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Missbrauchsopfer klagt Mehrerau

Die Missbrauchsfälle im Internat des Privatgymnasiums Mehrerau erschütterten ganz Österreich.
Die Missbrauchsfälle im Internat des Privatgymnasiums Mehrerau erschütterten ganz Österreich. ©VOL.at
Bregenz - Ehemaliger Internats­schüler zieht vors Zivilgericht und fordert 200.000 Euro.
Auszug aus der Klage und einem Brief von Abt Anselm

Mehr als 40 Jahre ist es her, als Christian C.* im Internat des Zisterzienserklosters Mehrer­au von einem Pater sexuell missbraucht wurde. Jetzt will er das Kloster zur Verantwortung ziehen und fordert 150.000 Euro Schmerzengeld sowie 50.000 Euro wegen Verdienstentgangs. Vergangene Woche brachte er seine Klage beim Landesgericht Feldkirch ein. Es ist die erste und bislang einzige Klage im Zusammenhang mit den 2010 publik gewordenen Missbrauchsfällen an der Bregenzer Klosterschule. Christian C.s Martyrium beginnt im Jahr 1968, er ist damals 14 Jahre alt. Es ist die Zeit, von der er heute sagt, sie habe seine Seele kaputt gemacht. „Der Pater ging mit unermesslich hoher pädokrimineller Energie vor. Unzählige Male hat er mich in seinem Zimmer vergewaltigt, drei Jahre lang“, schildert C. im Gespräch mit den VN.

Sadistisch und pädophil

Der gebürtige Bregenzer, heute 57 Jahre alt, ist einer von mehreren ehemaligen Klosterschülern, die der damalige Biologielehrer und Jugendbetreuer in seiner Zeit an der Mehrerau missbraucht haben soll. Wie berichtet, wurde der Geistliche 1982 nach Tirol versetzt – nach einem Missbrauchsfall, der „intern“ gelöst wurde. 2004 erstattete schließlich eines seiner Opfer Anzeige. Der Pater wurde von der Kripo verhört. Er legte ein umfassendes Geständnis ab, erzählte von seinen pädophilen und sadistischen Neigungen. Und von der Therapie, die ihm angeblich geholfen hat. Bis 2010 war er als Priester im Verband des Klosters Stams tätig, dann wurde er suspendiert. Laut Staatsanwaltschaft wurden sämtliche Verfahren gegen den Pater wegen Verjährung eingestellt. Wo sich der 75-Jährige heute befindet, ist nicht bekannt.

Erst Anfang 2010, als nach den Skandalen in deutschen katholischen Einrichtungen die ersten Missbrauchsopfer in Vorarlberg an die Öffentlichkeit gehen, wird Christian C. bewusst, dass auch ihm Schlimmes widerfahren ist. „Ich habe das all die Jahre verdrängt. Als ich die ersten Berichte über die Mehrerau las, ging ein richtiger Ruck durch mich hindurch“, erinnert sich C.. Wenig später vertraut er sich dem früheren Abt Kassian Lauterer an, durchbricht die „Mauer des Schweigens“, erzählt zum ersten Mal von den sexuellen Übergriffen, durch die sein ganzes Leben aus den Fugen geraten ist. Lauterer, so C., habe daraufhin zugesichert, dass sich Abt Anselm van der Linde mit ihm in Verbindung setzen werde. Ein Gespräch mit dem Prior sei dann aber erst ein Jahr später zustande gekommen. Schließlich erhielt C. einen Brief (siehe Faksimile), in dem der Abt C. dringend ersuchte, „seine Forderung an die unabhängige Opferschutzanwaltschaft heranzutragen“. Von der Klasnic-Kommission will der gepeinigte Ex-Klosterschüler allerdings nichts wissen. „Wer eine Scheibe einschlägt, hat dafür zu sorgen, dass der Schaden wieder gutgemacht wird. Man kann die Verantwortung nicht einfach abschieben“, so der 57-Jährige, der nun gegen das Kloster vor Gericht zieht.

Frage der Verjährung

Die große Frage ist nun, ob sich das Kloster allenfalls auf Verjährung berufen wird. Mehrerau-Pressesprecher Harald Schiffl wollte dazu naturgemäß noch keine Angaben machen. „Wir haben die Klage erst erhalten. Sie wird nun fristgerecht beantwortet. Mehr kann ich im Moment nicht sagen“, so Schiffl auf VN-Anfrage.

Nach Meinung des Feldkircher Rechtsanwalts Sanjay Doshi, er ist C.s Verfahrenshelfer, steht das Kloster moralisch in der Pflicht, den Verjährungseinwand nicht zu erheben. Kommt der Einwand doch, muss der Kläger beweisen, dass es ihm nicht zumutbar war, seine Ansprüche eher geltend zu machen.

Schmerzengeld: Die Rekordsummen

150.000 Euro Schmerzengeld verlangt Christian C. vom Kloster Mehrerau. Gemessen an der österreichischen Rechtspraxis ist die Summe sehr hoch. Die Chancen, dass der Kläger mit dieser Summe Erfolg hat, werden von Juristen als äußerst gering eingeschätzt. Bisklang sind 65.000 Euro das meiste, was an Schmerzengeld in Österreich wegen sexuellen Missbrauchs zugesprochen wurde. Der Fall datiert aus dem Jahr 2003. Das Opfer war in den 70er-Jahren als Kind wiederholt von einem Familienmitglied missbraucht worden. Dabei kam es zu keinen körperlichen, aber zu massiven psychischen Verletzungen. Im Fall Jaqueline wurden vor sieben Jahren zwar 125.000 Euro zugesprochen, doch das Mädchen war zusätzlich gefoltert worden. Die Klasnic-Kommission hat übrigens seit ihrem Start im März 2011 Entschädigungszahlungen in Höhe von 6,4 Millionen Euro zuerkannt. Das sind durchschnittlich 14.000 Euro pro Opfer. Der höchste Schmerzengeldbetrag überhaupt – 218.000 Euro – wurde 2002 einem 21-jährigen Mann zugesprochen, der bei einem Geisterfahrerunfall schwer verletzt worden war. Der Mann ist gelähmt und muss bis zu seinem Lebensende künstlich beatmet werden.

* Name von der Redaktion geändert

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