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"Enteignung": Finanzbranche wettert gegen mögliche EZB-Zinssenkung

Zinssenkung auf historisches Niveau, Strafzinsen: EZB erntet mit heikler Mission vorab Kritik.
Zinssenkung auf historisches Niveau, Strafzinsen: EZB erntet mit heikler Mission vorab Kritik. ©dpa (Themenbild)
Die EZB steht vor einem historischen Schritt: An diesem Donnerstag könnte sie die extrem tiefen Zinsen weiter senken und zudem eine Art Strafgebühr für Geschäftsbanken festlegen. Die deutsche Finanzbranche warnt vor einer Enteignung der Sparer und vor einer "Medizin ohne Wirkung".

Vor der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) an diesem Donnerstag hat die deutsche Finanzbranche vor den möglichen Folgen einer weiteren Leitzinssenkung gewarnt.

Gemeinsamer Appell: “Niedrigzinsen enteignen Sparer”

In einem in der “Bild”-Zeitung veröffentlichten gemeinsamen Appell betonen die Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) und des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV): “Niedrigzinsen enteignen Sparer.”

Auch IW warnt EZB vor weiterer Zinssenkung

Dem Appell schloss sich das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) an. Die Zinssenkung erschwere der Europäischen Zentralbank die Rückkehr zu einer “neutralen Politik, zu der ein Zins von eher drei Prozent als von null passt”, so IW-Direktor Michael Hüther. “Sie plündert die Ersparnisse aus, sie bedroht die Lebensversicherung”, fügte er in seinem Gastbeitrag für die “Bild”-Zeitung (Dienstagsausgabe) hinzu.

Hüther warnte zugleich vor einer neuen Blase an den Finanzmärkten. “Die Hoffnung der Börsianer, eine Zinssenkung könnte den DAX über die Hürde von 10.000 Punkten hieven, steht deshalb auf dünnem Eis. Nichts wäre gewonnen, wenn ein baldiger Kursrutsch dafür den Boden entzieht.”

Patient Europa

Zusätzliche geldpolitische Lockerungen seien daher gefährlich für die Spar- und Stabilitätskultur in Deutschland. Zumal die Verbandspräsidenten den “Patient Europa” inzwischen “auf einem langsamen, aber fortschreitenden Kurs der Besserung” sehen. Die von vielen Ökonomen für dieses und nächstes Jahr erwartete wirtschaftliche Erholung im Euroraum spreche klar gegen weitere geldpolitische Maßnahmen. Auch Deflationsgefahren seien nicht erkennbar, betonten die Verbandschefs.

Historisch niedriger Leitzins

Ungewohnt deutlich deuten führende Notenbanker seit Wochen an, dass die EZB den bereits historisch niedrigen Leitzins im Kampf gegen die zu niedrige Inflation am Donnerstag unter die Marke von 0,25 Prozent senken könnte. In der Diskussion sind außerdem Strafzinsen für Geschäftsbanken, die größere Geldbestände bei der EZB horten.

Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, warnte in der “Wirtschaftswoche” ebenfalls vor möglichen Folgen für die Sparer durch den sogenannten negativen Einlagezins.

Sparer zahlen die Zeche

Leidtragende der Politik der niedrigen Zinsen sind nach Auffassung der Verbandspräsidenten vor allem die Sparer. “Die anhaltende Niedrigzinspolitik beschädigt die dringend notwendige Altersvorsorge”, sagte DSGV-Präsident Georg Fahrenschon. Gerade die Menschen in Deutschland legten ihr Geld traditionell sicher an und litten daher besonders unter den Niedrigzinsen.

Heikle EZB-Mission: Ob Strafzinsen zu mehr Kredit führen

Mit Strafzinsen für Banken will die Europäische Zentralbank (EZB) die Kreditvergabe ankurbeln. Zwar bekommen die Institute schon länger keine Zinsen mehr für das überschüssige Geld, das sie bei der Notenbank parken. Denn der sogenannte Einlagesatz, den die Banken von der EZB gutgeschrieben bekommen, liegt seit November bei null Prozent. Allerdings ist das Geld bei der Zentralbank sicher wie nirgends – in Krisenzeiten ein gewichtiges Argument. Daher bunkern die Institute dort Milliarden. Ob sich dies nach Einführung von Strafzinsen ändern wird, ist völlig offen. Banken drohen bereits mit Preiserhöhungen für die Kunden.

Kalkül

Sollte die EZB am Donnerstag den Einlagezins als erste große Notenbank überhaupt unter null senken, fänden sich die Geldhäuser in einer neuen Welt wieder. Statt Zinsen zu kassieren, müssten sie bei der EZB Strafe zahlen für jeden überschüssigen Euro, den sie dort bunkern. Das Kalkül: Die Banken werden das Geld dann lieber weiterverleihen an Unternehmen und Haushalte und die Konjunktur insbesondere in den Euro-Krisenländern ankurbeln. EZB-Vizepräsident Vitor Constancio sagt: “Wenn die Banken ihre liquiden Mittel nicht bei uns abladen, sondern für andere Dinge nutzen, dann wäre das gut für die Wirtschaft. Genau das wollen wir erreichen.”

