Lieferando-Zusteller protestieren in Wien gegen Kündigungswelle

Mitte März gab Lieferando bekannt, dass es sein Logistikmodell in den kommenden Monaten "an den österreichischen Branchenstandard angleichen" wird. Im Gegensatz zu Foodora und Wolt beschäftigte der Lieferdienst seine Kuriere in Österreich größtenteils direkt.
Lieferando-Kündigungswelle: Verhandlungen über Sozialplan
"Mit der Beendigung unseres Angestellten-Modells werden wir, unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten, rund 600 Fahrerinnen und Fahrer entlassen müssen", hieß es von Lieferando vor zwei Wochen. "Betroffen sind außerdem weitere rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unseren Standorten in Wien und den Bundesländern." Beim AMS-Frühwarnsystem wurden die Kündigungen bereits bekannt gegeben. Gewerkschaft und Lieferando verhandeln derzeit über einen Sozialplan. "Es gibt noch kein Ergebnis. Die Verhandlungen gehen diese Woche weiter", hieß es von der Gewerkschaft vida auf APA-Anfrage. Es gehe dabei um Abfertigungen, bezahlte Postensuchtage sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Beschäftigten. "Es wird voraussichtlich Kündigungsfristen geben, die über die gesetzlichen sechs Wochen hinausreichen, damit Lieferando den Betrieb bis zur Liquidierung ihrer aktuellen Logistikfirma aufrechterhalten kann", hieß es von der Gewerkschaft.
Zusteller protestierten im Vorjahr für neuen Kollektivvertrag
In Österreich gibt es seit Anfang 2020 einen Kollektivvertrag (KV) für Fahrradzusteller. Seit Anfang 2023 liegt das monatliche kollektivvertragliche Vollzeit-Bruttoeinkommen für Fahrradboten bei 1.730 Euro (netto 1.440 Euro). Zum Vergleich: Die Armutsgefährdungsschwelle lag laut Statistik Austria im Jahr 2023 bei 1.572 Euro für einen Einpersonenhaushalt pro Monat. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. Im Vorjahr fanden mehrere Essenszusteller-Warnstreiks statt, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Laut Gewerkschaftsschätzungen waren zuletzt österreichweit etwa 2.000 von 5.000 Fahrradboten ("Ridern") angestellt, der Rest war als freie Dienstnehmer unterwegs.
Katzian kritisiert "moderne Ausbeutung"
"Die kürzlich angekündigten Massenkündigungen bei Lieferando bestätigen, wie wichtig der Blick auf die Themen Plattformarbeit und Scheinselbstständigkeit ist", betonte Arbeits- und Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) in einer Aussendung nach einem Arbeitsgespräch mit ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian am Dienstag. Im Regierungsprogramm sei eine ehestmögliche Schaffung des notwendigen Rechtsrahmens vorgesehen, so die ehemalige Stellvertreterin Katzians im Gewerkschaftsbund und nunmehrige Spitzenpolitikerin.
Die Beschäftigten bei Lieferando profitierten bald nicht mehr vom hart erkämpften Kollektivvertrag, weil die Konkurrenz dem Beispiel nicht folgen wollte, bedauerte Katzian in einer Aussendung. "Werden die als Selbstständige weiter beschäftigt, arbeiten sie vermutlich in Scheinselbstständigkeit, also ohne Mindestlöhne, ohne Anspruch auf bezahlte Freistellung bei Krankheit oder Urlaubsanspruch, ohne Kündigungsschutz und ohne Urlaubsanspruch."
Um dieser "modernen Ausbeutung" entgegenzuwirken, wurde im Vorjahr 2024 die EU-Richtlinie für Plattformarbeit beschlossen, wonach der Plattformbetreiber die Selbstständigkeit beweisen muss. "Diese Beweislastumkehr war eine zentrale Forderung der Gewerkschaften in Europa", so Katzian. "Die EU-Mitgliedsländer haben bis Dezember 2026 Zeit, die Richtlinie umzusetzen: Das muss aber schneller passieren, die Zeit drängt." Schumann habe ein rasches Vorgehen der schwarz-rot-pinken Bundesregierung zugesagt.
Lieferando-Causa auch Thema im Parlament
Die Grünen haben Ende März angesichts der angekündigten Kündigungen bei Lieferando einen Entschließungsantrag im Sozialausschuss des Nationalrats eingebracht, um die Bundesregierung und zuständige Minister auf eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie für Plattformarbeit zu drängen. Eine möglichst schnelle Umsetzung würde die Voraussetzungen für die korrekte rechtliche Einstufung der Beschäftigten und damit verbundener Arbeitsrechte schaffen, so die Grünen. Die Regierung solle bis Ende September 2025 einen Gesetzesvorschlag zur Umsetzung der Richtlinie vorlegen, damit die notwendigen Änderungen bis Anfang 2026 in Kraft treten können.
(APA/Red)
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