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Internationale Pressestimmen zur EU-Wahl 2024

So reagiert die internationale Presse auf die Europawahlen.
So reagiert die internationale Presse auf die Europawahlen. ©Canva (Sujet)
Die Ergebnisse der EU-Wahl 2024 wurde von der internationalen Presse kommentiert. Im Folgenden ein Auszug.
Reaktionen der Parteien
Europaweite Hochrechnung

"La Vanguardia" (Barcelona)

"Die erste Interpretation der gestrigen Europawahl ist, dass sich der Rahmen, in dem sich die Politik in Brüssel (...) bewegt, durch diese Ergebnisse nicht ändern wird. Es wird alles beim Alten bleiben. Beginnen wir mit Europa: Die EU-Bürger blicken mehr nach rechts, aber die parlamentarische Mehrheit aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen, die die europäische Politik in den letzten Jahren de facto bestimmt hat, wird mit einem deutlichen Vorsprung weitermachen können. Die extreme Rechte ist gewachsen, aber nicht genug, um diese Mehrheit zu ersetzen, und eine der größten Bedrohungen für die Zukunft der EU ist verschwunden. Die rechtsextremen Parteien werden weiterhin die viert- und fünftgrößte Fraktion im Europäischen Parlament stellen.

Die große Überraschung des Abends war die Ankündigung von Emmanuel Macron, die französische Nationalversammlung aufzulösen und unmittelbar vor den Olympischen Spielen in Paris Neuwahlen anzusetzen. Eine Niederlage für seine Partei und ein Erfolg für Marine Le Pen waren erwartet worden, aber die Dringlichkeit, die Wahlen anzukündigen, sobald die Umfragen bekannt waren, ohne die Ergebnisse abzuwarten, war bemerkenswert."

"de Volkskrant" (Amsterdam)

"Die erste wichtige Abstimmung im neu konstituierten EU-Parlament ist die über die Besetzung des Spitzenamtes der Europäischen Kommission. Die derzeitige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die besten Karten, zumal ihre Christdemokraten weiterhin die mit Abstand größte Fraktion stellen. Es wird erwartet, dass sie von der Mehrheit der Regierungschefs nominiert wird, aber letztlich wird das Parlament über die Ernennung entscheiden. (...)

Wenn alle Abgeordneten der proeuropäischen Fraktionen sie unterstützen, gibt es für Ursula von der Leyen kein Problem, aber danach sieht es nicht aus. Die französischen Liberalen, aber auch einige Sozialdemokraten und Grüne wollen sie nicht. In den kommenden Wochen wird von der Leyen mit den verschiedenen Fraktionen verhandeln, darunter auch mit der rechtsgerichteten Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR). Die Fraktion Identität und Demokratie (ID) hat sie wegen deren antieuropäischen und prorussischen Ansichten ausgeschlossen.

Auf der Grundlage dieser Gespräche wird von der Leyen das politische Programm der EU zusammenstellen, mit dem sie sich die nötigen Stimmen sichern will. Das wird eine Gratwanderung, denn je mehr sie nach rechts tendiert, desto mehr Stimmen verliert sie bei den proeuropäischen Gruppen."

"Tages-Anzeiger" (Zürich)

"Eigentlich bräuchte es jetzt ein starkes Europa, eine EU, die liefert und Antworten bereit hat. In Moskau macht Wladimir Putin keine Anstalten, seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine einzustellen. China greift mit Dumpingpreisen Europas industrielle Basis an, und im November droht in den USA möglicherweise ein Comeback von Donald Trump. Doch nach der Europawahl vom Wochenende steht die Europäische Union geschwächt und verunsichert da. Der Vormarsch der Populisten und Rechtsextremen war zwar prognostiziert worden. Aber am Ende überrascht die Wucht doch, mit der in Paris Emmanuel Macron desavouiert und in Deutschland die regierenden Sozialdemokraten von Olaf Scholz deklassiert wurden.

In Paris ergriff Frankreichs Präsident die Flucht nach vorn und rief vorgezogene Neuwahlen aus. Es ist ein Schritt mit großem Risiko, nicht zuletzt für die EU, sollte Marine Le Pen mit ihrem rechtsextremen Rassemblement National Ende Juni ebenfalls die Parlamentswahlen gewinnen. Auch in Berlin sind möglicherweise die Tage der Koalition von Olaf Scholz gezählt. Die rechtsextreme Welle trifft Europa mitten ins Herz. Frankreich und Deutschland geben in der EU oft Tempo und Richtung vor. Dieser deutsch-französische Motor wird noch weniger Zugkraft haben als bisher, vielleicht ganz ausfallen. Scholz und Macron dürften in nächster Zeit mit politischen Aufräumarbeiten und mit ihren nationalen Agenden beschäftigt sein."

