Brennende Häuser, geplünderte Geschäfte: Die US-Kleinstadt Ferguson ist erneut von schweren Unruhen erschüttert worden. Auslöser ist die Entscheidung einer Geschworenenjury, wonach keine Anklage gegen den weißen Polizisten erhoben wird, der im August einen unbewaffneten schwarzen Teenager erschossen hatte. Nach Verkündung des Beschlusses schlug die Wut nicht nur in Ferguson, sondern auch in anderen Landesteilen in Gewalt um. US-Präsident Barack Obama verteidigte das Urteil und rief zur Besonnenheit auf.
Polizist erschießt unbewaffneten Teenager
Der Polizist Darren Wilson hatte den 18-jährigen Michael Brown am 9. August nach einer Auseinandersetzung erschossen. Der Tod des Jugendlichen hatte in der 20 000-Einwohner-Stadt schwere Krawalle ausgelöst. Drei Monate prüfte eine Grand Jury (Geschworenenjury), ob der Polizist angeklagt wird. Am Montag verkündete Staatsanwalt Robert McCulloch die Entscheidung: Danach sieht die Jury keine hinreichenden Beweise für eine Straftat.
“Es ist keine Frage, dass Darren Wilson den Tod von Michael Brown verursacht hat, indem er ihn erschoss”, sagte McCulloch. “Aber die Pflicht der Grand Jury ist, die Fakten von Erfundenem zu trennen. Es existiert kein hinreichender Verdacht für irgendwelche Anklagepunkte.”
Nach Darstellung des Staatsanwaltes hatte der Polizist den 18-Jährigen damals gebeten, nicht mitten auf der Straße zu gehen. Darauf sei der an das Fenster des Polizeiwagens getreten und habe hineingegriffen. In dem Auto seien zwei Schüsse gefallen, Brown habe sich am Daumen verletzt. Als er sich wieder von dem Wagen entfernt habe, sei Wilson ihm hinterher gelaufen. Es gebe Beweise, dass der Teenager sich umgedreht habe und mindestens zweimal auf Wilson zugekommen sei.
Zehn Schüsse auf 18-Jährigen abgefeuert
Der Polizist feuerte daraufhin zehn Schüsse ab. Viele Zeugen hatten ursprünglich berichtet, dass Brown wehrlos gewesen sei, seine Hände gehoben habe, der Polizist ihm in den Rücken geschossen habe. Doch viele dieser Aussagen seien falsch gewesen, betonte der Staatsanwalt. Brown habe keine Schussverletzungen im Rücken gehabt.
Die Familie des Jugendlichen reagierte betroffen. “Wir sind zutiefst enttäuscht, dass sich der Killer unseres Kindes nicht den Konsequenzen seiner Taten stellen wird”, ließen seine Eltern über ihren Anwalt mitteilen.
Obama verteidigt Urteil
US-Präsident Obama wandte sich umgehend an die Öffentlichkeit, um das Urteil zu verteidigen. “Wir sind eine Nation, die auf dem Rechtsstaatsprinzip gründet”, sagte er in Washington. “Wir müssen diese Entscheidung akzeptieren.” Die Situation sei aber auch exemplarisch für gesellschaftliche Herausforderungen in den USA. Es bestehe immer noch tiefes Misstrauen zwischen farbigen Menschen und der Polizei. “Es gibt immer noch Probleme, und die schwarzen Gemeinden erfinden die nicht einfach nur.”
Friedliche Demonstrationen, schwere Krawalle
In Ferguson strömten kurz nach Verkündung der Entscheidung Tausende auf die Straße, aus zunächst friedlichen Demonstrationen entwickelten sich massive Krawalle. Proteste wurden laut NBC auch aus New York, Chicago und Washington sowie aus Oakland in Kalifornien und Philadelphia gemeldet. Die Eltern von Michael Brown riefen zur Besonnenheit auf: “Auf Gewalt mit Gewalt zu antworten, ist keine angemessene Reaktion.”
Am Dienstag herrschte in Ferguson gespannte Ruhe. “Ich will ehrlich sein, ich habe einen Abend wie diesen nicht vorausgesehen”, sagte Polizeichef Jon Belmar. Es sprach von den schwersten Ausschreitungen seit August. Seinen Angaben zufolge wurden 29 Demonstranten festgenommen.
