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Könnten Putins Iskander-Raketen zur Gefahr für Europa werden?

Der Iskander-E-Raketenwerfer bei einer Übung nahe Moskau, aufgenommen 2022. In Kaliningrad ist die Iskander-M-Version dauerhaft stationiert.
Der Iskander-E-Raketenwerfer bei einer Übung nahe Moskau, aufgenommen 2022. In Kaliningrad ist die Iskander-M-Version dauerhaft stationiert. ©APA/AFP
Die Iskander-M-Systeme stehen seit Jahren in Kaliningrad. Nun rücken sie durch das Militärmanöver "Sapad" wieder ins öffentliche Bewusstsein – und werfen Fragen zur Bedrohungslage auf.

Am Wochenende machten Videos in sozialen Netzwerken die Runde, die zwei russische Raketenstartfahrzeuge auf einer Straße in Kaliningrad zeigen. Rasch identifizierten Experten das System als 9K720 Iskander-M – ein taktisches Raketensystem mit konventionellen oder nuklearen Gefechtsköpfen. Die Aufnahme entstand im Rahmen des fünftägigen Militärmanövers "Sapad 2025".

An der Übung nahmen neben Russland und Belarus auch Truppen aus China, Iran, Bangladesch und mehreren afrikanischen Staaten teil. Das Manöver wurde im Westen – besonders in Polen – als klare Machtdemonstration gewertet.

Technische Reichweite begrenzt

Die maximale Reichweite des Iskander-M-Systems beträgt offiziell 500 Kilometer. Berlin oder Stockholm liegen damit außerhalb der Reichweite, wenn die Raketen aus der dokumentierten Position abgefeuert würden. Ganz anders stellt sich die Lage für Osteuropa dar: Fast ganz Polen, Litauen, Lettland und Teile Estlands, darunter auch ihre Hauptstädte, können laut der OSINT-Analyseplattform Cyber Boroshno erreicht werden.

Während der Übung simulierten russische Einheiten Starts mit nuklearfähigen Raketen. In veröffentlichten Videos ist auch das rasche Nachladen der Systeme zu sehen – ein zentrales Element der Einsatzbereitschaft.

Aufbau und Leistungsfähigkeit

Die Nato führt das System unter der Bezeichnung SS-26 "Stone". Es besteht aus mehreren Elementen: dem vierachsigen Trägerfahrzeug MZKT-7930 mit zwei Raketenwerfern, einem Ladefahrzeug mit Kran und einem Transportfahrzeug. Hergestellt werden die Fahrgestelle in Belarus. Ein voll beladenes Trägerfahrzeug wiegt rund 43 Tonnen und ist bedingt geländegängig sowie amphibisch einsetzbar.

Die verwendete Rakete trägt die Bezeichnung 9M723. Sie ist 7,3 Meter lang, wiegt rund 3,75 Tonnen und kann mit unterschiedlichen Gefechtsköpfen ausgestattet werden – darunter Streumunition, Splittersprengköpfe, Penetrationsladungen oder nukleare Sprengsätze mit unbekannter Sprengkraft.

Ein russischer Iskander-E-Raketenwerfer während des International Military and Technical Forum 2022 in Alabino bei Moskau, 17. August 2022. ©APA/AFP

Zielgenauigkeit abhängig vom Lenksystem

Die Präzision des Systems hängt von der Navigationsmethode ab. Ohne Satellitenunterstützung beträgt die Zielabweichung bis zu 200 Meter. Mit dem russischen GLONASS-System sinkt der Streukreis auf rund 50 Meter. Wird zusätzlich ein optischer Suchkopf verwendet, kann die Abweichung auf zehn bis 20 Meter reduziert werden.

Die Flugbahn der Iskander ist für eine ballistische Rakete ungewöhnlich flach, mit maximal 50 Kilometern Flughöhe. Dadurch wird sie spät von Radar erfasst. Laut russischen Angaben sind abruptes Manövrieren im Zielanflug, radarabsorbierende Materialien und Täuschkörper Teil der Schutzmaßnahmen. Experten sehen diese Fähigkeiten allerdings kritisch. Ukrainische Berichte belegen, dass Iskander-Raketen mit westlichen Patriot-Systemen zuverlässig abgefangen werden können.

Marschflugkörper und westliche Elektronik

Neben ballistischen Raketen kann das Iskander-System auch Marschflugkörper des Typs 9M727 abfeuern. Nach wiederholten Problemen bei der Detonation wurden diese mit zusätzlichen Zündern ausgestattet, um das Auslösen der Sprengladung zu erzwingen.

Wie eine Untersuchung des ukrainischen Geheimdienstes zeigt, enthalten abgeschossene Raketen zahlreiche westliche Elektronikkomponenten – unter anderem Mikrocontroller von Texas Instruments, Chips von Altera und Bauteile aus Japan und der Schweiz. Insgesamt wurden bis zu 35 solcher Komponenten in einem einzigen Wrack gefunden.

Stationierung ist nicht neu

Russland hat bereits seit 2018 dauerhaft Iskander-Systeme in Kaliningrad stationiert. Zuvor waren sie punktuell als Reaktion auf die US-Raketenabwehr in Europa in den Jahren 2009, 2013, 2015 und 2016 dort positioniert worden. Das Center for Strategic and International Studies (CSIS) bezeichnet diese Praxis als "russische Erpressungsdiplomatie".

Das Iskander-Programm selbst geht auf Entwicklungen der späten Sowjetunion zurück. Die Arbeiten begannen 1987, erste Tests folgten 1998, der offizielle Dienstantritt erfolgte 2006. Die Exportversion unterscheidet sich deutlich: Sie verfügt über nur 280 Kilometer Reichweite und einen Gefechtskopf von 482 Kilogramm.

Keine neue Gefahr aber ernst zu nehmen

Die erneute Sichtung der Iskander-M in Kaliningrad zeigt keine neue Eskalation – aber sie verdeutlicht das anhaltende militärische Bedrohungspotenzial in Osteuropa. Die Raketen erreichen keine westlichen Hauptstädte wie Berlin, wohl aber zentrale Punkte im Baltikum und in Polen. Ihre Präsenz ist ein politisches Signal – und ein reales Risiko.

(VOL.AT)

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