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Alex aus Bludenz: "Hätten mich wegsperren sollen"

Interview mit Coach Alexander Wieser
Interview mit Coach Alexander Wieser ©W&W/Aida Omerovic
Prügelknabe, Kopf einer Diebesbande, Häftling: Alex aus Bludenz hat so einiges hinter sich. Nun will er andere warnen.

Von Anja Förtsch/Wann & Wo

Ein paar Männer ziehen Alex einen Sack über den Kopf, führen ihn aus dem Gebäude und setzen ihn in ein Auto. Kurz darauf wird er aus dem Wagen geholt, er hört, wie sich Türen öffnen und schließen, dann wird er auf einen Stuhl gesetzt, der Sack wird ihm vom Kopf gezogen. „Wir waren bei dir zuhause“, sagt der Mann, der ihm gegenüber sitzt. „Eine liebe Familie hast du. Es liegt an dir, ob du sie so schnell wiedersiehst.“ Was da abläuft, ist kein Actionfilm. Und Alex Wieser auch nicht der glorreiche Held, der sich gegen Unrecht zur Wehr setzen muss. Im Gegenteil: Der Mann, der ihm gegenübersitzt, ist Kriminalpolizist. Und Alex angeklagt wegen Raubes, Diebstahls und noch 21 weiteren Delikten. „Fünf Minuten hat der Beamte mit mir geredet. Fünf Minuten, in denen ich entschieden habe, mein ganzes Leben von Grund auf umzukrempeln. Radikal“, erinnert sich Alex.

Mit 18 auf die schiefe Bahn

Alex‘ Weg auf die schiefe Bahn beginnt schon früh. „Seit ich denken kann, hat mein Vater mich geschlagen und erniedrigt“, schildert der 42-Jährige. Dass er mit blauen Flecken und zerrissenen Heften in die Schule kam, dass er tagelang daheim blieb, weil er vor Schmerzen einfach nicht sitzen konnte, dass die Mutter ihn mehrfach ins Spital bringen musste – all das hat niemand gesehen. „Nachdem sich meine Eltern scheiden ließen, kam mein Vater wieder auf mich zu. Da war ich gerade 18. Er sagte, er wolle ein Geschäft mit mir starten und brauche mich als Bürge. Es ging um 170.000 Euro.“ Alex glaubt, dass sein Vater die Beziehungen zu ihm kitten wolle, steigt auf das Geschäft ein – und sein Vater setzte sich mit dem Geld ins Ausland ab. „Da stand ich nun, 18 Jahre alt und mit 170.000 Euro Schulden.“ Alex rackert sich ab, arbeitet nachts in einer Schokoladenfabrik, am Morgen in einer Bäckerei, tagsüber als Mechaniker und am Abend als Türsteher. „Aber es reichte nicht. Und so geriet ich auf die schiefe Bahn.“ Alex schließt sich einer Diebesbande an, wird ihr Anführer, zieht mit ihnen 18 Diebstähle durch. „Bis einer aus der Gruppe redete und die Kripo mich festnahm.“ Dreieinhalb Jahre bekommt er, auf Bewährung. „Aus heutiger Sicht wäre es besser gewesen, sie hätten mich gleich weggesperrt“, sagt er bitter. Denn die Schulden lasten weiter schwer auf ihm. Und er macht weiter: „Ich bin dann in eine Jugendmafia gerutscht. Wir verübten Raubüberfälle auf Tankstellen, Diebstähle bei Juwelieren, sogar einen Geldtransport wollten wir überfallen.“ Doch bevor es dazu kommt, ziehen ihm Kripobeamte einen Sack über den Kopf.

180-Grad-Wende

Alex gesteht. Alles. „Zwei Tage habe ich geredet, nur zum Essen und Schlafen eine Pause gemacht.“ Er bekommt zehn Monate Haft, die härteste Zeit seines Lebens – nicht weil er sich selbst bemitleidet, sondern weil er um seine Familie bangt. „Ich wollte nicht, dass mein damals zweijähriger Sohn mich so sieht. Aber von meiner Zelle aus konnte ich auf den Gefängnis-Parkplatz schauen. Zu sehen, wie meine Frau dort mit meinem Kind spielt, das hat sogar mir die Tränen in die Augen getrieben. Ich habe ihm jeden Tag einen Brief mit einer Gute-Nacht-Geschichte geschrieben, meine Frau hat sie ihm jeden Abend vorgelesen.“ Nach seiner Entlassung krempelt Alex sein Leben komplett um. Er zahlt die Schulden zurück, entschuldigt sich bei jedem einzelnen Geschädigten persönlich. „Die Reaktionen waren unterschiedlich. Manche haben mir nicht die Tür geöffnet. Ein anderer ist heute sogar mein Geschäftspartner und sponsert meine Veranstaltungen.“ Denn Alex will warnen. Deshalb geht er in Schulklassen und Firmen, warnt vor Mobbing und fördert als Coach eine offene und ehrliche Kommunikation. „Ich will einfach erreichen, dass niemand das durchleben muss, was ich durchleben musste.“

(Text von Anja Förtsch/Wann & Wo)

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