Mindestreserve

Doch so einfach ist die Rechnung nicht – zumindest wenn man diese Maßnahme für sich alleine nimmt und es in dieser Woche keine weiteren Lockerungen der EZB-Geldpolitik geben sollte. Denn Fachleute halten es für möglich, dass die Banken wegen der Strafe ihre Konten bei der EZB bis auf das absolute Minimum abräumen. Dieses Minimum ist die sogenannte Mindestreserve, die alle Geldhäuser in der Währungsunion bei der EZB halten müssen. Sie beträgt im Moment 0,5 Prozent der Summe aller Spareinlagen bei einer Bank. Auf alle 6.000 Banken in den 18 Euro-Ländern hochgerechnet sind das etwas mehr als 100 Mrd. Euro. Auf all ihren Konten bei der EZB haben die Banken zusammen gut 200 Mrd. Euro liegen, knapp 40 Mrd. Euro davon auf dem Einlagekonto, auf dem sie in normalen Zeiten Zinsen bekommen.

Vom Einlagekonto aufs Girokonto

Die Banken könnten als Reaktion auf Strafzinsen ihr Geld vom Einlagekonto auf ihr Girokonto verschieben, das sie alle bei der EZB haben. Um das zu verhindern, müssten die Währungshüter eine Maximalhöhe für das Girokonto beschließen. Wahrscheinlich wäre zudem, dass Einlagen bis zur Höhe der Mindestreserve frei sind und der Strafzins erst auf den ersten Euro über dieser Summe zu zahlen wäre. Allerdings drohen durch diese Maßnahmen womöglich steigende Risiken für die Stabilität des Bankensektors.

Gefahr: Fehlende Überschussliquidität

“Die Gefahr besteht darin, dass es nicht mehr genügend Überschussliquidität gibt und das System verletzlicher wird”, warnt Christian Schulz, Ökonom und Geldpolitik-Experte der Berenberg Bank. Ein gewisses Maß an überschüssigem Geld ist für die Banken unabdingbar. Wenn es nicht akut gebraucht wird, etwa für Kredite oder Abhebungen der Kunden, steht es Banken zur Überbrückung kurzfristiger Engpässe zur Verfügung. Fehlt Überschussliquidität, steigt der Zins am Geldmarkt, auf dem sich Banken untereinander Geld leihen.

Zusatzkosten: Von der Bank zum Kunden

Auch die Bankkunden könnten den Strafzins der EZB zu spüren bekommen, wenn die Institute die Zusatzkosten weiterreichen. Für die Commerzbank ist es einem Sprecher zufolge durchaus vorstellbar, dass Geldhäuser weniger Zinsen auf Guthaben zahlen, Kreditzinsen anheben und an anderen Stellschrauben drehen, wie der Kontoführungsgebühr. Dies hat zum Beispiel das größte dänische Institut getan, die Danske Bank, als die dortige Zentralbank von Juli 2012 bis April dieses Jahres Strafzinsen verlangte.

“Medizin ohne Wirkung”

Die deutsche Kreditwirtschaft glaubt daher nicht daran, dass wegen des Strafzinses Kredite sprudeln: Nach Ansicht von Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, mangelt es nicht an Liquidität zur Kreditvergabe. “Es sind eher überschuldete Unternehmen und hohe Kreditrisiken, die in den Peripherieländern eine Ausweitung der Kreditvergabe verhindern.” Kemmer hält es deshalb für möglich, dass Banken “lieber Verluste durch den negativen Einlagenzins in Kauf nehmen als zu hohe Risiken an anderer Stelle einzugehen.” Auch die Volks- und Raiffeisenbanken winken ab: “Die Medizin würde keine Wirkung zeigen”, sagt Verbandschef Uwe Fröhlich. “Die Risiken und Nebenwirkungen wären dagegen umso größer.”

Deflation: Schreckgespenst oder reale Gefahr?

Wegen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der EU-Staatsschuldenkrise haben die Zentralbanken in den vergangenen Jahren weltweit gigantische Geldmengen in das Finanzsystem gepumpt, die Leitzinsen gesenkt sowie unter anderem massiv Staatsanleihen aufgekauft. Zusammen sollten diese Maßnahmen das Finanzsystem stabilisieren und die kriselnden Wirtschaft stützen.

In Europa hält sich die Inflationsrate aber trotz dieser Zuflüsse seit Monaten auf einem sehr niedrigen Niveau von zuletzt gerade einmal 0,7 Prozent. Das schürt die Angst vor einer sogenannten Deflation, die die wirtschaftliche Lage vor allem in Krisenländern drastisch verschlimmern könnte. In einer Deflation verfallen unter anderem die Preise für Waren und Dienstleistungen, die Nachfrage, die Firmengewinne sowie die Löhne. Das kann zu einer sich immer weiter verstärkenden wirtschaftlichen Abwärtsspirale führen.

(dpa/APA/red)

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