AA

Waffenstillstand in Nahost weiter nicht in Sicht

Israels Regierungschef Netanyahu will Gazastreifen nicht "erobern, regieren oder besetzen".
Israels Regierungschef Netanyahu will Gazastreifen nicht "erobern, regieren oder besetzen". ©APA/AFP, ABIR SULTAN POOL/Pool via REUTERS
Laut Israels Premierminister Benjamin Netanjahu werde es keinen Waffenstillstand geben.
Israel korrigiert Zahl der Toten vom 7. Oktober auf 1.200

Es werde lediglich Kampfpausen an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten geben, um der Bevölkerung die Flucht in den Süden zu ermöglichen. Unterdessen wurde am Freitag erneut das größte Krankenhaus in Gaza von Raketen getroffen. Dutzende Menschen sind dabei ums Leben gekommen.

Militär soll nach Kriegsende Gaza kontrollieren

Israels Militär soll nach Ansicht von Regierungschef Benjamin Netanyahu nach dem Krieg die Kontrolle über den Gazastreifen haben. Die israelische Armee werde "die Kontrolle über den Streifen behalten, wir werden sie nicht internationalen Kräften überlassen", sagte Netanyahu Medienberichten zufolge am Freitag bei einem Treffen mit Vertretern israelischer Grenzstädte.

Zuvor hatte Netanyahu in einem Interview dem US-Sender Fox News gesagt, Israel wolle nicht versuchen, den Gazastreifen zu erobern, zu regieren oder zu besetzen. "Aber wir wollen ihm und uns eine bessere Zukunft im gesamten Nahen Osten geben. Und dazu muss die Hamas besiegt werden." Er habe keinen Zeitplan festgelegt, "denn es kann mehr Zeit in Anspruch nehmen", sagte Netanyahu. Der Gazastreifen müsse entmilitarisiert, de-radikalisiert und wiederaufgebaut werden.

Ein ranghoher Berater Netanyahus hatte vergangenen Woche gesagt, dass Israel keine anhaltende Besetzung des Gebietes anstrebe. Es müsse aber eine Sicherheitspräsenz Israels geben, damit das Militär je nach Bedrohungslage für Einsätze hineingehen könne, sagte Mark Regev dem US-Sender CNN.

101 Mitarbeiter von UN-Hilfswerk seit Kriegsbeginn getötet

101 Mitarbeiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNWRA) sind seit dem wiederaufgeflammten Nahost-Konflikt getötet worden. Das teilte UNWRA-Chef Philippe Lazzarini am Freitag via Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) mit. "Verheerend. Über 100 UNRWA-Mitarbeiter wurden innerhalb eines Monats getötet. Eltern, Lehrer, Krankenschwestern, Ärzte, Hilfspersonal. UNRWA trauert, die Palästinenser trauern, die Israelis trauern."

Er rief erneut zu einer humanitären Feuerpause auf. Mitarbeiter der Vereinten Nationen planen für Montag eine Minute der Stille, um der Getöteten zu gedenken. Noch nie sind so viele UN-Hilfskräfte in einem Konflikt getötet worden. 2011 waren es in Nigeria 46, als ein Selbstmord-Attentäter ein Büro in Abuja ins Visier genommen hatte.

Tote nach Angriff auf Krankenhaus und Schule

Bei einem Angriff auf das größte Krankenhausgelände im Gazastreifen wurden nach Angaben der radikalislamischen Hamas 13 Menschen getötet. Zudem seien bei dem "israelischen Angriff auf das Gelände des Al-Shifa-Krankenhauses" im Zentrum der Stadt Gaza dutzende Menschen verletzt worden, erklärte ein Hamas-Sprecher am Freitag. In das Krankenhaus sind nach Angaben seines Direktors "nach dem Beschuss einer Schule etwa 50 Tote" gebracht worden. Die Nachrichtenagentur AFP konnte die Angaben zunächst nicht verifizieren.

Das Medienbüro der von der radikalislamischen Hamas beherrschten Regierung im Gazastreifen erklärte seinerseits, dass Israel "viele Panzer in etwa 200 Meter Entfernung von der Al-Burak-Schule positioniert" habe. Zudem seien in dem Stadtviertel Al-Nasr, in dem die Schule liegt, vier Krankenhäuser eingekreist worden.

Israels Armee meldet Kämpfe bei Krankenhaus

Die israelische Armee hatte am Donnerstag heftige Kämpfe in der Nähe des Al-Shifa-Krankenhauses gemeldet und angegeben, "mehr als 50 Terroristen" getötet und Tunneleingänge, Werkstätten für Panzerabwehrraketen und Luftabwehrstellungen zerstört zu haben.

Unter den getöteten Terroristen seien auch am Massaker in Israel beteiligte Personen, teilte das Militär am Freitag mit. Israel hatte der Hamas wiederholt vorgeworfen, insbesondere das Al-Shifa-Krankenhaus als Versteck für ihre Kämpfer und zur Koordination ihrer Angriffe zu nutzen, was die Palästinenserorganisation bestreitet.

