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30 Jahre Jugoslawienkrieg: Das umstrittene Erbe Titos

Historiker und Slawist Mag. Elmar Hasovic gewährt Einblick in den Jugoslawienkrieg.
Historiker und Slawist Mag. Elmar Hasovic gewährt Einblick in den Jugoslawienkrieg.
Joachim Mangard (VOL.AT) joachim.mangard@russmedia.com
Im ersten Teil eines umfangreichen Interviews mit Mag. Elmar Hasovic spricht der Bregenzer Historiker und Slawist mit jugoslawischen Wurzeln über die Gründe für den Krieg und Reaktionen aus dem Westen.

VOL.AT: Jugoslawien ist vor 30 Jahren zerfallen. Was können Sie uns über diesen Staat, bzw. den Auflösungsprozess und die Gründe dafür sagen?

Mag. Elmar Hasovic: Nun ja, der vollständige Name lautete Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. Es ist natürlich nicht einfach, einen Staat, vor allem einen derart komplexen, in wenigen Worten zu durchleuchten, aber wenn wir uns kurz vier Ebenen anschauen, kriegt man in etwa ein Verständnis davon, um was für eine Art Staat es sich gehandelt hat. Ich würde hierzu die administrative Ebene, die außenpolitisch-ideologische, die ökonomische, sowie die ethnisch-konfessionelle, und sprachliche Zusammensetzung thematisieren.

Jugoslawien setzte sich aus sechs Republiken zusammen (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Makedonien) und zwei autonomen Provinzen innerhalb der Republik Serbien, nämlich die im Norden gelegene Vojvodina und der im Süden gelegene Kosovo, welcher als einzige administrative Einheit auf Provinzebene eine nicht slawische, albanische Bevölkerungsmehrheit hatte.

Die sechs Republiken sowie zwei Provinzen im ehemaligen Jugoslawien. ©Handout/Hasovic, Quelle: Wikipedia

Dieser Staat war in etwa dreimal so groß wie Österreich und hatte knapp 22 Mio. Einwohner. Die Hauptstadt Serbiens, Belgrad, war gleichzeitig auch die Hauptstadt Jugoslawiens.

Jugoslawien war zwar der Verfassung und dem Namen nach ein sozialistisches Land, welches von der Kommunistischen Partei regiert wurde, das ökonomische System aber hieß "Arbeiterselbstverwaltung", auch bekannt als Selbstverwaltungssystem Jugoslawiens. Konkret bedeutete das, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter einer Firma den Betriebsrat wählten, dieser wiederum die Firmenleitung. Auch über Auszahlungen von Überschüssen oder Investitionen wurde demokratisch abgestimmt. Diese Unternehmen konkurrierten aber untereinander auf marktwirtschaftlichen Prinzipien – geschützt durch Zölle nach außen. Es war die Rede von einer sozialistischen Marktwirtschaft.

Die verschiedenen Varianten der Staatssprache Serbokroatisch wurden in Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina sowie Montenegro gesprochen, während Slowenien und Makedonien eigene Sprachen hatten. Dieses Serbokroatisch ist heute bei uns als BKS (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch) bekannt. In der autonomen Provinz Kosovo wurde mehrheitlich Albanisch gesprochen und in der Vojvodina teils auch Ungarisch. Neben Ungarn und Albanern lebten in Jugoslawien zahlreiche andere Minderheiten, wie Roma, Walachen, und sogar noch die Reste der ehemaligen Volksdeutschen die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. So stammt etwa die Großmutter von Bundeskanzler Kurz aus der Vojvodina. Sie verließ 1944 aufgrund der Kriegsgeschehnisse ihre Heimat und kam nach Österreich. In Jugoslawien waren in großer Zahl Angehörige aller drei monotheistischen Welt-Religionen vertreten: Katholische Christen, Orthodoxe, Muslime und Juden.

Bewegung der Blockfreien (hellblau), Gebiete mit Beobachterstatus (dunkelblau) ©Handout/Hasovic, Quelle: Wikipedia

Die Außenpolitik Jugoslawiens war durch sogenannte Blockfreiheit bestimmt. Die Bewegung der Blockfreien wurde 1961 in Belgrad gegründet. Dazu gehörten neben Indien, Ägypten oder Indonesien, die meisten afrikanischen und süd-, bzw. zentralamerikanischen Staaten.

Im Rahmen dieser Blockfreiheit, aber auch schon zuvor, unterstützte Jugoslawien zahlreiche emanzipatorische Befreiungsbewegungen weltweit – insbesondere in Afrika und im Nahen Osten. Für den Westen war Jugoslawien als ein Gegenmodell zum Sowjetsozialismus wichtig, weil sein Präsident Tito nach dem Rauswurf aus der sozialistischen Komintern 1948 einen eigenständigen Weg beschritt (Tito-Stalin-Bruch). Der Weg der Blockfreiheit passte auch gut ins österreichische System der Neutralität, sodass es stets eine gute Zusammenarbeit in den UN-Gremien gab.

