Milliardenschaden durch Firmenbetrug: Sozialkassen im Visier

Sozialbetrug bleibt ein Dauerthema – doch nicht nur Einzelpersonen sorgen für Schäden. Immer häufiger sind es Unternehmen, die sich auf kreative Weise an Sozialleistungen bereichern. Die Zahlen sind alarmierend.
Laut Angaben der Finanzpolizei beläuft sich der Schaden, den Unternehmen allein in der Baubranche jährlich verursachen, auf rund 350 Millionen Euro. Besonders perfide: Manche Firmen "parken" ihre Beschäftigten kurzerhand beim Arbeitsmarktservice, um die Lohnkosten auf die Arbeitslosenversicherung abzuwälzen. Der dadurch entstandene Schaden: 700 Millionen Euro jährlich
Betrugsbekämpfung: AK Wien geht systematisch gegen Unternehmen vor
Um dem wachsenden Problem zu begegnen, hat die Arbeiterkammer Wien Ende 2023 eine eigene Stabstelle zur Bekämpfung von Unternehmensbetrug eingerichtet. Mit Erfolg: Bis Ende August 2025 wurden 105 Verdachtsfälle bearbeitet.
Besonders auffällig: Allein in diesem Zeitraum erstattete die AK Wien 50 Anzeigen wegen Unterentlohnung von 476 Arbeitnehmer:innen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG). Die offene Forderungssumme liegt bei über 3 Millionen Euro – mehr als doppelt so viel wie im gesamten Vorjahr.
Wanderdirektoren und Ketten-Insolvenzen: Das System hinter dem Betrug
Ein besonders dreister Fall betrifft ein Firmengeflecht aus der Immobilienbranche, das seit Jahren durch zweifelhafte Geschäftsmodelle auffällt. Mehr als hundert Beschäftigte erhielten keinen Lohn, während Abgaben an ÖGK, Finanz und BUAK offenbar systematisch hinterzogen wurden.
Im Zentrum steht ein Mann: Lukas N. Gegen ihn laufen Ermittlungen wegen betrügerischer Krida. Aktuell ist er Geschäftsführer von elf Firmen, von denen neun bereits insolvent oder als Scheinfirmen registriert sind. In 47 weiteren Unternehmen war er zuvor tätig – knapp die Hälfte davon ist ebenfalls in Konkurs gegangen oder existiert nur auf dem Papier.
Beschäftigte wurden mehrfach zwischen den Gesellschaften hin und her geschoben – offenbar, um Lohnzahlungen gezielt zu umgehen. Obwohl bereits im Jahr 2023 deutliche Hinweise auf systematischen Betrug vorlagen, ist es gesetzlich weiterhin möglich, dass solche Personen Geschäftsführer bleiben und erneut Personal anstellen.

Konkurs mit System: Wenn Firmen einfach unter neuem Namen weitermachen
Ein weiterer exemplarischer Fall betrifft eine Bau-GmbH, über die im Juli 2025 ein Konkursverfahren eröffnet wurde. Die AK Wien stellte für 114 betroffene Arbeiter Insolvenzanträge – in Summe ging es um mehrere Hunderttausend Euro.
Doch kurz nach der Kündigung setzten viele Beschäftigte ihre Arbeit nahtlos auf denselben Baustellen fort – allerdings unter einem neuen Firmennamen. Die neue Gesellschaft operierte an derselben Adresse, mit denselben Eigentümern und Geschäftsführern. Der einzige Unterschied: Aus der "Hanni-Bau GmbH" wurde die "Nanni-Bau GmbH". Ein Buchstabe – ein neues Spiel.
"Unterentlohnung ist ein Geschäftsmodell"
Bei einer Pressekonferenz der Arbeiterkammer am Mittwoch wurde deutlich, wie komplex die Fälle mittlerweile sind. "Die Probleme, mit denen Arbeitnehmer zu uns kommen, sind keine klassischen Einzelfälle mehr, sondern tief verwurzelte Strukturen", sagte Ludwig Dvořák, Bereichsleiter für arbeitsrechtliche Beratung in der AK Wien.

Er fordert klare Maßnahmen:
- Haftung der Erstauftraggeber für Löhne und Sozialversicherungsbeiträge
- Deutlich höhere Strafen bei Lohn- und Sozialdumping
- Mehr Kontrollen und Schutz vor Scheinselbstständigkeit
- Keine Verjährung von Lohnansprüchen während aufrechter Dienstverhältnisse
- Einführung einer „Cooling-Off-Phase“ bei dubiosen Geschäftspraktiken
"Würde man Sozialbetrug durch Unternehmen mit derselben Konsequenz verfolgen wie bei Einzelpersonen, könnten wir das Budget sanieren", sagte Dvořák mit Blick auf eine Aussage von Innenminister Karner. Der hatte sich jüngst über eine Aufklärungsquote von 99,5 Prozent bei Sozialleistungsbetrug durch Einzelpersonen gerühmt – bei einem Gesamtschaden von 23 Millionen Euro.
AK-Expertin Andrea Ebner-Pfeifer brachte es so auf den Punkt:
"Unterentlohnung ist kein Versehen. Es ist ein Geschäftsmodell – und zwar eines, das auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer funktioniert."
(VOL.AT)
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