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Experte: Roboter-Herz-OP in einigen Jahren keine Utopie

Die beruflichen Wurzeln des Top-Mediziners Bonatti liegen in Innsbruck
Die beruflichen Wurzeln des Top-Mediziners Bonatti liegen in Innsbruck ©APA/THEMENBILD
Robotergestützte Herzchirurgie hat in den vergangenen Jahren einen Technologiesprung erlebt. Operationsroboter würden neben der Assistenten-Rolle zunehmend die des Lehrenden einnehmen, erklärte der in den USA tätige Tiroler Herzchirurg Johannes Bonatti im APA-Gespräch. "In einigen Jahren" könnte dann eine komplette Herz-OP auch alleine von einem Roboter durchgeführt werden. Telechirurgie und Big Data würden dabei nicht nur die Herzchirurgie revolutionieren.

Die klassische Bypasschirurgie arbeite meist mit einer Sternotomie, also einem Schnitt in der Mitte des Brustkorbs. Das Brustbein werde dadurch mehr oder weniger geöffnet, um dadurch einen Zugang zum Herzen zu ermöglichen. "Der Vorteil der roboterassistierten Chirurgie ist, dass man nicht mehr den gesamten Brustkorb öffnen muss, sondern die Operation über ganz kleine Schnitte sowie komplett endoskopisch - also über Acht Millimeter-Instrumente, die in den Brustkorb geführt werden - durchführen kann", erklärte Bonatti.

Ein weiterer Vorteil des Operationsroboters gegenüber klassischen Instrumenten wie Kameras, Pinzetten oder Scheren sei vor allem die Flexibilität der Instrumente. "Diese haben an der Spitze - wir nennen sie die Endeffectors - mehrere zusätzliche Gelenke", erklärte der aus Kitzbühel stammende und am Medical Center der Universität von Pittsburgh (UPMC) tätige Top-Mediziner. Das mache jedenfalls komplexe chirurgische Manöver möglich, "ohne den Brustkorb zu öffnen".

Operation mit Joystick

Der Chirurg, erklärte Bonatti, sitzt dabei hinter einer Konsole bzw. einem Steuerpult, schaut in ein 3D-Binokular und kann von dort diese Instrumente kontrollieren. "Ich bewege die Instrumente über Joysticks und kann zudem verschiedene Funktionen mit Fußpedalen steuern, zum Beispiel die Kamera", berichtete er. Die Konsole sei dabei über Kabel mit einem vierarmigen Roboter verbunden. Dennoch sei es nach wie vor sehr wichtig, ein verlässliches menschliches Team am Operationstisch zu haben. "Da ist immer noch sehr viel Koordination mit dem Team notwendig", betonte der Mediziner.

Auch telechirurgische Operationen seien laut Bonatti bereits Realität: "Am besten funktioniert es natürlich über Landverbindung, aber es ist auch über Satelliten möglich." So sei erst kürzlich eine Operation von Straßburg (Frankreich) aus in Indore (Indien) durchgeführt worden, berichtete Bonatti. "Theoretisch ist auch eine Operation von Pittsburgh nach Innsbruck möglich", scherzte der Top-Chirurg.

Innsbruck als Vorreiter in Europa

Innsbruck habe indes zu den ersten Standorten in Europa gezählt, an denen roboterassistierte Bypasschirurgie aufgebaut worden war. Auch deshalb habe er sich in diesem Bereich spezialisiert, erklärte Bonatti. Bereits 2001 sei an der damaligen Medizinischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität, die vor etwa 21 Jahren in der Medizinischen Universität Innsbruck aufging, "eine frühe Generation des da-Vinci Operationsroboters unter Professor Günther Laufer zum Einsatz" gekommen. Er sei damals mit dem Programm betraut worden und etablierte unter anderem die komplett endoskopische Bypasschirurgie (TECAB), berichtete Bonatti. "Wir konnten in Innsbruck auch weitere Eingriffe durchführen, die weltweit noch nicht durchgeführt wurden", blickte er stolz auf diese Zeit zurück.