"Rossijskaja Gaseta" (Moskau)

"Ungeachtet der Erfolge rechter und radikal linker Parteien, bleiben die wesentlichen proeuropäischen Parteien nach den Ergebnissen der Wahlen am Sonntag weiterhin die stärkste Kraft im Europaparlament ...

Die Rechten feiern einen Erfolg in Frankreich, wo die 'Macronisten' eine verheerende Niederlage erlitten. Aber nicht nur in Frankreich feierte die extreme Rechte am Sonntagabend. In Deutschland und Österreich erzielten populistische Parteien überwältigende Erfolge bei den Europawahlen, was wahrscheinlich die Verabschiedung von Gesetzen erschwert und im wichtigsten Gesetzgebungsorgan Europas Fragen nach der Zweckmäßigkeit der weiteren Unterstützung des Kiewer Regimes aufwirft ...

Prognosen nach können die hohen Wahlergebnisse der Ultrarechten, Nationalisten und Euroskeptiker sich in Allianzen im Parlament niederschlagen und die Zukunft des europäischen Blocks grundlegend ändern."

"La Repubblica" (Rom)

"Frankreich und Deutschland müssten wie immer die Lokomotive Europas sein, um es durch die großen Krisen, die uns umgeben, in eine neue Zeit zu führen. Jetzt ist dieser Zug stehen geblieben. Der gesamte Prozess der Stärkung der Union ist zum Stillstand gekommen.

Gerade zu einem Zeitpunkt, da Europa bei seiner Rolle und seinem politischen Gewicht einen Sprung nach vorn machen und eine souveräne Subjektivität bekommen müsste, um die Krisen zu bestehen, wird die Rechte den Prozess des europäischen Aufbaus blockieren - sehr zur Zufriedenheit von (Russlands Präsident Wladimir) Putin. Es sei denn, die Bürger nehmen sich nach diesem Alarmsignal ihre Geschichte und ihre Verantwortung zurück und vereinen sie in einem neuen europäischen Engagement: Es geht bergauf, aber das Spiel hat gerade erst begonnen."

"Dagens Nyheter" (Stockholm)

"Extreme Kräfte haben in den zwei größten Ländern der EU, Frankreich und Deutschland, Stimmen hinzugewonnen. Dass eine deutsche Partei mit Verbindungen zum Nationalsozialismus fast 16 Prozent der Stimmen bekommt, ist schockierend. Während des Wahlkampfes wurden enge Beziehungen zwischen dem Kreml und mehreren Spitzenkandidaten der AfD aufgedeckt.

In Osteuropa liegt die Geschichte der diktatorischen Unterdrückung nicht so weit zurück, und dort scheinen die Menschen die akute Bedrohung durch Putins Russland klarer zu erkennen. In Polen knüpften Donald Tusk und seine Bürgerkoalition an den Sieg bei den nationalen Wahlen im Herbst mit einem weiteren Sieg an, während die antidemokratische, rechtsextreme Partei PiS fast 10 Prozentpunkte verlor.

In Ungarn erlebte Viktor Orbán mit seiner Partei Fidesz mit 44 Prozent der Stimmen die schlechteste Wahl seit Jahrzehnten und hat zum ersten Mal seit genauso langer Zeit einen reellen politischen Gegner. In der Slowakei gewann die sozialliberale Progressive Slowakei vor der populistischen und prorussischen Smer von Ministerpräsident Robert Fico.

Dieses Mal gingen die Europäer im Schatten eines Krieges zur Wahl. Und es ist klar, wo in Europa das ernst genommen wurde. Man sollte das Gedenken an den D-Day an den Stränden der Normandie feiern, aber wie deutlich ist die Erinnerung an die Gefahr eines totalitären, aggressiven Nachbarn eigentlich? In Osteuropa erinnert man sich und dort versteht man, was auf dem Spiel steht."

"Handelsblatt" (Düsseldorf)

Die Träume der Grünen von einer Kanzlerschaft sind wohl endgültig ausgeträumt. Obwohl mit dem Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg allen Wählerinnen und Wählern die Bedeutung des Klimaschutzes deutlich vor Augen geführt wurde, verlor die Ökopartei um die Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck die meisten Stimmen innerhalb der Koalition. Eine neue Erfahrung für die Grünen. Ob sie daraus etwa in der Abschiebepolitik ihre Lehren ziehen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich merken die Bürger zudem langsam, wie teuer die grüne Energiewende wird.

