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„In Vorarlberg regulieren wir zu stark und zu schnell“

Wildbiologe Hubert Schatz im Talk über bedrohte Arten, Koexistenz mit Tieren und warum er Urlaub am liebsten im Betondschungel macht.

WANN & WO: Warum bist du Wild­biologe geworden?

Hubert Schatz: Das wurde mir in die Wiege gelegt. Ich bin in einer Forst- und Jagdfamilie aufgewachsen. Bei uns hat sich alles um Wild und Jagd und Wald gedreht. So habe ich nach dem Gymnasium an der BOKU in Wien Forstwirtschaft studiert. Anschließend war ich in einem steirischen Forstbetrieb beschäftigt, bis ich 1993 nach Vorarlberg gekommen bin. Ich bin also schon über 30 glückliche Jahre im Ländle.

WANN & WO: Gibt es aktuelle Projekte, die dir als Wildbiologe besonders am Herzen liegen?

Hubert Schatz: Alle Wildtiere, für die man zuständig ist, liegen einem am Herzen. Wo ich merke, dass es eng wird und der Mensch großen Druck auf die Lebensräume – und das sind leider relativ viele – ausübt, berührt es mich noch mehr.

WANN & WO: Was macht die Probleme mit Wildtieren?

Hubert Schatz: Es sind die verschiedensten Nutzungsinteressen. In Vorarlberg sind wir in einem Gebirgsland, wo der Schutzwald etwas ganz Wichtiges ist. Aber da gibt es schon übertriebene Vorstellungen, wo das Wild nicht sein dürfe. Bei jedem Verständnis für den Wald, aber wenn das Wildtier nicht einmal mehr seinen angestammten Platz nutzen darf, wird es schwierig.

WANN & WO: Inwiefern wirkt sich der Tourismus darauf aus?

Hubert Schatz: Es gibt viele Erschließungsmaßnahmen, die mit dem Fremdenverkehr zusammenhängen, oft auch erst in der Folgenutzung. Mit E-Bikes kommen die Menschen in Räume, wo sie früher viel weniger waren. Zu Fuß musste man aus diesen Gebieten abends viel früher aufbrechen, um rechtzeitig wieder unten zu sein. So blieb den Tieren mehr Zeit ohne Menschen. Dieses räumliche und zeitliche Ausschweifen in die Lebensräume der Tiere nimmt extrem zu. Nachtskilaufen, Nachtwanderungen, nächtliche E-Bike-Touren meistens mit LED-Lampen, so hell wie Autoscheinwerfer, verändern die Lebenssituation der Tiere gewaltig.

WANN & WO: Gibt es Orte in Vorarl­berg, die ganz besonderer Aufmerksamkeit bedürften?

Hubert Schatz: Meine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bergregionen. Mit dem Rheintal habe ich ganz wenig zu tun. Dieses ist aber ein typisches Beispiel dafür, was der Mensch mit Lebensraum anstellen kann: Wenn man sich alte Luftbilder ansieht und erkennt, wie intensiv das verbaut wurde. Wenn man weiß, wie die Landwirtschaft intensiviert worden ist, mit großen Maschinen. So ist es für sensible Tierarten, wie etwa Wiesenbrüter echt eng geworden. Die sind am Rande ihrer Existenz und es kann sein, dass die jederzeit verschwinden. Wenn das immer mehr in die Bergregionen eindringt, wird es noch schwieriger. Oft ist nicht der typische Tourismus das Problem, sondern eher die individuellen Freizeitaktivitäten, abseits der Pisten, abseits der Wege. Das sind meistens Einheimische, die weit in die Lebensräume der Tiere eindringen. Die weichen dann wieder in Bereiche aus, wo sie nicht sein sollten. Wenn das Wild überall vertrieben wird, ausweichen muss und mehr in der Nacht statt in der Dämmerung aktiv ist, macht das die Bestandserfassung und die Bejagung selbst ungemein schwierig.

WANN & WO: Spielt das Klima dabei auch eine Rolle?

Hubert Schatz: Es ist deutlich spürbar, dass es sich verändert. Die Winter werden kürzer und schneeärmer, zwischendurch gibt es sehr hohe Schneemengen, oder der Schnee kommt erst sehr spät. Die Gefahr für Lawinen und Hochwasser steigt enorm, denn diese Extreme nehmen zu. Das merkt man auch am Verhalten der Wildtiere. Früher haben sich diese weiter unten aufgehalten, wenn in den Bergen Frost war. Dieses veränderte Verhalten der Tiere ist eine echte Herausforderung für die Jäger geworden.

WANN & WO: Wie können wir die Koexistenz zwischen Wildtieren und Menschen verbessern?

