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"Aus 1000 Lügen wird doch keine Wahrheit"

Koblach – Am 20. Juni fliegt er wieder nach Brasilien. In wenigen Wochen hat Bischof Erwin Kräutler in 20 Pfarrgemeinden Hunderte Jugendliche gefirmt. Wo er sich die Erkältung zuzog, weiß er nicht. Ist auch egal.
Umstrittenes Kraftwerk

Er erholt sich „dazwischen“. Handbemalte Karten, die Spendengeld bargen, muss er noch beantworten. Die abgenutzte Tastatur seines Laptops verrät, wie oft „Dom Erwin“ in die Tasten haut. Den Kontakt mit Jugendlichen schätzt er. „Die sind viel besser als ihr Ruf. Die wissen, dass ich mich für die Menschen einsetze.“ Immer wieder fällt das Wort „Belo Monte“.

So heißt das gigantomanische Kraftwerks­projekt, das Brasilien am Rio Xingu in Szene setzt. Der 1620 m lange und 93 m hohe Staudamm, gegen den sich Kräutler zur Wehr setzt. Dieses „Monument des Wahnsinns“, gegen dessen Verwirklichung Kräutler 600.000 Unterschriften übergab. Antwort hat er nie erhalten.

Gespräche beendet

Das Kraftwerksprojekt wird 33 Milliarden Dollar kosten, rechnete Kräutler im Oktober 2009 dem damaligen Präsidenten Lula da Silva vor. Die Turbinen aber werden aufgrund von Wassermangel monatelang stillstehen. Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff hat den streitbaren Missionsbischof vom Rio Xingu gar nicht erst empfangen. Den Termin mit dem Minister ihres Generalsekretariats im Frühjahr 2011 hat Kräutler storniert. „Es war ja sinnlos.“

Die Regierung in Brasilia hatte schon klargemacht, dass sie Belo Monte umsetzen würde. Koste es, was es wolle. Auch Österreicher profitieren davon. Die steirische Andritz AG liefert Generatoren. Der Anlagenbauer Voith baut Turbinen und Transformatoren für 443 Millionen Euro. Zuletzt haben sich Industrielle die Einmischung des Bischofs verbeten. „Sonst kommen wir zu einer Diktatur der lautstärksten Minderheit“, mokierte sich Andritz-Chef Wolfgang Leitner. „Ich kenn den gar nicht“, entgegnet Kräutler und bekräftigt, dass er Arbeitsplätze nicht gering schätze.

„Aber im Endeffekt dreht sich doch alles nur ums Geld.“ Ihm geht es um die Menschen am Xingu. Um die 105.000 Einwohner seiner Bischofsstadt Altamira, um die 40.000 Menschen, die man umsiedeln will, um die anderen, die am Rande eines fauligen Sees werden leben müssen. Wie lange werden sie stillhalten? Kräutler schüttelt den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Aber seit die Umweltbehörde dem Kraftwerk grünes Licht gab, weil alle Auflagen erfüllt seien, wird Kräutler nicht müde, die Regierung der Lüge zu bezichtigen.

„Und wenn sie’s wieder und wieder betonen, auch aus1000Lügen wird doch keine Wahrheit.“ Man habe die Indios über den Tisch gezogen. Wenn die ersten Bagger auffahren, wird Kräutler mit den Leuten draußen stehen. Ob alle friedlich bleiben, wagt er nicht vorher zu sagen. Dabei könnte er längst kürzertreten. Fast alle, die mit ihm Anfang der 1980er- Jahre zu Bischöfen geweiht wurden, sind heute in Rente.

Am 12. Juli 2014 wird Kräutler 75 Jahre alt. Dann wird er Papst Benedikt XVI. um seine Pensionierung bitten. So will es das Kirchenrecht. Im Sommer 2014 aber wird Altamira eine riesige Baustelle sein. Kann der Lotse da von Bord? Da stiehlt sich ein listiges Lächeln in sein Gesicht. „Meine Diözese ist die größte Brasiliens.“ Kräutler rechnet fest damit, dass sie nach seiner Amtszeit dreigeteilt wird. Dann wird Rom drei Bischöfe brauchen. Bis die gefunden sind, bleibt Kräutler im Amt. Und vatikanische Mühlen mahlen langsam. In diesem Fall käme ihm das sehr gelegen.

Offener Brief: Bischof Kräutlers offener Brief über die „große Lüge“ rund um Belo Monte.

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