"Lidove noviny" (Prag)

"Viele Politiker haben uns versprochen, den Green Deal zu überdenken und den Verbrennungsmotor und damit die europäische Automobilindustrie zu retten. Zwar liegt es auf der Hand, dass man den Green Deal nicht mehr abschaffen kann, denn Europas Staaten und Firmen haben bereits enorme Investitionen getätigt. Doch es wäre angebracht, ihn zu überarbeiten, vor allem im Hinblick auf seine sozialen Auswirkungen. Denn es muss keine Katastrophe bedeuten, den Verbrennungsmotor durch die Elektromobilität zu ersetzen, solange man nur auf sozialistische Verpflichtungen und einen aktivistischen Zeitplan verzichtet. Weit schlimmere soziale Auswirkungen dürfte indes die Verpflichtung haben, alle Gebäude bis 2050 klimaneutral zu machen. Das könnte zu einer enormen Verschuldung der Einzelnen und des Staates führen und den Wohnbestand in armen Mitgliedstaaten in die Hände von Banken und Immobilienspekulanten treiben. Wir sollten von denjenigen, die uns Versprechungen gemacht haben, nun Ergebnisse einfordern."

"ABC" (Madrid)

"Das war zu erwarten. Nicht nur das Ergebnis, sondern auch die reflexartige Reaktion derjenigen unter uns, die dazu neigen, in den gemäßigten Zonen der liberalen Demokratie zu leben. Wir ballen die Fäuste und runzeln die Stirn (...), um eine ebenso offensichtliche wie enttäuschende Wahrheit zu erfahren: der Aufstieg von (...) extremen Rechten wie der deutschen AfD. (...) Wir sind schockiert, dass politische Kräfte, die den liberalen und europäischen Rahmen infrage stellen, an Bedeutung gewinnen.

Diese Besorgnis ist verständlich, vermeidet es aber, sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen: In Europa (...) gibt es Tausende Menschen, vor allem junge Menschen, die sich - ob berechtigt oder nicht - von dem Konsens ausgeschlossen fühlen, auf dem das europäische Projekt beruht. Sie zu beleidigen, zu demütigen, zu karikieren oder sich auf empörten Alarm zu beschränken, verstärkt nur die subjektive Wahrnehmung derjenigen, die alles kaputt machen wollen. (...) Viele ihrer Forderungen sind unangenehm, aber es ist auch enttäuschend, die Arroganz und den mangelnden Integrationswillen derjenigen von uns zu sehen, die weiterhin an die liberale Demokratie glauben. (...) Es ist schön und gut, Feuer zu schreien! Aber was wir wirklich brauchen, ist ein wenig mehr Selbstkritik und jemanden, der herausfindet, wo zum Teufel der (Feuerwehr-)Schlauch versteckt ist."

"Pravda" (Bratislava)

"Zwar ändern sich die Kräfteverhältnisse zwischen den einzelnen Fraktionen im Europäischen Parlament gar nicht so dramatisch, in einigen Staaten jedoch gab es regelrechte politische Erdbeben. Frankreich steuert in eine politische Krise, das ist für Europa keine gute Nachricht. In Deutschland erlebte Kanzler Olaf Scholz ein Debakel. (...) Doch im EU-Parlament selbst werden Konservative, Sozialisten, Liberale sowie Progressive und Grüne weiter eine zuverlässige Mehrheit für ihr Weiterregieren haben.

Doch das ist die eigentlich schlimmste Nachricht. Denn wenn sich Konservative und Sozialisten unentwegt in die politische Mitte drängen und im Gleichklang eine einheitliche Politik betreiben, es dabei aber aufgeben, sich mit mutigeren Standpunkten voneinander abzugrenzen und einen natürlichen Wettbewerb der Ideen in Fragen wie Migration, Green Deal, Wirtschaftspolitik oder Ukraine-Krieg austragen, dann lassen sie immer mehr Raum sowohl am linken wie auch rechten Ufer leer. Und diesen Raum füllen dann radikale und extreme Kräfte."

"Hospodarske noviny" (Prag)

"Die europäischen Wähler haben ihren Politikern ein Mandat gegeben, aus der Europäischen Union in den nächsten Jahren einen schwächeren und noch weniger berechenbaren globalen Akteur zu machen. Auch so lässt sich das Ergebnis der Europawahl interpretieren. Denn wegen Streitereien um alles und jedes droht eine gelähmte Union. Es wird schwieriger, Kompromisse bei großen und grundlegenden Themen zu finden. Das ist eine Schwäche in einer Zeit, in der sich in der Welt neue regionale Blöcke bilden und die politische, wirtschaftliche und militärische Stärke aufstrebender globaler Akteure wie Indien und Brasilien wächst. (...)

Ein Fragezeichen hängt zudem über der weiteren Hilfe für die Ukraine. Dafür wird das Ergebnis der französischen Parlamentswahl wichtig sein, die als Folge der Europawahl ausgeschrieben wurde. Eine Schwächung der französischen Unterstützung für Kiew würde die gesamte europäische Hilfe in Gefahr bringen. Die Anführerin der französischen Rechten, Marine Le Pen, drückt sich zwar in letzter Zeit vorsichtiger aus, was Russland anbelangt, (...) aber ihre Vorstellungen erinnern an die Reden des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban über einen Frieden - ohne einen klaren Plan, wie dies erreicht werden soll."

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(APA/Red)

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