorfs unter www.vorarlberger-kinderdorf.at nachgehört werden.

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Dornbirn
  • Alltag trotz Schock und Trauer