LKH Bregenz: "Unser Haus wird immer wieder negativ in den Medien präsentiert"
Christian Huemer ist im Gegensatz zu vielen entzürnten Vorarlbergern ein Befürworter der Reform. Die geplante Zusammenlegung medizinischer Fachbereiche sei "ein ganz logischer Schritt", sagt Huemer im Gespräch mit VOL.AT. Er spricht über die bis Ende Dezember erwartete Entscheidung, dass im Landeskrankenhaus Bregenz der Schwerpunkt Mutter-Kind-Zentrum vorgesehen ist. Im umgekehrten Sinn wird die große Abteilung für Traumatologie und Orthopädie in Dornbirn eine Abteilung bilden.
Worüber man spricht und worüber man nicht spricht
VOL.AT: Vor allem die erwartete Zusammenlegung der Geburtenstation in Bregenz, statt wie erwartet in Dornbirn, sorgt für große Aufruhr, eine Petition und Emotionen – warum wird über die Zusammenlegung der Traumatologie und Orthopädie nicht wirklich gesprochen?
Christian Huemer: Ich denke, beim Thema Geburtshilfestandort ist mehr Emotion in der ganzen Diskussion. Ich kann das gut nachvollziehen, auch die Ängste, die man hat, ob das alles gut gehen wird. Andererseits, was wir jetzt sehen, ist, dass gerade eine größere Geburtshilfe zu bilden, Sinn macht und mehr Sicherheit und mehr Qualität bietet. In der Traumatologie ist diese Diskussion mindestens so sensibel. Es passieren viele Unfälle im Land Vorarlberg, die perfekt versorgt werden und auch in Zukunft versorgt werden müssen.
20.000 Patienten und 1100 Geburten im Jahr
VOL.AT: Es sind nicht nur viele Unfälle, es sind mehr Unfälle als Geburten…
Huemer: Die unfallchirurgische Ambulanz allein im LKH Bregenz sieht pro Jahr 20.000 Patientenfälle. Das ist bei weitem die größte Patientenzahl, die ein einzelner Fachbereich sieht.
VOL.AT: Wie viele Geburten gibt es?
Huemer: Wir haben hier in Bregenz knapp über 1100 Geburten in den letzten Jahren gehabt. Meines Wissens sind es in Dornbirn circa 1200 Geburten. Das ist also in etwa eine Dimension, die auf Augenhöhe ist. Die beiden zusammenzuführen, ist auch eine Riesendimension. Damit ist tatsächlich der Standort Bregenz nach Salzburg, Innsbruck einer der größten geburtshilflichen Standorte in Westösterreich. Das ist beeindruckend, aber machbar. Auch hier sind wir überzeugt, dass das gut zu managen sein wird.
Stimmung im LKH Bregenz nicht emotional und doch emotional
VOL.AT: Die Zusammenlegungen betreffen zwei Standorte. Doch die kritischen Stimmen aus Dornbirn waren lauter als die aus Bregenz. Wie nehmen Sie die Stimmung im LKH Bregenz wahr?
Huemer: Die Diskussion hier nicht so emotional zu erleben, sehe ich als positiv an. Unsere Mitarbeiter verhalten sich in der Gesamtdiskussion sehr resilient, was ich ihnen hoch anrechne. Ich wünsche mir, dass man insgesamt in der Bevölkerung und auch innerhalb der Kollegenkreise von der Protesthaltung in eine proaktive Haltung übergehen sollte. Es macht keinen Sinn, sich gegenseitig zu kritisieren.
VOL.AT: Die Dornbirner gingen auf die Straße. Wie ist die Stimmung beim medizinischen Personal in Bregenz?
Huemer: Ich rechne es den Mitarbeitern hier hoch an, Ärzte, Pflege genauso, dass sie nicht auf der Straße waren, dass sie diesen Prozess eigentlich resilient hingenommen haben und das Wegziehen einer riesigen Traumatologie auch akzeptieren, ohne zu protestieren, jedenfalls nicht auf der Straße. Ich denke, die Erwartung jetzt der Mitarbeiter hier im Haus ist, dass sie bereit sind und auch eigentlich begeisterungsfähig sind, gerne einladen wollen, auch die Kollegen aus dem Krankenhaus Dornbirn gemeinsam mitzugestalten.
VOL.AT: War die öffentliche Debatte für das LKH Bregenz belastend?
