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EU dürfte Defizitverfahren gegen Österreich empfehlen

Zunächst abgewendet - künftig möglicherweise doch Realität: das EU-Defizitverfahren.
Zunächst abgewendet - künftig möglicherweise doch Realität: das EU-Defizitverfahren. ©APA/HELMUT FOHRINGER
Die laufende Woche könnte die Empfehlung eines EU-Defizitverfahrens gegen Österreich im Gepäck haben.
Marterbauer erwartet Start am 8.7.
Ruf nach Strukturreformen

Seit November steht es im Raum, diesen Mittwoch dürfte die Europäische Kommission tatsächlich die Einleitung eines EU-Defizitverfahrens gegenüber Österreich empfehlen. Tut sie dies, muss danach noch der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister zustimmen. Dessen nächste Treffen sind am 20. Juni in Luxemburg und am 8. Juli in Brüssel. Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) hatte vergangene Woche im Bundesrat erklärt, er habe vor dem Defizitverfahren "überhaupt keine Angst".

Finale Entscheidung bei Wirtschafts- und Finanzministern

Grund für das erwartete Defizitverfahren ist, dass Österreich mit seinem Budgetdefizit von 4,7 Prozent des BIP im vergangenen Jahr und den geplanten 4,5 Prozent heuer klar über der erlaubten Grenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung der sogenannten Maastricht-Kriterien der EU liegt. Die EU-Kommission wird am Mittwoch ihr Frühjahrspaket zum sogenannten Europäischen Semester vorlegen. Darin enthalten sind neben wirtschaftspolitischen und Reform-Empfehlungen an die EU-Länder auch Berichte zur Haushaltsüberwachung, die die Einhaltung des Defizit- sowie Schuldenkriteriums für gefährdete Länder unter die Lupe nehmen.

Grundlage sind dafür die Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Dieser soll laut Kommission "die Aufrechterhaltung solider öffentlicher Finanzen der EU-Länder gewährleisten". Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten das Defizitkriterium und das Schuldenkriterium einhalten: Das jährliche Staatsdefizit sollte 3 Prozent, die Staatsverschuldung 60 Prozent des BIP nicht überschreiten. Wird eines dieser beiden Kriterien nicht eingehalten, überprüft die Kommission, ob das Defizit die öffentlichen Ausgaben für Investitionen übertrifft sowie die allgemeine mittelfristige Wirtschafts- und Haushaltslage. Auf Grundlage dieser Prüfung entscheidet die Brüsseler Behörde, ob sie den EU-Wirtschafts- und Finanzministerinnen und -ministern die Eröffnung eines Verfahrens empfiehlt. Die finale Entscheidung liegt dann bei diesen.

EU-Defizitverfahren gegen mehrere Länder

Bereits im Rahmen des Herbstpakets im November überlegte die Kommission die Eröffnung eines Verfahrens auch gegen Österreich: Da das heimische Budgetdefizit nicht den Vorgaben Brüssels entspreche, "könnte" die Kommission dem Rat (der Mitgliedstaaten) empfehlen, ein "übermäßiges Defizit festzustellen", hieß es damals. Die im Jänner von den FPÖ-ÖVP-Koalitionsverhandlern nach Brüssel gesandten Maßnahmen konnten Anfang des Jahres das Verfahren noch abwenden. Der damalige Finanzminister Gunter Mayr befürchtete noch die vielfältigen Nachteile eines Defizitverfahrens.

Nachdem die Budgetprognosen aber von Monat zu Monat düsterer wurden, wurde klar, dass sich das Verfahren nicht vermeiden lässt. Österreich ist in der Mitte Mai veröffentlichten EU-Konjunkturprognose der Kommission das einzige Land, dem die EU heuer einen Wirtschaftsrückgang vorhersagt. Es ist aber nicht das einzige von einem Defizitverfahren betroffene Land: Diese laufen derzeit gegen Belgien, Frankreich, Ungarn, Italien, Malta, Polen, Slowakei und Rumänien.

Politiker und die Kommission beschwichtigen seither die Folgen eines Defizitverfahrens: Neben Marterbauer betonte auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen kürzlich, er sehe "keinen Grund zur Panik". 2028 will die Bundesregierung wieder aus dem EU-Defizitverfahren herauskommen. Der EU-Kommissionsvertreter in Österreich, Patrick Lobis, sagte dem Magazin "Cercle Diplomatique", welche Maßnahmen im Verfahren gesetzt würden "entscheidet die jeweilige Regierung. Das Land wird also nicht unter Kuratel gestellt".

Österreich hatte bereits EU-Defizitverfahren

Wird ein Defizitverfahren eingeleitet, erstellen Brüssel und Wien gemeinsam einen Plan zum Abbau der Schulden. Es gibt Vorgaben, auf welches Niveau das Defizit im laufenden und im darauffolgenden Jahr gesenkt werden muss. Die Kommission zwingt Österreich dabei nicht zu konkreten Maßnahmen, diese schlägt das Land selbst vor. Das Verfahren dauert in der Regel vier Jahre. Werden die Sparpläne nicht geschafft, kann es im schlimmsten Fall zu Geldstrafen kommen, was aber bisher noch nie vorgekommen ist. Für Österreich wäre es das zweite EU-Defizitverfahren: Das Erste war nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 eröffnet worden.

(APA/Red)

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