Doch juristisches Nachspiel? Bundesbehörden ermitteln
Trotz der Entscheidung der Jury könnte der Fall für Wilson ein juristisches Nachspiel haben, denn die Bundesbehörden ermitteln weiter gegen den Beamten. Dabei geht es um die Frage, ob der Polizist aus rassistischen Motiven geschossen und damit die Bürgerrechte des Teenagers verletzt haben könnte. Auch könnte die Familie des Jugendlichen den Polizisten zivilrechtlich verklagen.
Ferguson: Mit Gewalt gegen Rassismus
In den vergangenen Jahrzehnten ist der Protest gegen die Diskriminierung schwarzer US-Bürger wiederholt in Gewalt umgeschlagen. Eine Chronologie:
LOS ANGELES, AUGUST 1965
Die Personenkontrolle von zwei jungen schwarzen Autofahrern steht am Anfang der sogenannten Watts-Unruhen, benannt nach einem Viertel der kalifornischen Metropole Los Angeles. Bei den Protesten gegen die Festnahme der zwei Männer werden zwischen dem 11. und 17. August 34 Menschen getötet und mehr als tausend verletzt. Etwa 4000 Menschen werden festgenommen. Es entsteht ein millionenschwerer Schaden, das Viertel Watts wird bis zur Unkenntlichkeit verwüstet.
NEWARK, JULI 1967
In den heißen Sommertagen entbrennt in der Stadt Newark im Bundesstaat New Jersey ein Streit zwischen zwei weißen Polizisten und einem schwarzen Taxifahrer. Bei den anschließenden Unruhen werden vom 12. bis zum 17. Juli im von Schwarzen bewohnten Armenviertel der Stadt 26 Menschen getötet und rund 1500 verletzt.
DETROIT, JULI 1967
In der Metallarbeiterstadt Detroit im Bundesstaat Michigan ziehen zwischen dem 23. und 28. Juli wütende Afroamerikaner auf die Straße. 43 Menschen werden bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen getötet und mehr als 2000 verletzt. Auch in den Bundesstaaten Illinois, North Carolina, Tennessee und Maryland kommt es zu Unruhen. Landesweit werden 1967 in 128 Städten 83 Menschen bei ähnlichen Unruhen getötet.
USA, APRIL 1968
Das Attentat auf den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King in Memphis führt zu gewalttätigen Protesten in 125 US-Städten. Mindestens 46 Menschen werden zwischen dem 4. und 11. April 1968 getötet und etwa 2600 weitere verletzt. Präsident Lyndon B. Johnson setzt die 82. Luftlandedivision – eine Eliteeinheit der Armee – ein, um die Proteste zu unterdrücken.
MIAMI, MAI 1980
Im Bundesstaat Florida werden in Tampa vier Polizisten vor Gericht freigesprochen, die beschuldigt wurden, einen schwarzen Motorradfahrer nach dem Überfahren einer roten Ampel erschlagen zu haben. Zwischen dem 17. und 20. Mai erschüttert eine Welle der Gewalt Miamis Stadtteil Liberty City. 18 Menschen werden getötet und mehr als 400 verletzt.
LOS ANGELES, FRÜHJAHR 1992
Vier weiße Polizisten werden in Los Angeles freigesprochen, obwohl ein Video zeigte, wie sie den jungen Schwarzen Rodney King wegen zu schnellen Fahrens anhielten und brutal zusammenschlugen. Vom 30. April bis zum ersten Mai brechen schwere Unruhen aus, die Gewalt erfasst auch die Städte Atlanta, Las Vegas, New York, San Francisco und San José. 59 Menschen werden getötet und mehr als 2300 verletzt.
CINCINNATI, APRIL 2001
Ein weißer Polizist erschießt in Cincinnati im Bundesstaat Ohio den unbewaffneten Timothy Thomas. Der 19-Jährige ist der 15. Schwarze in der Stadt, der seit 1995 von der Polizei getötet wurde. Zwischen dem 9. und 30. April erlebt die Stadt die heftigsten Unruhen seit mehr als 30 Jahren. Rund 70 Menschen werden verletzt, mehr als 800 werden festgenommen.
FERGUSON, 2014
In Ferguson, einer Vorstadt von St. Louis im Bundesstaat Missouri, wird der unbewaffnete Jugendliche Michael Brown am 9. August von einem weißen Polizisten erschossen. Dieser beruft sich auf Notwehr. Zehn Tage lang gibt es bei Protesten gegen Diskriminierung und Polizeigewalt immer wieder Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Als am 24. November eine Grand Jury keine ausreichenden Beweise für eine Anklage gegen den beschuldigten Polizisten Darren Wilson sieht, kommt es am Abend erneut zu schweren Unruhen.
(dpa/APA/red)
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