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Menschennähe machte Hunde sexuell freizügiger als Wölfe

Wolfspärchen bleiben einander meist lebenslang treu
Wolfspärchen bleiben einander meist lebenslang treu ©APA/dpa
Die Nähe zu Menschen machte Hunde sexuell freizügiger als ihre Vorfahren, die Wölfe, erklärt die Wiener Verhaltensforscherin Sarah Marshall-Pescini. Freilaufende Hündinnen und Rüden haben typischerweise mehrere Geschlechtspartner, während Wolfspärchen einander meist lebenslang treu bleiben. Sogar die Welpen-Geschwisterchen in einzelnen Würfen von Hündinnen sind oft von verschiedenen Vätern, berichtet sie mit Kolleginnen und Kollegen in der Fachzeitschrift "PNAS".

Ein Team um Marshall-Pescini vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Małgorzata Pilot von der Universität Gdańsk in Polen untersuchte die Verwandtschaftsbeziehungen von Welpen und ihren Eltern in drei wilden Hunderudeln in Marokko, Italien und in der Ukraine. Wie die "Urhunde" in der Steinzeit sind sie in niemandes Besitz, können sich frei bewegen und vermehren, leben aber in der Nähe von Menschen und ernähren sich von dem, was ihnen diese übrig lassen oder spendieren.

Bis zu sieben Sexualpartner

Bei den Welpen gab es viele Halbgeschwister, die entweder nur den Hundevater oder die -Mutter gemeinsam hatten. Demnach waren sowohl die Rüden als auch die Hündinnen in der Regel polygam. Sie hatten also Geschlechtsverkehr mit mehreren Partnern - und zwar bis zu sieben. Die Forscher konnten demnach keinen schlichten Stammbaum der Hunderudeln zeichnen, sondern es wurde ein "weitverzweigtes Netz von Verwandtschaftsbeziehungen", wie es in der Fachpublikation heißt.

Sogar bei einzelnen Würfen waren die Geschwisterchen oft von multiplen Vätern, erklärte Marshall-Pescini der APA. Das heißt, während einer Läufigkeit, wenn die Hündinnen zweimal im Jahr für ein paar Tage empfängnisbereit sind, hatten sie offensichtlich Sex mit mehreren Rüden. Deren Spermen konkurrierten dann wohl um die meist drei bis acht Eizellen in der Gebärmutter der Hündin.

Verhalten verhindert offenbar Wolfs-Einkreuzung

Die Forscherinnen und Forscher haben auch das Verhalten des Rudels in Marokko über längere Zeit beobachtet. Sie sahen "beim Paarungsverhalten eine Vorliebe für vertraute Partner". Die Hunde beschränkten sich beim Sex also vorwiegend auf nahe und bekannte Rudelmitglieder. Das führte aber nicht zu "exklusiven Paarbindungen". Bestimmte Hündinnen und Rüden zeugten zwar oft mehrmals im Leben gemeinsame Welpen, hatten zwischendurch aber auch Nachkommen mit anderen Individuen. Die Vorliebe zu vertrauten Partnern hat vermutlich dazu geführt, dass sich nicht ständig wieder Wölfe unter die Urhunde mischten.

"Wir vermuten, dass die veränderten Fressgewohnheiten bei den Hunden die Veränderungen im Paarungsverhalten bewirkt haben", so Marshall-Pescini: "Wölfe jagen, und Mutter und Vater müssen dabei über viele Monate hinweg Nahrung für die Welpen zurückbringen." Beide Elternteile sorgen sich also bei ihnen um die Nachkommen, damit diese überleben. Bei den Urhunden in der menschlichen Umgebung war dies anders. "Dass sie sich auf das Futter in der Nähe der Menschen verlassen konnten, bedeutete, dass diese gemeinsame elterliche Fürsorge nicht mehr notwendig war", so die Forscherin. Sie konnte mit dem Team auch beobachten, dass bei den Hunderudeln "die elterliche Fürsorge überwiegend von der Mutter geleistet wird". Manchmal kümmerten sich verwandte Hündinnen auch gemeinsam um den Nachwuchs.

Motor für Domestikation

"Unsere Ergebnisse stützen die Hypothese, dass der Übergang zur Polygamie eine der treibenden Kräfte des Domestizierungsprozesses (der Haustierwerdung, Anm.) von Hunden war, und nicht dessen Folge", schreiben die Forscherinnen und Forscher. Die erworbene Freizügigkeit hat den Prozess wahrscheinlich auch beschleunigt. Denn durch regen sexuellen Austausch konnten sich neue Merkmale, mit denen sie sich an die menschliche Umgebung angepasst haben, schneller verbreiten, als bei exklusiven Partnerschaften.

(S E R V I C E - )

(APA)

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