Toter im Wiener Marchfeldkanal: Exklusiv-Interview mit Bruder enthüllt neue erschreckende Details

Der Bruder jenes Mannes, dessen Fuß am 13. Januar 2024 von einem Angler im Wiener Marchfeldkanal gefunden wurde, kontaktierte VIENNA.at bereits erstmals am 27. Februar 2024. Seitens der Polizei wurde dem Universitäts- und Gymnasiallehrer jedoch davon abgeraten, mit der Presse zu sprechen, bevor die Ermittlungsarbeiten abgeschlossen sind. Am Tag des ersten Prozesstages kam es schließlich erneut zur Kontaktaufnahme: "Ich will Ihnen die Geschichte dieses Vorfalls vollständig erzählen. Ich habe heute an der Gerichtsverhandlung teilgenommen, aber ich konnte nicht sagen, was ich zu sagen hatte. Ich will über den Vorfall und das Leid meiner Familie sprechen", so der im Iran lebende Mohammad N. am 10. Dezember 2024 via E-Mail. Er schildert die Abfolge der Ereignisse so:
Die letzten Tage des Peyman N.
Alles begann Anfang Oktober 2023. Peyman N. erzählte seinem Bruder eines Tages, dass er auf Anraten seines Freundes "Kian" (Pseudonym für den Tatverdächtigen, Anm. d. Red.) seinen gut bezahlten Job bei den Wiener Linien kündigen und ein Unternehmen gründen wolle. Der Plan war, einige Kleinwagen zu kaufen und mit der Wiener Post zusammenzuarbeiten. Peyman N. beschloss, das Auto, die Kryptowährung und das Haus, das er im Iran besaß, zu verkaufen und in das Business zu investieren.
Er gab Kian etwa 25.000 Euro in bar. (Von offizieller Seite wurden hier unterschiedliche Geldbeträge in der Höhe von 9 bis 21 Tausend Euro genannt, Anm. d. Red.) Doch nach einiger Zeit wurde ihm klar, dass die Firma gar nicht existierte. Peyman N. rief einen Freund an und sagte, er habe einen großen Fehler gemacht. Sie vereinbarten, sich zu treffen, um darüber zu reden, doch Peyman N. verschwand noch vor dem vereinbarten Treffen. Am Abend vor dem Gewaltverbrechen rief er noch bei einer Rechtsschutzversicherung an und sagte, er habe jemandem Geld geliehen, könne es aber nicht beweisen. Der Versicherungsvertreter bedauerte es sehr, konnte aber nichts für ihn tun.
Der letzte Kontakt
Am 15. November 2023 fand das letzte Gespräch zwischen Peyman N. und seinen Angehörigen statt. Gegen 15.30 Uhr riefen sein Bruder und seine Mutter ihn per Video-Call an. Das Gespräch dauerte etwa eine halbe Stunde, wobei nicht viel geredet wurde. Der Mutter fiel auf, dass Peyman N. schwer damit beschäftigt war, Dinge herum zu räumen, als würde er demnächst einen Gast erwarten.
Drei Tage später versuchte Mohammad N. seinen Bruder wieder anzurufen. Dabei wurde der Anruf abgelehnt. Von Peyman N.s Handy kam die Nachricht, dass er gerade mit Freunden unterwegs sei und sich später melden würde. Am Tag darauf versuchte Mohammad N. erneut seinen Bruder zu erreichen. Doch wieder wurde nicht abgehoben. Diesmal erhielt er eine Nachricht, von Peyman N.s Handy - er würde gerade mit dem Auto nach Kroatien fahren und deshalb nicht abheben können. Am Tag darauf schrieb Mohammad N. seinem Bruder, dass er sich Sorgen mache - warum er nicht anrufe und weshalb er keine Sprachnachricht hinterlasse. Ab diesem Zeitpunkt wurde besonders perfide gehandelt: Mohammad N. wurden Nachrichten und Fragen basierend auf früheren Nachrichten zwischen ihm und seinem Bruder geschickt und so geschickt getäuscht. Er nahm an, es handelt sich bei dem Schreibenden tatsächlich um seinen Bruder und dieser sei nur gerade schwer beschäftigt. Auch die damals 12-jährige Tochter von Peyman N. erhielt Nachrichten von dessen Handy. Beispielsweise wurde ihr geschrieben, er kaufe ihr bald ein Geburtstagsgeschenk.
