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1.Weltkrieg: Die unglaubliche Heimreise des Eduard Kremmel

Paulina Kremmel geb. Hollenstein mit ihren 7 Kindern. Fünf Jahre musste sie allein für „Kinder, Haushalt und Landwirtschaft“ sorgen. (Kleines Bild: Eduard Kremmel)
Paulina Kremmel geb. Hollenstein mit ihren 7 Kindern. Fünf Jahre musste sie allein für „Kinder, Haushalt und Landwirtschaft“ sorgen. (Kleines Bild: Eduard Kremmel) ©H. Kremmmel
20.000 Seemeilen von Wladiwostok nach Lustenau

Ein Lustenauer gelangte nach einer Fahrt von 20.000 (!) Seemeilen -gemeinsam mit knapp 800 russischen Kindern auf einem Schiff des Amerikanischen Roten Kreuzes – 1920 in die Freiheit

 

 

Die ungewöhnlichen Umstände der Heimreise von Eduard Kremmel aus der russischen Kriegsgefangenschaft zählen zu interessantesten, die Vorarlberger Soldaten des 1. Weltkriegs widerfahren sind.

 

Siebenfacher Vater

Eduard Kremmel war Landwirt und wohnte in Lustenau, Kapellenstraße 14. Er war verheiratet und Vater von sieben minderjährigen Kindern. Kremmel war bereits 40 Jahre alt, als er 1914 mit dem 2. Landsturm-Infanterieregiment in den Ersten Weltkrieg zog. Der Abschied war schmerzhaft: „Wie oft muss ich an Ferdi denken, wie das arme Kind zusammensank bei der Hausthüre, als ich Sonntag früh Euch verlassen musste.“

 

Fünf Jahre Gefangenschaft

Aus der belagerten Festung Przemysl schrieb er: „Zwanzig Tage waren wir die Verteidiger, mit Heldenmut, was von vielen mit dem Blut besiegelt wurde.“ Kremmel geriet bei der Übergabe der Festung in russische Gefangenschaft, aus der er 1915 an seine Frau schrieb: „Sei getrost, bald komme ich nach Hause.“ Er irrte – daraus wurden mehr als fünf Jahre Gefangenschaft in verschiedenen Lagern Russlands.

 

Die russischen Kinder

Im Sommer 1918 hatten tausende Eltern aus Petersburg (Petrograd) ihre Kinder – ca. 6.000 – gemeinsam mit ihren Lehrern in die Gegend südöstlich des Urals geschickt. Dies geschah vor allem wegen der herrschenden Lebensmittelknappheit. Was ein dreimonatiger Aufenthalt werden sollte, entwickelte sich wegen des russischen Bürgerkrieges zwischen den „Rotgardisten“ und „Weißgardisten“ zu einer schier endlosen Odyssee. Viele Kinder schafften die Heimreise, doch rund 800 von ihnen gelangten immer weiter nach Sibirien, bis sie schließlich in Wladiwostok „strandeten“. Dort nahm sich das Amerikanische Rote Kreuz (ARC) der Kinder an. Unter der Initiative des amerikanischen Journalisten Riley A. Allen wurde die Rückkehr der Kinder zu ihren Familien beschlossen.

 

Die Heimfahrt

Im Juli 1920 war es soweit: Für 5.000 Dollar pro Tag wurde durch Allen und das ARC ein japanisches Frachtschiff, die „Yomei Maru“, gechartert. Nach einigen Adaptierungsarbeiten legte das Schiff im Juli 1920 in Wladiwostok ab und es begann eine 20.000 Meilen lange Seereise. Mit an Bord waren 428 Buben und 352 Mädchen,  sowie eine größere Anzahl von russischen Lehrern und amerikanischen Schwestern und Ärzten. Über die Rettung der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 4 und 20 Jahren wurde in den amerikanischen Medien ausgiebig berichtet.

Dass jedoch auch 85 österreichisch-ungarische Kriegsgefangene – darunter als einziger Vorarlberger Eduard Kremmel aus Lustenau – die Möglichkeit einer Heimfahrt –erhalten hatten, wurde meist verschwiegen.

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„Noch ein Meer und dann haben wir die Erde umsegelt.“

Eduard Kremmel, 1920

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Nach einem kurzen Stopp in Muroran (Japan) nahm die „Yomei Maru“ Kurs auf San Francisco. Nach der Passage durch den Panama-Kanal steuerte die „Yomei Maru“ auf New York zu, wo den jungen Passagieren des ARC ein herzlicher Empfang bereitet wurde, während den Kriegsgefangenen jeglicher Kontakt zur amerikanischen Bevölkerung untersagt war. Dennoch kam es – wenn auch durch einen Zaun getrennt – zu Gesprächen mit mehreren ehemaligen Lustenauer Auswanderern. Über die Ankunft in New York schrieb Kremmel: „Uns bemächtigte eine feierliche Stimmung, noch ein Meer, dann haben wir die Erde umsegelt.“

 

Nach der Atlantiküberquerung legte die „Yomei Maru“ in Brest (Frankreich) an, durch den Nord-Ostsee-Kanal ging die Fahrt über weiter nach Helsingforts (Helsinki), wo sie am 6.10.1920 anlegte. Die Geschehnisse um diesen „Kindertransport“ wurden unter anderem auch in zwei Büchern publiziert. Eduard Kremmel kehrte im Oktober 1920 zu seiner Familie in Lustenau zurück. Drei der sieben Söhne von Eduard und Paulina Kremmel – Johann, Wilhelm und Gebhard – starben im Zweiten Weltkrieg. (wru)

 

Von Eduard Kremmel und anderen Lustenauern bzw. Vorarlbergern lesen sie im Buch „Späte Heimkehr aus Sibirien“ (Erschienen Dezember 2014; 357 Seiten; 131 Abbildungen). Ein Beitrag zur Geschichte der Vorarlberger Kriegsgefangenen und Heimkehrer des Ersten Weltkriegs. Erhältlich im Vorarlberger Buchhandel.

 

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