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37 m Haus

So schmal das Haus auch sein mag, man fühlt sich im Inneren an keiner Stelle eingeengt.
So schmal das Haus auch sein mag, man fühlt sich im Inneren an keiner Stelle eingeengt. ©Petra Rainer
Hohenems. Das wahrscheinlich längste Einfamilienhaus der Welt befindet sich in Hohenems. 37 Meter lang und fünf Meter breit, hebt sich das schlichte, gradlinige Gebäude von der umgebenden Bebauung ab. Auf einem „schwierigen“ Grundstück errichtet, zeigt das spannende und mutige Wohnhaus, wie Nachverdichtung funktioniert.
Haus 37 m in Hohenems

Das lange, nur zwölf Meter breite Grundstück galt eigentlich als nicht bebaubar. Der Hauptgrund, dennoch genau an dieser Stelle bauen zu wollen, war der Anschluss an die Großfamilie: In direkter Nachbarschaft leben sowohl die Eltern der Bauherrin, als auch ihr Bruder mit Familie. Die sehr bewusste Entscheidung für das Zusammenleben erklärt der Bauherr folgendermaßen: „Ich bin selbst in einem Dreigenerationenhaus aufgewachsen und habe das als Kind geliebt. Da ist immer etwas los. Das ‚Programm‘ entsteht aus dem Alltag und wird nicht von den Eltern organisiert.“ Die Familie kontaktierte den befreundeten Architekten Juri Troy und stellte sich der Aufgabe, das „schwierige“ Grundstück zu bebauen. „Als wir das Grundstück zum ersten Mal gemeinsam besichtigten, war gleich klar, dass das kein ‚normales‘ Haus werden würde“, erinnert sich der Architekt. Aus einer intensiven Beschäftigung mit dem Ort entwickelte Troy ein Konzept, das die Räume zwischen der benachbarten Bebauung als Blickachsen nutzt und Gebäude, die zu nah an das Grundstück heranrücken, möglichst ausblendet.

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Corrected by Zoli ©Büro-Schaufenster. Die beiden Schmalseiten des Gebäudes sind komplett verglast. Im Nordosten befinden sich die Büroräumlichkeiten. Foto: Petra Rainer

Entstanden ist ein langer, schmaler Baukörper, in dem die einzelnen Funktionen und Ausblicke aufgefädelt sind. Der Grundriss ist als Aneinanderreihung von Räumen mit einem begleitenden Gang konzipiert. Unkonventionell und pragmatisch zugleich. Sämtliche Fenster und Öffnungen sind genau dort positioniert, wo sie jetzt (und auch in Zukunft) am meisten Sinn machen. Lage, Größe und Format orientieren sich an der Umgebung und den besten Ausblicken in die Landschaft.

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Corrected by Zoli ©Der Besprechungsraum des Büros im Obergeschoß. Direkte Sonneneinstrahlung gibt es hier nur ganz früh am Morgen, dann wandert die Sonne weiter, was für das Arbeiten am Computerbildschirm sehr angenehm ist. Foto: Petra Rainer

Der zweigeschoßige Holzbau ist an beiden Längsfassaden mit einem anthrazitfarbenen Polyethylen-Netz verkleidet. Die dezente grafische Gestaltung stammt von der Bauherrin selbst: Schrauben, welche zur Befestigung des Netzes benötigt werden, sind so angeordnet, dass eine Meterskala entsteht – wie ein überdimensional langes Lineal. Im Vorbeigehen lassen sich so Meter und Dezimeter der außergewöhnlichen Gebäudelänge ablesen. „Dabei handelt es sich um eine sehr günstige Fassade, die mit dem Holzbau sehr gut korrespondiert – nicht nur gestalterisch, sondern auch technisch. Die Perforierung des Netzes lässt den Dampf durch, die Löcher sind allerdings so klein, dass Regen darauf abperlt“, erklärt der Architekt.

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2_2_G6B5482 ©Viele Orte im Gebäude laden zum Sitzen, Lesen und Verweilen ein. Foto: Petra Rainer

Wohnen und Arbeiten sind unter einem Dach vereint. Den Großteil des Gebäudes nimmt die großzügige Wohneinheit der Jungfamilie ein; im nördlichen Teil, Richtung Straße, ist ein Grafikbüro untergebracht. Die beiden Funktionen sind zwar eng beieinander, aber durch den zentralen schopfartigen Eingangsbereich und die darüberliegende Loggia klar voneinander getrennt. So wie für andere das Pendeln zwischen Arbeitsstelle und Zuhause wichtig ist, um Abstand von der Arbeit zu gewinnen, ist es hier das aus der Wohnungstür Hinaustreten und durch eine andere Tür in das Büro Hineingehen, das eine räumliche Distanz zwischen Arbeitswelt und Familienleben schafft. Über dem Arbeitszimmer mit kleiner Teeküche befindet sich momentan ein Besprechungsraum, der potenziell zu einem zweiten Büroraum werden kann.