VOL.AT: Warum ist Jugoslawien nun zerfallen?

Mag. Elmar Hasovic: Die Gründe für den Zerfall sind natürlich zahlreich. Diese sind sowohl innenpolitischer, als auch außenpolitischer Natur. Das Ende des Kalten Krieges war nicht für alle ein Segen. Für Jugoslawien bedeuteten diese tektonischen Veränderungen, welche die Welt, aber insbesondere Europa erschütterten, den Wegfall der außenpolitischen Bedeutung, welche dieser Staat für den Westen als "Bollwerk gegen den Sowjetkommunismus" hatte. 1989/90 fiel diese Rolle in sich zusammen. Solch außenpolitische Faktoren trafen auf gewisse innenpolitische Entwicklungen, bzw. die ökonomische Krise, sowie den auch dadurch immer größer werdenden Nationalismus. Im Großen und Ganzen kann von 2 sich gegenüber stehenden Konzepten gesprochen werden: dem föderalistischen und dem konföderalistischen. Während Slowenien und Kroatien einen loseren Staatenverbund wollten, eine Konföderation, trat Serbiens Führung für eine Stärkung der Föderation ein. Im Endeffekt mündete dieser Gegensatz 1991 in der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens, gefolgt von Kroatien und anschließend 1992 Bosnien-Herzegowinas und Makedoniens. Jugoslawien wurde sowohl innenpolitisch, als auch außenpolitisch infrage gestellt.

Der Weg in die Unabhängigkeit

VOL.AT: Wie hat der Westen damals darauf reagiert?

Mag. Elmar Hasovic: Die große Sorge galt damals den Staaten, deren Unabhängigkeit sich aus dem Zerfall der Sowjetunion ergaben. Der Fokus lag weniger auf Jugoslawien. Es gab damals zwei vorherrschende Thesen. Die eine sprach von einem Erhalt des jugoslawischen Staates, um damit einen Konflikt zu verhindern. Die andere, die auch der damalige österreichische Außenminister Mock befürwortete, sah eine möglichst frühzeitige Anerkennung der Unabhängigkeiten vor, um eben auch einen Konflikt zu verhindern. Dieser Zugang wurde auch seitens des deutschen Außenministers Genscher vertreten und setzte sich mit der zunehmenden Zuspitzung des Konflikts durch. In Bezug auf Slowenien erwies sich ein solcher Umgang mit der Krise als unproblematisch. Nach einem zehntägigen Scharmützel mit der slowenischen Territorialverteidigung (etwa vergleichbar mit den Nationalgarden der einzelnen US- Bundesstaaten ) wurden die Rekruten der Jugoslawischen Volksarmee aus Slowenien abgezogen und der Staat wurde de facto unabhängig. In Kroatien aber kam es sofort zu einem bewaffneten Konflikt mit den dort lebenden Serben, der sich zu einem ausgewachsenen Krieg entwickelte, welcher seinen traurigen Höhepunkt in der vollkommenen Zerstörung der Stadt Vukovar fand. All das war noch harmlos im Vergleich zu dem, was in Bosnien folgen sollte. Bei der frühzeitigen Anerkennung Sloweniens wurden die Folgen für den Rest Jugoslawiens nicht mitbedacht.

VOL.AT: Wie hätte der Krieg verhindert werden können?

Mag. Elmar Hasovic: Das ist sogar aus der heutigen Perspektive schwer zu sagen. Ich bin aber der Meinung, dass die Internationale Gemeinschaft den Fehler gemacht hat, Nationalisten wie Milosevic oder Tudjman überhaupt erst als offizielle Gesprächspartner anzuerkennen. Es wäre wahrscheinlich zielführender gewesen, mehr auf die liberal bürgerliche Gestalt von Ante Markovic (Jugoslawiens Premierminister) und seine Reformkommunisten zu setzen. Diese liberalen Kräfte waren zwar schwächer als die Nationalisten, aber ich bin der Meinung, dass sie sich mit mehr Unterstützung von außen – ich ziele hier explizit auf die Staaten Westeuropas, sowie die USA ab – hätten durchsetzen können. Es ist heute wenig bekannt, dass sogar die Mehrheit der Bevölkerung Kroatiens noch am Vorabend der bewaffneten Auseinandersetzungen nicht für eine völlige Loslösung von Jugoslawien war. Sie befürworteten zwar mehr Autonomie für die einzelnen Republiken, jedoch keinen Staatszerfall. Als dann die ersten Opfer fielen und sich die Spirale der Gewalt immer weiter drehte, änderte sich das auch schlagartig.

Im zweiten Teil des Interviews widmet sich der Historiker dem Massaker von Srebrenica.

(VOL.AT)

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