Das grausame Erwachen
Wenig später dann das grausame Erwachen: "Als ich ihn am Mittwoch, dem 22. November, anrief, hinterließ ich eine Nachricht und sagte 'Wir machen uns alle Sorgen um dich. Warum antwortest du nicht?' - Hier hinterließ er mir eine Nachricht und nannte mich bei einem Namen, bei dem mein Bruder mich nie genannt hatte. In diesem Moment wurde mir klar, dass diese Person nicht mein Bruder war. Ich rief meine Mutter und seine Ex-Frau in Österreich an und fragte sie, wann sie zuletzt ein Videogespräch mit meinem Bruder geführt hatten. Da sagten sie alle vor etwa einer Woche. Und diese Woche verschickt er nur Nachrichten. Der Mörder hat uns alle rücksichtslos getäuscht, sogar die kleine Tochter meines Bruders. Dieses Ausmaß an Grausamkeit war unglaublich", so Mohammad N.
Kurz darauf der nächste Schock für Mohammad N.: Er kontaktierte die Freunde seines verschwundenen Bruders in Österreich. Nachdem er mit ihnen gesprochen hatte, war der WhatsApp-Account seines Bruders gelöscht und nicht mehr zugänglich. "Da war ich mir sicher, dass einer seiner Freunde dafür verantwortlich war", so Mohammad N. Kian war ihm aufgrund der Vorgeschichte sofort besonders verdächtig.
"Verzweiflung, Furcht und Unruhe erfüllten unser ganzes Wesen"
Der im Iran lebende Mohammad N. schickte die Ex-Frau seines Bruders noch am 22. November 2023 zu einer Polizeistation, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Auch Peyman N.s Freunde begleiteten ihn dorthin. Später gaben sie an, dass Kian beharrlich darauf bestand, die Vermisstenanzeige selbst aufzugeben. "Ich glaube, er hat damit versucht, auch die Polizei zu täuschen. Es ist unmöglich zu erklären, wie sich diese rücksichtslose Täuschung für meine Familie und meine ältere Mutter anfühlten. Verzweiflung, Furcht und Unruhe erfüllten unser ganzes Wesen", schildert Mohammad N. das Leid der Familie.
Peyman N.s Angehörige fühlten sich bei der Polizeistation jedoch wenig ernstgenommen, obwohl sie schilderten, dass gefälschte Nachrichten von Peyman N.s Handy verschickt werden: "Die Polizei sagte der Ex-Frau meines Bruders: 'Wenn es innerhalb von 72 Stunden keine Neuigkeiten gibt, gehen Sie erneut zur Polizei.' Ich denke, die Zeit ist fatal.", so Mohammad N.
Am 23. November wollte Mohammad N. rechtliche Schritte gegen Kian einleiten, ihm wurde jedoch mitgeteilt, dass zunächst die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen werden müssten. Er beschloss, wichtige Informationen zu dem Fall zu sammeln und der Polizei weiterzuleiten, um den Fall möglichst schnell lösen zu können: "Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf Kian und stellte ihm Fragen über meinen Bruder, sein Geschäft und seine Geschäftsreisen. Aber er bestritt alles. Glauben Sie mir, mit viel seelischem Schmerz wurde ich wie eine Polizeistation. Ich hatte das Gefühl, dass mein Bruder allein war und meine Hilfe brauchte."
Polizei Wien sah "keinen Hinweis auf ein mögliches Verbrechen"
Eine Woche nach dem Besuch bei der Polizeistation hatten Peyman N.s Ex-Frau und Mohammad N. sich um einen Übersetzer gekümmert, um die gesammelten Informationen an die Polizei weiterleiten zu können: "Spät in der Nacht sammelte ich Informationen von Kian und den anderen Freunden meines Bruders und schickte sie per E-Mail an die Polizei. Fast jede Nacht bis zum Morgen. Ich habe die Polizei immer wieder gebeten, Kian einzuvernehmen. Auch wenn er kein Krimineller ist. Er musste viele Informationen haben. Ich habe auch Screenshots von allen relevanten Nachrichten, die Kian an die Freunde meines Bruder geschickt hatte, an die Polizei geschickt." - "Kian versuchte zwei Monate lang, mich zu täuschen. Er hatte Mitleid mit mir. Er fragte nach meiner Mutter. Keines dieser Verhaltensweisen überzeugte mich davon, dass er unschuldig war", erklärt Mohammad N.