Laut dem Generaldirektor für die Krankenhäuser im Gazastreifen, Mohammed Zaqout, ist eine Versorgung der Verletzten nicht mehr möglich. "Die Krankenhäuser werden ständig von Israel bombardiert", sagte er. Zehntausende Menschen, die in den Krankenhäusern Zuflucht suchten, seien in Gefahr.

Gefechte mit der Hisbollah im Libanon

Auch bei Gefechten an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel wurde nach libanesischen Angaben am Freitag auf ein Krankenhaus gezielt. Das libanesische Gesundheitsministerium verurteilte "das Zielen" auf das Mais-al-Jabal-Krankenhaus im Grenzgebiet "auf Schärfste". Das israelische Militär prüfe den Vorfall derzeit nach eigenen Angaben.

Lokale Medien berichteten, dass die Granate nahe des Noteingangs des Krankenhauses gelandet sei. Der Vorfall ereignete sich kurz nachdem die pro-iranische Hisbollah den israelischen Posten al-Assi nahe der Grenzstadt Mais al-Jabal und mehrere andere Posten angegriffen hatte. Eine libanesische Sicherheitsquelle bestätigte, dass die israelische Armee im Rahmen eines Vergeltungsangriffs unter anderem die Außenbezirke von Mais al-Jabal angegriffen habe.

Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober

Die israelischen Militäreinsätze im Gazastreifen sind eine Reaktion auf den brutalen Großangriff der Hamas vor mehr als einem Monat auf Israel. Hunderte Islamisten waren am 7. Oktober nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten an hunderten Zivilisten verübt, darunter viele Frauen und Kinder. Nach israelischen Angaben wurden dabei etwa 1.400 Menschen getötet und etwa 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt.

Daraufhin erklärte Israel der Hamas den Krieg und greift seitdem Ziele im Gazastreifen an. Mittlerweile drangen israelische Soldaten am Boden bis in die Stadt Gaza vor. Nach nicht unabhängig überprüfbaren Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums wurden bei den Angriffen bisher mehr als 10.800 Menschen getötet.

Einige Hundert durften nach Ägypten

594 Ausländer und Palästinenser mit doppelter Staatsbürgerschaft dürfen nach palästinensischen Angaben an diesem Freitag über den Grenzübergang Rafah aus dem Gazastreifen nach Ägypten ausreisen. Auf einer Liste der palästinensischen Behörde standen unter anderem auch sechs Deutsche. Weiterhin sei die Ausreise von Menschen aus Kanada, den USA, Rumänien, Russland, Brasilien, Polen und weiteren Ländern geplant. Die Grenzbehörde rief diese Ausreisenden dazu auf, früh am Grenzübergang zu warten.

Aus dem umkämpften Norden des Gazastreifens sind israelischen Angaben zufolge auch am Freitag wieder Zehntausende in den Süden des Küstengebiets geflüchtet. Den sechsten Tag in Folge sei wieder für mehrere Stunden eine sichere Flucht für die palästinensischen Zivilisten möglich, teilte die israelische Cogat-Behörde, die für palästinensische Angelegenheiten zuständig ist, mit. Armeeangaben zufolge ist der Fluchtkorridor tagsüber für sechs Stunden passierbar. "Die Zeit für eine Evakuierung läuft davon", warnte ein Armeesprecher auf X in arabischer Sprache.

Abbas bereit für Rückkehr nach Gaza

Die Palästinensische Autonomiebehörde zeigt sich unterdessen bereit, im Gazastreifen nach Ende des Krieges unter Bedingungen Regierungsverantwortung zu übernehmen. Voraussetzung sei eine umfassende politische Lösung, die auch das Westjordanland und Ost-Jerusalem umfasst, erklärte Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas am Freitag.

Die Autonomiebehörde war 2007 von Hamas aus dem Gazastreifen vertrieben worden. Sie regiert seitdem eingeschränkt im Westjordanland, das teilweise von Israel besetzt ist und wo Israel seine Siedlungen trotz internationaler Kritik ausgebaut hat.

Eine Zwei-Staaten-Lösung wird aber von den meisten Mitgliedern der gegenwärtigen, rechtsreligiösen Regierung in Israel als Gefahr für den jüdischen Staat angesehen und daher abgelehnt. Es gibt auch rechtsextreme Minister, die eine Annexion des Westjordanland und des Gazastreifens anstreben.

Israel will nach dem Massaker der Hamas deren Herrschaft und militärische Fähigkeiten zerstören. Die USA pochen darauf, dass die PA an der Diskussion über die Zukunft des Gazastreifens danach beteiligt wird. Allerdings fordern große Teile der palästinensischen Bevölkerung Abbas Rücktritt. Der 87-Jährige ist seit mehr als 18 Jahren im Amt und nicht mehr durch Wahlen legitimiert. Sollte seine Autonomiebehörde mit Hilfe Israels die Kontrolle im Gazastreifen übernehmen, wäre das für viele ein Affront.

News zum Krieg in Israel auf VOL.AT

(APA/VOL.AT)

  • VOL.AT
  • Krieg in Israel
  • Waffenstillstand in Nahost weiter nicht in Sicht