Der nunmehr größte Unterschied zwischen den Entwicklungen in den USA und in Europa würde indes die Zulassung neuer Technologien betreffen. In den USA passiere das deutlich schneller. Die Medical Device Regulation (MDR) der Europäischen Union habe etwa die Zulassung neuer Robotergenerationen aufgrund erhöhter Sicherheitsanforderungen verlangsamt, erklärte Bonatti. International habe sich die Technologie jedoch rasch weiterentwickelt. "In den USA gibt es diese Technologien und Maschinen bzw. die modernsten Operationsroboter inzwischen in jedem größeren Spital - hergestellt werden sie vor allem in den Vereinigten Staaten, immer häufiger aber auch in China", betonte er. Auch in Ostasien, etwa in Indien, würde das Interesse an derartigen Instrumenten immer stärker werden. "Dort haben die Kollegen den Vorteil, dass sie in Megazentren arbeiten, die über 10.000 herzchirurgische Operationen im Jahr durchführen. Dadurch gestaltet sich die Implementierung neuer Technologien leichter", sagte Bonatti.

Operationsroboter: Vom Assistenten zum Lehrenden

Operationsroboter seien indes in den ersten zwei Jahrzehnten von einer einzigen Firma produziert worden - mittlerweile sind es rund 20 Unternehmen, betonte der Mediziner. Aktuell beschäftigten sich diese insbesondere mit der Integration von Künstlicher Intelligenz und Datenanalyse-Tools. "Ein Operationsroboter ist nicht nur ein Assistent für den Chirurgen, sondern zunehmend auch ein analytisches Gerät", erklärte Bonatti. Der Roboter zeichne alle Bewegungen des Chirurgen auf und entwickle daraus Muster, die wiederum zur Analyse zugänglich gemacht werden. "Der Roboter kann also immer besser bewerten, wie hoch die Qualität einer Operation ist", sagte Bonatti. Zudem könne man diese Geräte bzw. deren Analysen global in einem großen Netzwerk zusammenschließen, sodass ein riesiger Datenpool entsteht. "Mithilfe dieser Daten könnte der Roboter dem Chirurgen künftig in Echtzeit sowie online sagen, ob man sich bei einer Operation im Standardbereich bewegt oder ob man davon abweicht", betonte der Mediziner.

"In anderen Fächern wie der Orthopädie oder der HNO werden Operationselemente bereits komplett autonom oder semi-autonom von Robotern durchgeführt", verwies der Experte. An der Johns Hopkins University in Maryland gebe es außerdem Projekte, wo Darmoperationen mit autonomen Programmen durchgeführt werden. Beim Herzen sei indes die Schwierigkeit, dass es schlägt und dass sich die Anatomie während der Operation ändert. Deshalb könne es in diesem Bereich noch etwas länger dauern.

Patientenbild im Wandel

Bonatti beobachtete indes über seine Laufbahn hinweg ein deutlich höheres Risikoprofil der Patientinnen und Patienten: "Sie sind im Schnitt älter geworden und weisen mehr Begleiterkrankungen auf", fasste der Experte zusammen. Dennoch sei die Ergebnisqualität in der Herzchirurgie stabil geblieben, was er auf internationale Zusammenarbeit und standardisierte Verfahren zurückführt.

Ein zentrales Werkzeug stelle dabei der von der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) entwickelte EuroSCORE dar, der seit Jahren fortlaufend angepasst wird. Chirurgen könnten dort anamnestische und klinische Parameter eingeben und erhalten eine zunehmend genauere Einschätzung des individuellen Operationsrisikos.

Preis für Lebenswerk und Ausbau der Telechirurgie

Kürzlich erhielt Bonatti für seine Pionierleistungen in der roboterassistierten Herzchirurgie - etwa die Entwicklung von vollständig endoskopischer Bypasschirurgie und von komplexen Hybridverfahren - den Lifetime Achievement Award der multidisziplinären Society of Robotic Surgery (SRS). Aktuell, so erzählte er, plane Bonatti am UPMC den Ausbau der Robotik sowie der Telechirurgie im Verbund mit rund 40 Kliniken in Pennsylvania, im Bundesstaat New York und in Maryland sowie an Standorten in Italien und Irland.

(APA)

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