Der deutsche Koalitionsvertrag aus europäischer Sicht

Ein Blick auf den Koalitionsvertrag aus europäischer Perspektive:
MINDESTLOHN
Künftig soll bundesweit ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gelten. Das freut andere EU-Länder, die Deutschland Mini-Löhne etwa in der Fleischindustrie vorwarfen und dadurch ihre eigenen Betriebe im Nachteil sahen. Auch die EU-Kommission hatte Deutschland mehrfach aufgerufen, etwa durch einen Mindestlohn die Binnennachfrage anzukurbeln, um seinen anhaltend hohen Exportüberschuss zu verringern. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag lediglich, Deutschland brauche neben Exportstärke auch eine “von Investitionen und Kaufkraft getragene Inlandsnachfrage”.
FRAUEN UND BERUF
Die EU hat Deutschland wiederholt folgenlos aufgerufen, die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, indem etwa “signifikante Fehlanreize” für Zweitverdiener wie das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Kein Wort dazu im Koalitionsvertrag. Vage wird jedoch angekündigt, Kitas und Ganztagsschulen auszubauen – auch das eine Forderung aus Brüssel. Die Rückkehr in den Beruf nach einer Familienzeit soll gefördert werden. Diese Ankündigungen dürften der EU-Kommission zu wenig sein. Begrüßt wird in Brüssel der Beschluss, eine verbindliche Frauenquote in Aufsichtsräten einzuführen.
BANKENUNION
Die EU-Partner dürften froh sein, wenn die Regierungsbildung in Deutschland endlich abgeschlossen ist – denn bis zum Jahresende stehen wichtige Entscheidungen zum Aufbau der Bankenunion an. In diesem Punkt bekräftigen Union und SPD die bisherige deutsche Linie, nach der künftig vor den Steuerzahlern Eigentümer und Gläubiger von Banken bei Pleiten blechen müssen. Das soll auch gelten, solange ein europäischer Abwicklungsfonds noch nicht ausreichend mit Geldern der Finanzbranche gefüllt ist. Direkte Hilfszahlungen des Euro-Rettungsfonds ESM an Krisenbanken sollen das allerletzte Mittel sein. Hier wünschen sich manche Staaten mehr Nachgiebigkeit von Deutschland.
KAMPF GEGEN DIE KRISE
Sollten Krisenstaaten gehofft haben, dass Deutschland mit der SPD an der Regierung von Spar- auf Wachstumspolitik schwenkt, dürften sie enttäuscht werden. Im Koalitionsvertrag heißt es: “Wir setzen auf eine Doppelstrategie aus Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen – in Deutschland und Europa.” Genauer wird die Vereinbarung auch nicht dazu, wie über bekannte Beschlüsse hinaus die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden soll. Union und SPD bekräftigen ihre Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene. Der von der SPD geforderte Schuldentilgungsfonds wird nicht erwähnt, Schulden sollen nicht vergemeinschaftet werden. Aufgenommen wird die bereits von Deutschland erhobene Forderung, dass Euro-Krisenstaaten verbindliche Reformverträge mit der EU schließen.
AUTOBAHNMAUT
Geplant ist eine Pkw-Maut in Form einer Vignette – allerdings sollen die Besitzer von in Deutschland zugelassenen Wagen dadurch nicht zusätzlich belastet werden. Betroffen wären also in der Regel Ausländer. Hier kommt die EU-Kommission ins Spiel: Einer der Grundsätze der EU-Gesetzgebung ist, dass niemand wegen seiner Nationalität benachteiligt werden darf. Im Koalitionsvertrag wird eine Regelung angekündigt, die mit EU-Recht vereinbar sein soll. Dazu wird es in den kommenden Monaten noch viele Gespräche zwischen Berlin und Brüssel geben.
DATENSCHUTZ UND VORRATSDATENSPEICHERUNG
Union und SPD fordern, die derzeit diskutierte EU-Datenschutzreform “zügig und schnell” zu verabschieden. Das wird EU-Justizkommissarin Viviane Reding gerne hören, die mit ihren juristisch nicht einfach umsetzbaren Vorschlägen bisher immer wieder auf Widerstand besonders auch aus Deutschland gestoßen ist. Es ist daher unsicher, ob es noch eine Einigung vor der Europawahl im Mai gibt. Eine gute Nachricht aus Sicht der EU-Kommission ist, dass die Koalitionäre die Vorratsdatenspeicherung umsetzen wollen. Dies hatte die FDP blockiert, was Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einbrachte. (APA)
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