Laut Mohammad N. sendete er im darauffolgenden Zeitraum rund zehn E-Mails an die Polizei, denen allesamt keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Darunter auch der sehr wahrscheinliche Tatzeitpunkt zwischen dem letzten Telefonat, das bis 16 Uhr dauerte und einem Termin in der Kirche um 18 Uhr, zu dem er nicht mehr erschien. Auch bei Anrufen seien er und die anderen Angehörigen von der Polizei abgewimmelt worden. Ihm wurde gesagt, er solle zur Botschaft gehen, wo man ihm wiederum erklärt habe, er sei hier fehl am Platz. Am 15. Dezember 2023 erhielt er erstmals via E-Mail (liegt der Redaktion vor) eine Antwort der Polizei, die allerdings wenig Hoffnung aufkommen ließ: Es gäbe keinen Hinweis auf ein mögliches Verbrechen. Er und seine Familie sollen aufhören, anzurufen und nach dem aktuellen Ermittlungsstatus zu fragen. Man fühlte sich machtlos: "Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können. Das waren schreckliche Tage", so Mohammad N.
Erst fünf Wochen nach dem plötzlichen Verschwinden von Peyman N. hatte sein Bruder das Gefühl, dass sich in dem Fall etwas täte. Am 21. Dezember wurde ihm per E-Mail (das der Redaktion vorliegt) geantwortet, dass das Geschehnis nun an die Staatsanwaltschaft Wien gemeldet wurde. "Ich weiß nicht, warum es so spät war? Während der Schlüssel zur Lösung dieses Problems möglicherweise bei mir lag. Zwar hatte es keine Auswirkungen auf das Leben meines Bruders, aber es könnte in Zukunft für andere wichtig sein. Ich verstehe immer noch nicht den Grund für eine so langsame Untersuchung."
Angler fischte Fuß aus Marchfeldkanal in Wien-Floridsdorf
Am 13. Januar 2024 war es schließlich ein Angler, der die entscheidende Entdeckung machte: Er fischte Peyman N.s linken Fuß aus dem Marchfeldkanal. Taucher entdeckten in weiterer Folge 21 weitere Leichenteile zwischen der Schwarzlackenau und Strebersdorf in Wien-Floridsdorf, darunter den Kopf, den rechten Unterschenkel samt Fuß, beide Schulterblätter, mehrere Teile der Brust, mehrere Teile der Wirbelsäule und einige Organe.

Mit der grausamen Entdeckung der Leiche kam Bewegung in den Fall: "Erst nach zwei Monaten und der Entdeckung der Leiche meines Bruders im Fluss teilte mir die Polizei mit, dass sie die erforderlichen Genehmigungen vom Staatsanwalt erhalten hätten“, so Mohammad N. Erst dann wurden die Angehörigen und Freunde des Getöteten einvernommen und Handydaten ausgewertet. Kian wurde in weiterer Folge observiert und schließlich am 30. Januar 2024 festgenommen, als es den Anschein machte, als würde er flüchten wollen.
Bruder von Peyman N. übt Kritik an Ermittlungsarbeit
Für den Bruder des getöteten Peyman N. ging das alles viel zu langsam. Er betont, er habe der Wiener Polizei regelmäßig Informationen weitergeleitet, die Kian nach dem Verschwinden von Peyman N. stark verdächtig wirken ließen. Er soll die Polizei wiederholt danach gefragt haben, Kian einzuvernehmen. Doch nichts geschah. Im Gegenteil: Mohammad N. findet die stattgefundene Informationenverarbeitung seitens der Polizei äußerst fragwürdig. Wichtige Informationen, wie beispielsweise die Vorgeschichte mit dem fragwürdigen Business und dem weitergegebenen Geld, wurden nicht oder schlecht dokumentiert. „Ich habe immer wieder Dinge, wie den Tatzeitpunkt und Kians Rolle betont. Aber die Polizei hat diese E-Mails nicht beachtet und wollte mich nicht einmal befragen“, so der 52-Jährige. Obwohl etliche Informationen mehrmals an die Polizei geschickt wurden, wurde Mohammad N. später dazu aufgefordert, diese nochmals zu schicken. „Interessanterweise hat mir die Polizei im vergangenen Jahr viele E-Mails geschickt und immer wieder dieselben Fragen gestellt.“, kritisiert der Bruder des getöteten Peyman N. Auch auf fehlende Befugnisse aufgrund ausständiger Genehmigungen seitens der Staatsanwaltschaft Wien wurde er im Laufe der Ermittlungen wiederholt hingewiesen.