Huemer: Ich habe jetzt das Thema am Tisch, dass unser Haus immer wieder negativ in den Medien präsentiert wird: Also im Sinne, es würde Qualität verloren gehen, wenn Strukturen zu uns kommen, ins Krankenhaus in der Landeshauptstadt. In den Protestkundgebungen wurde immer wieder auch von Zertifizierungen, die man verlieren würde, wenn man nach Bregenz ziehen würde, gesprochen. Diese Zertifizierungen können natürlich durchaus auch an unserem Standort erneuert werden.
VOL.AT: Was sagen Sie zu diesem Vorwurf, dass Qualität verloren gehen könnte?
Huemer: Das sehe ich natürlich gar nicht so. Es wird hier auch absolute Spitzenmedizin geboten. Ich denke, es ist total wichtig, jetzt die Emotionen schrittweise hintenanzustellen und in ein produktives gemeinsames Gestalten zu kommen.
Qualität versus Ökonomie
VOL.AT: Wäre überhaupt genügend Platz für die andere Variante, die zusammengelegte Traumatologie und Orthopädie in Bregenz, gewesen?
Huemer: Ich weiß, dass im Hintergrund um einzelne Betten diskutiert wurde. Von Seiten der Kapazität in der Bettenstruktur wäre es möglich gewesen. Kritisch wäre eine umgekehrte Variante in der OP-Kapazität gewesen. Unser Haus hat nicht die OP-Kapazität wie das Krankenhaus Dornbirn. Wir haben im Moment nicht alle OPs geöffnet. Wir könnten im Moment die OP-Frequenz einer großen Traumatologie und Orthopädie in Bregenz nicht zusätzlich zur OP-Frequenz unserer Abteilungen für Chirurgie und Urologie in dieser Größe abbilden.
VOL.AT: Also macht die geplante und viel öffentlich kritisierte Variante für Sie mehr Sinn?
Huemer: Aus unserer Sicht ist diese vorgeschlagene und nun aus unserer Sicht kommende Variante die am besten machbare.
Welche Herausforderungen kommen auf die Pädiatrie an Ihrem Standort zu?
Huemer: Also Klarheit zu schaffen, ist ganz wichtig, weil wir die Infrastruktur anpassen müssen, ohne dass es eine Belastung für die Beteiligten oder ein Risiko für die Patienten bedeutet. Es braucht für die Geburtshilfe hier, die deutlich größer sein wird, zusätzliche Kreißsäle und OP-Kapazität. Es braucht für die Pädiatrie Kapazitätserweiterung, für ambulante und stationäre Versorgung, vor allem braucht es eine deutliche Erweiterung der Intensiv-Überwachungsstation für Neugeborene. Im umgekehrten Sinne braucht es eine Erweiterung der Möglichkeiten im Krankenhaus Dornbirn für Traumaversorgung, für Operationen. Also das ist etwas, was wir aufbauen müssen, aber für machbar halten.
Also es wird nicht, wie von manchen vorab befürchtet, an Personal gespart?
Huemer: Das muss ich ganz klar betonen: Es war in diesem gesamten Prozess des Spitalscampus 2023 immer Thema, die Ressourcen für die Mitarbeiter zu stärken. Es war nie Ziel, Personal freizusetzen.
Personalkürzungen wurden zwischenzeitlich befürchtet.
Huemer: Natürlich und nachvollziehbar. Auch wir sind Teil des Systems und müssen ökonomisch denken. Aber im Vordergrund der Diskussion, auch für uns, wurde immer klar hervorgehoben, dass es viel mehr zählt, wie wir in der Qualität, in der Schwerpunktsetzung, in den Spezialisierungen und den Ausbildungsangeboten besser werden können.
Der Kinderschwerpunkt soll nach Bregenz und die Unfallchirurgie nach Dornbirn. Doch wo wird ein Kind mit Knochenbruch operiert und behandelt und stationär betreut?
Huemer: Das sind alles Fragen, die am Tisch sind, wo wir noch Antworten entwickeln müssen. Medizinisch gesehen macht es Sinn, dass jeder Weg, der Kindern und deren Eltern aufgebürdet werden würde, der vermeidbar ist, vermieden werden sollte. Wenn ein Kind eine größere Fraktur hat, Oberschenkelfraktur zum Beispiel, und operiert werden muss, dann müssen wir uns das überlegen. Diesbezügliche Lösungsvorschläge gibt es schon, aber hier möchte ich nicht vorgreifen, das werden wir gemeinsam im Gesamtteam abstimmen.
