Von Anbeginn der Ukraine-Krise schauten hiesige Staatsmedien verächtlich auf Kiews proeuropäische Maidan-Proteste. Die These: Demokratie führe zu Chaos. Ausgerechnet hier geht es jetzt also um Frieden auf dem Kontinent.
Schon vor dem Gipfel der Kanzlerin und der Präsidenten von Frankreich, der Ukraine und Russlands am Mittwoch macht die Staatspropaganda einen Sieger aus: Lukaschenko. Im November stellt er sich erneut zur Wahl.
Ausgang der Verhandlungen in Minsk völlig offen
Im neuen Palast der Unabhängigkeit mit seinen prunkvollen Marmorsälen empfängt Lukaschenko Merkel mit einem Strauß weißer Tulpen und ein paar roten Blüten – Weiß soll wohl für Frieden und Hoffnung stehen. Brüderlich umarmt der Gastgeber den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko.
Für den französischen Staatschef François Hollande, der mit Merkel über den roten Teppich schreitet, gibt es einen Handschlag. Als letzter – wie so oft – trifft Kremlchef Wladimir Putin ein. Die Gespräche beginnen erst nach 20 Uhr Ortszeit, Länge und Ausgang offen.
Letzte Chance auf Frieden in der Ukraine?
Das Minsker Treffen gilt als ein letzter Versuch, ein noch größeres Blutvergießen in der Ostukraine zu verhindern. Acht Monate dauern die Gefechte der Regierungstruppen gegen prorussische Separatisten schon an. Tausende Menschen starben. Poroschenko besucht vor seiner Reise nach Minsk demonstrativ in Uniform Verletzte in einem Krankenhaus.
Vermittler, Diplomaten und Vertreter der Konfliktparteien hofften bis zuletzt, dass dieser graue Wintertag historisch wird und zu Frieden führt. Schon vor der Ankunft der Staatenlenker waren in Minsk Separatisten mit dem ukrainischen Ex-Präsidenten Leonid Kutschma zusammengetroffen, um über eine Waffenruhe zu verhandeln. Westliche Diplomaten vermitteln. Auch die Emissäre des Kreml sind in der Stadt.
“Hoffnungsschimmer, aber auch nicht mehr”
Was Merkel und Hollande Präsident Putin womöglich für Frieden in der Ukraine anbieten werden, ist offen. Möglicherweise legen sie ihm noch einmal die Bildung einer gemeinsamen Freihandelszone der EU und Eurasischen Wirtschaftsunion aus Russland, Weißrussland, Armenien und Kasachstan nahe. Ob es in Minsk einen Erfolg gibt? Merkel vermied es bis zur Abreise, zu hohe Erwartungen zu wecken. So sagte ihr Sprecher Steffen Seibert noch am Vormittag in Berlin: “Dass diese Reise stattfindet, bedeutet einen Hoffnungsschimmer, aber auch nicht mehr.”
Eskalationsspirale droht
Sollten die Verhandlungen scheitern, dürfte die Europäische Union sehr schnell die Sanktionen gegen Russland verschärfen. Es werden weiter Menschen in der Ukraine sterben. Und der Konflikt zwischen Ost und West wird noch brisanter. In Washington heißt es, dass US-Präsident Barack Obama dann dem innenpolitischen Druck kaum noch standhalten könnte und auf Forderungen nach Waffenhilfe für Kiew eingehen müsste. Für Merkel eine katastrophale Gewaltspirale.
Obama steht zuhause unter Druck
Obama selbst wolle keine Waffenlieferungen, heißt es. Er greift kurz vor dem Gipfel zum Telefon, um mit Putin zu reden. Es ist das erste Gespräch der Beiden seit langem. Obama fordert Putin auf, seine Unterstützung für die Separatisten zu beenden und das Land seinen eigenen Weg gehen lassen – in EU und Nato. Und Putin betont einmal mehr, dass die Krise nur durch einen innerukrainischen Dialog und ein Ende der Wirtschaftsblockade des Donbass zu beenden sei.
USA in der einen, Russland in der anderen Ecke
Dass aber Moskau und Washington weiter völlig unterschiedliche Sichtweisen auf die Wurzeln des Konflikts haben, ist aus der Kremlmitteilung zum Telefonat ebenfalls abzulesen. Die Russen haben den US-Amerikanern immer wieder vorgeworfen, bei den blutigen Umbrüchen in der Ukraine Regie zu führen. Dass Scharfmacher in den USA Waffenlieferungen fordern, ist zumindest aus Moskauer Sicht ein Beleg dafür, dass es den USA um eine Eskalation der Krise gehe.
Dazwischen: Angela Merkel
Merkel versucht, Putins Denkweise nachzuvollziehen. Sie versteht aber nicht, dass er offensichtlich denkt, dem Westen gehe es nur um eine Machtdemonstration und Demütigung Russlands. Dem Westen gehe es um die Selbstbestimmung der Länder, ihre territoriale Integrität und Frieden in Europa.
Kiew braucht Frieden – und Milliarden an Hilfsgeldern
Auch Poroschenko hat ein Interesse am Frieden, obwohl der innenpolitische Druck in Kiew auf ihn groß ist, die abtrünnige Region Donbass mit militärischer Gewalt “zu befreien”. Poroschenko weiß, dass im Fall eines großen Krieges die für die marode Wirtschaft und Reformen des Landes wichtigen Milliardenhilfen des Westen ausbleiben.
Die führenden westlichen Industrieländer (G7) loten derzeit unter deutscher Präsidentschaft mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Finanzhilfen für die Ukraine aus. Die bisherige internationale Hilfssumme von 17 Milliarden Dollar galt zuletzt als unzureichend, um das krisengeschüttelte Land finanziell zu stützen. Spekuliert wird über ein weit größeres Hilfspaket – von etwa 40 Milliarden Dollar. (red/APA)
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