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"Gar nichts hab ich ihm getan"

Bregenz - Am Freitag muss das Geschworenengericht darüber entscheiden, welche Schuld die drei Tatverdächtigen im Avanti-Fall auf sich geladen haben. Das Opfer Ismail Kaya am Tag vor dem Prozess im VN-Exklusivinterview.
Avanti-Überfall am Freitag vor Gericht

Nach einer Stunde bricht es aus dem armen Kerl heraus. Ismail schießen Tränen in die Augen, aufmerksam reicht ihm seine Anwältin Anita Einsle ein Papiertaschentuch. Ismail Kaya, 31 Jahre alt. Jener Mann, der in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli des Vorjahres als Zufallsopfer völlig unschuldig in der Avanti-Tankstelle in Lustenau niedergeschossen wurde und seitdem im Rollstuhl sitzt. Erstmals spricht der zweifache Familienvater öffentlich über sein Schicksal.

Zwei Monate ohne Stimme

“Ich kämpfe, ich gebe nicht auf. Ich will raus aus diesem Rollstuhl”, sagt Ismail, während ihn seine hübsche Gattin Suna bewundernd ansieht. Heute wird Ismail beim Prozess in Feldkirch jenem Verbrecher in die Augen blicken, der ihn – vorübergehend – zum Krüppel machte. “Nichts habe ich ihm getan. Gar nichts. Er ist gesund, ich sitze im Rollstuhl.” Verbitterung kriecht in Ismail hoch. Und Erinnerungen an die härtesten Monate seines Lebens. “Ich hab das alles mitbekommen, ehe ich ins Koma fiel. Zwei Monate hatte ich ein offenes Loch im Hals, konnte nicht sprechen.” Auch seelisch ging der 30-Jährige durch die Hölle. Immer wieder kamen in den ersten Wochen nach der Tat die schrecklichen Bilder hoch. “Einmal träumte ich, dass der Täter zurückkommt, um mich mit einem Kissen im Bett zu ersticken.” Zu Hause in seiner Wohnung wurde Ismail ein seltener Gast. Nur an Wochenenden darf er gelegentlich heim. “Mein Sohn hat sich von mir etwas entfremdet. Einfach weil ich ihn nie sehe.” Seine Tochter war erst vier Monate, als das Schreckliche passierte. “Aber meine Kinder und meine Frau geben mir die Kraft, das alles durchzustehen. Ich weiß, warum ich wieder auf die Beine kommen möchte.”

Auftritt im Prozess

Eine unbestimmte Zeit wird das noch in Anspruch nehmen. Knapp 20 Tabletten muss das Gewaltopfer täglich schlucken, es schmerzen ihn die Schulter und andere Körperteile, die Therapie nimmt den Familienvater gehörig her. Trotzdem ist er mit der Behandlung im Reha-Zentrum Bad Häring zufrieden. “Ärzte, Schwestern, das ganze Personal – sie alle bemühen sich und geben ihr Bestes für mich.” Auch die meisten seiner Freunde und Bekannten haben Ismail nicht vergessen. “Sie erkundigen sich nach meinem Befinden, sie sind für mich da. Das gibt Mut.” Aussehen tut Ismail gut. Mit kräftiger Stimme beantwortet er die Fragen, sieht dem heutigen Prozess mit großer Spannung entgegen. Freilich kann er noch nicht voraussagen, wie es ihm heute gehen wird, wenn er seinen Peiniger sieht. “Er lässt es noch offen, ob er bis zum Prozessende in Feldkirch bleibt oder doch gleich nach seiner Zeugenaussage wieder nach Hause fährt”, sagt Ismails Anwältin Anita Einsle. Erst gegen halb elf Uhr ist sein Zeugenauftritt angesetzt. Der Prozess beginnt bereits um 8. 30 Uhr. Die Anwältin hofft auf harte Strafen für die Räuber und Gewalttäter, weiß aber auch, dass es von ihnen höchstwahrscheinlich nichts für Ismail zu holen gibt. Ismail Kaya selbst scheint dies derzeit noch nicht wirklich zu beschäftigen. Er denkt an seine Zukunft, will irgendwann wieder arbeiten. Er ballt die Faust, starrt kurz ins Leere. Es ist der Zeitpunkt, an dem Ismail die Tränen kommen. Sie tun ihm gut. (VN/ Klaus Hämmerle)

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