Also es könnte schon passieren, dass ein Kind in Dornbirn neben einem Senior liegt?
Huemer: Da sage ich klar, das wollen wir auf keinen Fall. Also Kinder brauchen eine kindgerechte Versorgung, da gibt es auch europäische Richtlinien dazu, das würde ich auf keinen Fall unterstützen.
Wohin geht der Bregenzer, der sich beim Kochen in den Finger schneidet?
Huemer: Das müssen wir uns differenziert in den nächsten Monaten der Planung genau überlegen. Es gibt banale Unfälle, die wir als Mediziner nicht so alarmierend finden, die aber trotzdem gut versorgt sein müssen. Damit meine ich Schnittverletzungen, Prellungen, leichte Gehirnerschütterungen. Das sollte wahrscheinlich auch in Zukunft an allen Standorten versorgt werden können. Es macht keinen Sinn, einen Patienten, der sich in der Hausarbeit in den Finger geschnitten hat, nur noch in das Traumaschwerpunkt-Krankenhaus Dornbirn zu verfrachten. Wir haben den Auftrag, hier am Krankenhausstandort Bregenz eine Traumaversorgung ambulant anzubieten.
Kann wertvolle Zeit verloren gehen, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher von Bregenz mit einer komplexen Trauma- oder Sportverletzung nach Dornbirn muss?
Huemer: Das müssen wir vermeiden. Dazu muss ich ganz klar sagen: Das findet auch jetzt schon statt. Wir haben im Land schon im Rettungssystem sehr gut hinterlegt, wo zum Beispiel Patienten nach schwersten Trauma-Events vom Notarzt oder Rettungsdienst hintransferiert werden sollten. Schwere Schädelverletzungen müssen zum Schwerpunkt-Krankenhaus in Feldkirch hintransferiert werden, weil dort die Neurochirurgie ist. Man muss nicht fürchten, dass wir das alles neu denken müssen.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass der neonatologische Dienst rund um die Uhr in Bregenz möglich wäre, wenn man die pädiatrischen Teams zusammenlegt. Was bedeutet das genau?
Huemer: Das ist einer der sensibelsten Bereiche, den wir im Fachbereich Kinder- und Jugendheilkunde überhaupt haben. Dass wir uns auch um die Neugeborenen unserer geburtshilflichen Partnerabteilungen kümmern. Wir rechnen circa mit zehn Prozent der Neugeborenen, dass die nicht ganz gesund sind. Die Zahl gilt international als Richtzahl und entspricht auch unserer Erfahrung. Wir rechnen damit, dass wir mehrere Hundert, circa 300 kranke Neugeborene im großen geburtshilflichen Standort in Bregenz versorgen müssen, neonatologisch.
Was bedeutet neonatologische Versorgung?
Huemer: Das heißt, zunächst Atemunterstützung anbieten müssen und viele andere Dinge, die so ein Kind braucht. Es gibt hier Grenzen, die das Gestationsalter sehr stark bestimmt. Bestimmte Geburten finden gar nicht hier statt, sondern am Schwerpunkt-Krankenhaus Feldkirch mit der Intensivbehandlungsstation für Neugeborene. Wir haben in Bregenz zukünftig eine Intensivüberwachungsstation in erweiterter Form mit zwölf Betten anzubieten. Das ist mehr als eine Verdoppelung dieser Kapazität. Das Team muss deshalb deutlich stärker aufgestellt sein. Wir müssen für kranke Neugeborene rund um die Uhr ein fachlich geeignetes Team bieten. Das ist eine Herausforderung. Wir müssen das Team entwickeln, stärken, trainieren, Kompetenz noch stärken.
Ist das eine Herausforderung, wenn Teams zusammengelegt werden und die noch nie miteinander gearbeitet haben?
Huemer: Teamzusammenführung ist immer eine Herausforderung. Andererseits muss man sagen, die Kollegen kennen sich ja. Wir Abteilungsleiter kennen uns intensiv und die Kollegen kennen sich im Grunde ziemlich gut. Aber natürlich geht es jetzt um eine fachliche Teamzusammenführung und einfach strukturiert Angebote zu erstellen, dass wir junge Fachärzte in eine neonatologische Kompetenzentwicklung schicken, die möglicherweise woanders hinrotieren müssen, um das zu lernen. Also das ist schon eine Aufgabe, wo wir auch noch Entwicklungsarbeit vor uns haben.
(VOL.AT)
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