Mohammad N. kritisiert, dass die langsame Vorgehensweise bei der Ermittlungsarbeit in einem anderen Fall, in dem die vermisste Person noch am Leben ist, fatale Folgen haben kann. "Wenn ein Mensch wirklich lebt und Hilfe braucht, wird er durch diesen langen Prozess definitiv seine Chance verlieren. Vielleicht hilft diese Erfahrung, das Leben anderer Menschen zu retten. Ich danke der Polizei für alles, was getan wurde. Aber hier gibt es definitiv Verbesserungsbedarf", meint Mohammad N.
Keine Stellungnahme von Wiener Polizei und Staatsanwaltschaft zu Vorwürfen
Weder die Landespolizeidirektion Wien noch die Staatsanwaltschaft Wien wollten auf Nachfrage von VIENNA.at zu den einzelnen Kritikpunkten Stellung beziehen. Nina Bussek, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, sah die Zuständigkeit hier klar bei der Polizei. Michaela Rossmann, Pressesprecherin der Landespolizeidirektion Wien, verwies indes auf das laufende Gerichtsverfahren und bat um Verständnis, dass sich die Polizei Wien dadurch "nicht mehr zu einzelnen Ermittlungsschritten äußern kann".
Getötet und zerstückelt: Höchststrafe gefordert
Kian legte nach seiner Verhaftung ein umfassendes Geständnis ab. In seiner Einvernahme gab er an, dass er sich am Tag des Verschwindens von Peyman N. zwischen 16 und 17 Uhr in dessen Wohnung in Wien-Hietzing getroffen hatte. In dem darauffolgenden Streit um das weitergegebene Geld zog Kian einen Latthammer, den er am Vortag gekauft und zur Aussprache mitgebracht hatte, und schlug damit dem 45-Jährigen mehrmals auf den Kopf. Den Hammer entsorgte der 38-Jährige dann auf der Ladefläche eines Pritschenwagens bei einer Baustelle in Wien-Währing, in der Hoffnung, das Auto würde irgendwann mit der Tatwaffe davonfahren. Doch dem war nicht so: Die Ermittler fanden den Hammer auf dem Pritschenwagen – unversehrt und bereit zur Sicherstellung.

Inzwischen hat Kian seine Darstellung der Ereignisse geändert. Der Angeklagte behauptet nun, die "albanische Mafia" sei involviert gewesen. Er gibt an, zwar an den Tathandlungen beteiligt gewesen zu sein, jedoch unter Zwang gehandelt zu haben. Mohammad N., der Bruder des Opfers, widerspricht diesen Aussagen vehement. „Mein Bruder hätte sich niemals auf dubiose Geschäfte rund um Menschenhandel, Drogen oder Waffen eingelassen“, erklärt er. „Er war ein sehr freundlicher und beschützender Mensch. Drei Monate nach dem Vorfall hätte er einen österreichischen Pass erhalten sollen. Deshalb hat er sich auch strikt an alle Regeln gehalten - sogar im Straßenverkehr. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass mein Bruder nichts getan hätte, was seine Einbürgerung gefährden hätte können", erklärt Mohammad N.
Er appelliert daher an "das Gericht, den ehrenwerten Richter und die ehrenwerte Jury, die Höchststrafe zu verhängen, die für derartige Verbrechen vorgesehen ist. Meiner Meinung nach ist es für die Sicherheit der Menschen umso besser, je weiter diese Person von der menschlichen Gesellschaft entfernt ist".
(Red./JELU)
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