"Der Maßnahmenkoffer ist veraltet"
Es fühle sich an, als wäre er schon drei Jahre - nicht erst drei Wochen - Gesundheitsminister, sagt Johannes Rauch im Studio von Vorarlberg LIVE. Vieles sei in dieser Zeit passiert. Rauch betont, dass es die Politik noch nicht geschafft habe, ihren Maßnahmenkoffer an die veränderte Pandemielage anzupassen. Ebenso habe die Impfung in ihrem Ruf gelitten, wenngleich sie weiterhin das wirksamste Instrument gegen die Pandemie sei. Zur Pflegereform stellt der Minister noch erste Schritte vor dem Sommer in Aussicht.
Vor drei Wochen wurden Sie angelobt, was seither aus Ihrer Sicht passiert?
Rauch Jede Menge. Die drei Wochen kommen mir vor wie drei Jahre. Es war eine anspruchsvolle Situation, um in das Amt einzusteigen. Die Impfpflicht wurde ausgesetzt, die Ansteckungszahlen waren extrem hoch, das Testregime Neu wurde vorbereitet, bei Gecko ist nicht alles rund gelaufen,... Natürlich muss man sich in bestimmte Themenbereiche auch einarbeiten. Mir ist also nicht langweilig geworden. Es ist mir aber zugutegekommen, dass mir das politische Handwerk vertraut war.
Welche koalitionären Zwänge spüren Sie?
Rauch Politik heißt auch, Kompromisse schließen zu müssen, um zu Ergebnissen zu kommen - noch einmal mehr, wenn zwei Parteien miteinander koalieren, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Natürlich ist eine Koalition immer in Abstimmung.
Es wirkt, als kommen die Maßnahmen gegen Corona immer zum falschen Zeitpunkt. Täuscht der Eindruck?
Rauch Es ist ein Problem mit der Geschwindigkeit. Das ist richtig, weil sich das Virus schneller verändert, als wir in der Lage sind uns anzupassen, auch mit den Maßnahmen. Wir hatten zu Beginn der Pandemie einen Werkzeugkoffer mit scharfen Maßnahmen, Lockdown, Ausgangssperren und ähnlichem. Mittlerweile hat sich das Virus aber verändert, wir haben es aber noch nicht geschafft, den Maßnahmenkoffer auf die veränderte Lage anzupassen. Die Menschen akzeptieren die Maßnahmen nur, wenn sie verstanden werden. Das war in der Vergangenheit sicher nicht immer so.
Von der gesamtstaatlichen Krisenkoordination Gecko bis zur Coronakommission: Gibt es zu viele Beraterstäbe, muss man sie straffen?
Rauch Das war meine Ansage und die werde ich auch umsetzen. Es ist eine Unzahl von Beraterstäben und Gremien im Laufe der Pandemie entstanden. Sie sind oft nicht in dem Ausmaß untereinander abgestimmt, dass eine einheitliche Meinung herauskommt. Da ist es schwierig, als Politik zu entscheiden. Unsere Coronapolitik muss wissenschaftlich begründet und von Expertise begleitet sein. Und wir haben auf dem Boden der Verfassung, der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu agieren.
Sie müssen sich auch mit dem Koalitionspartner einig werden. Viele Verordnungen kamen verspätet, weil es eine Diskussion mit dem Regierungspartner gab.
Rauch Es gibt unterschiedliche Zugänge. Manchen kann es gar nicht vorsichtig genug sein, andere warnen vor einem weiteren Lockdown. Zwischen den vielen Interessenslagen hat man sich zu bewegen. Mein Motto bei den Maßnahmen ist: So viel wie unbedingt notwendig und so wenig wie möglich.
Jedes Land geht beim Testen anders vor. Warum?
Rauch Es ist mühsam, wenn es neun unterschiedliche Systeme gibt. Gerade beim Testen wäre es klug gewesen, ein System für ganz Österreich zu haben.
Im „Standard“ geißelten Sie den Schönwetterföderalismus. Wenn etwas gut ist, kommt es von den Landeshauptleuten, wenn es schlecht ist, vom Bund. Was wäre der Weg heraus?
Rauch Es ist österreichische Realverfassung. Wir sind ein föderaler Staat, sind föderal organisiert. Die Bundesstaatsreform, mit der versucht wurde, die Kompetenzen besser zu klären, ist vor Jahren grandios gescheitert. Wir haben sehr viele geteilte Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Da mehr Klarheit zu schaffen, wäre natürlich notwendig.
Wie läuft es mit der Impfkampagne? Die Neuimpfungen liegen quasi bei Null.
Rauch Alle Länder in Europa haben dasselbe Problem. Die Impfung hat in ihrem Ruf massiv gelitten, vielleicht auch mitverschuldet durch die zuerst geäußerte Meinung, dass die Impfung vor Ansteckung schützt. Aber sie schützt vor schweren Erkrankungen und davor auf der Intensivstation oder im Spital zu landen. Sie ist das wirksamste Instrument, um die Pandemie zu bekämpfen. Sich impfen zu lassen, ist ein Gebot der Stunde.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Spitälern sind massiv gefordert. Was wollen Sie für das Spitalspersonal und auch das Pflegepersonal tun?
Rauch Ich habe mir von allen Spitalsbetreibern die Situation schildern lassen. Nach zwei Jahren Pandemie ist das Personal in den Spitälern und Alten- und Pflegeheimen nicht nur am Anschlag, sondern darüber hinaus. Das Personal zahlt permanent die Zeche für die Öffnungsschritte und die hohen Infektionszahlen. Dass dort die Geduld zu Ende ist, verstehe ich. Daher mein Appell, die Maßnahmen weiter mitzutragen, Maske zu tragen, sich zu schützen, sich impfen zu lassen. Das ist auch ein Akt der Solidarität mit den Menschen im Spital und den Pflegeheimen.
Welchen Zeitplan können Sie für die Pflegereform in Aussicht stellen?
Rauch Mit Ankündigungen von Zeitplänen ist es immer schwierig. Klar ist, die Vorarbeiten sind geleistet, die Koalition hat sich darauf verständigt, da müssen die ersten Schritte noch vor dem Sommer kommen. Stichwort: bessere Ausbildungsbedingungen, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung des Pflegepersonals, bessere Unterstützungsleistungen. Da wird man Geld in die Hand nehmen müssen.
Gibt es einen Unterschied zwischen Kanzler Karl Nehammer und Ex-Kanzler Sebastian Kurz?
Rauch Es ist ein Umgangston eingekehrt, mit dem sich arbeiten lässt. Unter Sebastian Kurz war die Abstimmung schwieriger. Die Dinge funktionieren jetzt besser.
Die Sendung "Vorarlberg LIVE" ist eine Kooperation von VOL.AT, VN.at, Ländle TV und VOL.AT TV und wird von Montag bis Freitag, ab 17 Uhr, ausgestrahlt. Mehr dazu gibt's hier.
(VOL.AT/VN)
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