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Corrected by Zoli ©Im Obergeschoß gibt es ein kleines Wohnzimmer, das als Rückzugsraum am Abend zum Lesen, Film schauen oder Musik hören genutzt wird. Über einen eingeschnittenen Dachgarten gelangt zusätzliches Tageslicht in das Wohnhaus. Foto: Petra Rainer

So schmal das Haus auch sein mag, man fühlt sich im Inneren an keiner Stelle eingeengt. Im Gegenteil: Die lichtdurchfluteten Innenräume wirken geräumig und luftig. Schiebetüren trennen die Zimmer vom Flur ab. Bei geöffneten Türen erweitern sich die flexibel nutzbaren Räume auf die Gangflächen. Durch das gesamte Gebäude zieht sich eine durchgehende Regalwand, die als Selbstbausatz geplant, von den Bauherren aus zugeschnittenen Dreischichtplatten selbst errichtet wurde. Die Struktur bedient die jeweils nahe liegenden Räume und funktioniert sowohl im Wohnbereich, in und bei den Schlafzimmern, wie auch im Büro als Stauraum für Bücher, Ordner, Kleidung oder Spielzeug. „Wir haben uns nicht ein Haus zum Herzeigen gewünscht, sondern eines zum wirklich darin Leben, in dem das Wohnen Spaß macht“, sagt Angelika Mathis. Von Anfang an galt es zudem, Kosten zu minimieren, wo es ging. So verzichtete man auf einen Keller und wählte einfache, kostengünstige Materialien für den Innenausbau. Aufgrund der geringen Spannweite braucht es im Inneren keine tragenden Wände; Massivholzdecken aus Fichtenholz überspannen die 4,20 Meter breiten Innenräume. Am Boden befindet sich ein Anhydrit-Estrich, der hineingegossen und abgeschliffen wurde. Der Sicht-Estrich bietet die Vorteile eines Hartbodens: er ist strapazierfähig, dient als Speichermasse und die Wärmeabgabe der Fußbodenheizung funktioniert schnell. Trotzdem ist er sehr günstig und wirkt außerdem sehr wohnlich, warm und samtig.

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2_4_T1A5422 ©Vor dem Dachgarten befindet sich ein Schreibtisch. Zwischen den Holzstreben kann man beim Sitzen seine Beine platzieren; oder als Kind die Füße herunterbaumeln lassen. Auch hier findet Kommunikation statt. Foto: Petra Rainer

In der Zukunft kann bei geänderten Bedürfnissen die Aufteilung und Nutzung des Gebäudes mit wenigen Eingriffen angepasst werden. Wohn- oder Bürofläche können einfach reduziert oder erweitert werden. Durch das Vorhandensein von zwei vertikalen Erschließungen können aber auch zwei getrennte Wohneinheiten entstehen.

»“Das Haus lädt zur Kommunikation ein. Man ist immer irgendwie zusammen und kann auch immer wieder auseinandergehen. Das ist ein gutes, befreiendes Gefühl.” (Bauherr)«

Daten und Fakten

Objekt: Haus 37 m, Hohenems
Eigentümer/Bauherr: Familie Mathis
Architektur: juri troy architects, Wien/Bregenz 
Statik: Kaspar Greber Holzbau, Bezau
Kunst am Bau: Angelika Mathis AM Gestalten Hohenems
Ingenieure/ Fachplaner: Energieberatung: Ingenieurbüro Otto Haag, Hörbranz; Statik Baumeister: Mader-Flatz, Bregenz; Bauleitung Baumeister: Thomas Flatschacher, Hohenems
Planung: 2/2012–3/2013
Ausführung: 5/2013–1/2014
Grundstücksgröße: 780 m² (12 m x 65 m)
Bebaute Fläche: 185 m²
Nutzfläche: 203 m² (davon 47 m² Büro)
Bauweise: Pfahlgründung mit Holzbohrpfählen, Holzriegelbau mit Zellulosedämmung; Decken: Nadelstreifholz Fichte massiv; Fassade: Polyethylengewebe schwarz-grau meliert; Gipskartonwände; Fußböden: Anhydritestrich, geschliffen; Regale: Fichte 3-S Selbstbau
Ausführung: Holzbau: Kaspar Greber, Bezau; Baumeister: Gebrüder Keckeis, Lustenau; Pilotierung: Köppel-Vogel, Lustenau; Fenster: Metzler, Hohenems; Dach: Tectum, Hohenems; Fassade: Konak-Netze, Lustenau
Energiekennwert: 35 kWh/m² im Jahr (Heizwärmebedarf)

Quelle: Leben&Wohnen – die Immobilienbeilage der “Vorarlberger Nachrichten”

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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