Hubert Schatz: In Vorarlberg brauchen wir mehr Toleranz, was Wildtiere angeht. Die Schweizer leben uns das vor. Unmittelbar über der Grenze ist eine ganz andere Koexistenz zwischen Wildtier und Mensch vorhanden. Wenn bei uns ein Wildtier an einem Ort auftaucht, wo es schon lange nicht mehr gesehen wurde, wird sofort geschrien, das dürfe nicht sein. In der Schweiz ist das völlig normal. Natürlich braucht alles seine Grenzen, aber wir in Vorarlberg regulieren zu stark und zu schnell.

WANN & WO: Wie ist das mit dem Wolf im Ländle?

Hubert Schatz: Beim Wolf hat man früher geglaubt, er sei das „Wildnistier“ schlechthin und könne nur ganz abgeschieden leben. Er hat aber eine sehr hohe Anpassungsfähigkeit und dass dadurch Probleme auftauchen, ist verständlich. Auf so engem Raum und in einer so intensiven Kulturlandschaft wie in Vorarlberg musss man dann regulierend eingreifen. Dem Wolf komplett freien Lauf in der Entwicklung zu lassen, wäre ein Riesenfehler. Vorarlberg ist sicher kein Wolfsland, davon bin ich überzeugt. Wir können ein Durchzugsland sein, aber ein richtiges Wolfsland mit Dauerpräsenz und Rudelbildung geht nicht.

«Wir können ein Durchzugsland sein, aber ein richtiges Wolfsland mit Dauerpräsenz und Rudelbildung geht in Vorarlberg nicht.»

WANN & WO: Sind die Menschen für diese Themen zugänglicher?

Hubert Schatz: Gäste, die kommen, um Urlaub zu machen, sind oft aufgeschlossener als die Einheimischen. Die Städter sind pro Wolf. Die Leute auf dem Land hingegen sind oft viel kritischer, gerade wenn es um das Verständnis geht, dass man irgendwo nicht hingehen soll, weil dort Wildtiere sind. Manch Einheimischer sagt da eher: „Das ist mir wurscht, ich muss nicht ausweichen.“ Da sind die Gäste oft leichter zu überzeugen.

WANN & WO: Wie hältst du es privat mit Nachhaltigkeit?

Hubert Schatz: Ein sorgfältiger Umgang mit unseren Ressourcen ist für mich etwas Selbstverständliches, auch wenn es oft nur kleine, läppische Dinge sind. Es macht mich rasend, wenn ich sehe, dass Licht eingeschaltet ist, wo man es nicht braucht. Ich will da nicht den Oberapostel spielen, aber mit Hausverstand sollte man schon vorgehen.

WANN & WO: Bist du in den familiären Hotelbetrieb eingebunden?

Hubert Schatz: Eigentlich nicht. Meine Frau kümmert sich um das Hotel. Ich helfe ab und zu mit Rasenmähen aus, aber ansonsten bin ich mit den Wildtieren absolut ausgelastet. In letzter Zeit immer mehr wegen dem Wolf. Der Luchs spielt langsam wieder eine Rolle und auch der Bär war schon da. Die Biber kommen wieder und zuletzt habe ich gehört, dass auch wieder ein Fischotter gesichtet wurde. Da bin ich der erste Ansprechpartner und rund um die Uhr gefordert. Aber apropos Rasen: Das mit diesen Rasenrobotern ist ein absoluter Wahnsinn!

WANN & WO: Wie meinst du das?

Hubert Schatz: Kaum etwas ist so bitter, grausam und brutal gegenüber der Natur, wie ein Rasenroboter. Der gibt der Pflanze nicht einmal mehr die Chance, ein bisschen zu wachsen, weil er täglich fährt. Das ist ein ökologischer Wahnsinn, während die gleichen Leute jammern, wie sehr sich die Natur verändert hat. Sie wollen mehr Natur und auch der Wolf soll kommen, aber gleichzeitig fetzen sie mit den Rasenmähern die letzte Lebensgrundlage für Insekten nieder. Das ist pervers!

WANN & WO: Was muss im Zusammenhang mit Wildtieren in Vorarlberg passieren?

Hubert Schatz: Wir dürfen nicht noch mehr Gebiete in Anspruch nehmen und glauben, alles sei unendlich vorhanden. Nicht immer nur mehr intensivieren, mehr düngen, mehr Erträge. Der Bauer spielt dabei eine wichtige Rolle für die Erhaltung unserer Kulturlandschaft und auch für die Lebensräume der Wildtiere.

WANN & WO: Wie machst du Urlaub?

Hubert Schatz: Ich liebe Städtereisen und dann muss es gleich das volle Kontrastprogramm sein. Ich kann eigentlich nur im Betondschungel richtig abschalten und mal nicht an den Job denken.

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