Bei der Präsidentenwahl am 25. Juni treten unter anderem ein Lkw-Fahrer, eine Krankenpflegerin und ein Schriftsteller an. Die größten Chancen, neues Staatsoberhaupt Islands zu werden, hat der Historiker Gudni Th. Johannesson.
Anwärter bereits fernsehbekannt
Den angesehenen Forscher kennen fast alle seiner Landsleute aus dem Fernsehen, wo er seit Jahren verlässlich die politische Lage Islands kommentiert. Seinen plötzlichen Aufstieg zum Top-Kandidaten verdankt der 47-Jährige aber vor allem den Panama Papers.
Dass der Name ihres Regierungschefs Sigmundur David Gunnlaugsson im Zusammenhang mit den Enthüllungen über Briefkastenfirmen auftauchte, brachte die Isländer im April auf die Palme. Gepaart mit seinem haarsträubenden Auftritt in einer Fernsehshow ließ das für die Inselbewohner nur einen Schluss zu: Ihr Ministerpräsident hatte Dreck am Stecken. Und das, wo sich das Vertrauen der Isländer in ihren Politikbetrieb nach der Finanzkrise 2008 gerade erst erholt hatte.
Rücktritt und neue Hoffnungen
Nachdem Zehntausende tagelang vor dem Parlament in Reykjavik protestiert und das Gebäude mit Eiern und Bananen beworfen hatten, trat Gunnlaugsson widerwillig zurück. “In diesen Tagen war ich oft im Fernsehen und anderen Medien, habe meine Sicht der Dinge geschildert”, erzählt Historiker Johannesson. “Da haben viele Leute gefühlt, dass ich der ideale Kandidat für das Präsidentenamt wäre.”
Volksnaher Kandidat
Der Kampf um den Posten hatte schon längst begonnen, aber Johannesson schoss in Umfragen direkt an die Spitze. “Plötzlich wurde er unglaublich beliebt – ein Mann, der zu wissen schien, worüber er sprach”, erklärt die Politikwissenschaftlerin Stefania Oskarsdottir von der Universität von Island. “Er hat die Aura eines ganz normalen Kerls, der den durchschnittlichen Isländer gut repräsentieren kann.”
Dass ein “ganz normaler Kerl” sie vertritt, ist den Isländern noch wichtiger geworden, seit ihr Vertrauen in die wirtschaftliche und politische Elite durch den Bankenkollaps 2008 völlig zerstört wurde. “Die Menschen müssen wieder Vertrauen in das Parlament und den politischen Prozess gewinnen”, sagt Johannesson. Im Herbst soll es vorgezogene Neuwahlen geben. Die Piratenpartei ist seit dem Aufruhr um die Panama Papers wieder stärkste Partei.
Als Präsident Druck ausüben
“Island braucht einen aktiven Präsidenten, der ein Gegengewicht zum Parlament bildet”, meint Oskarsdottir. Olafur Ragnar Grimsson war für die Inselbewohner lange so ein Präsident. Seit 1996 hat das aktuelle Staatsoberhaupt sein ursprünglich vor allem repräsentatives Amt immer wieder dafür genutzt, Druck auszuüben. Er warb für mehr Volksabstimmungen und legte sein Veto gegen Gesetzentwürfe ein. Nach der Krise hatte Grimsson seine Unterschrift unter das Abkommen zur Schuldentilgung für die heimische Pleitebank Icesave verweigert.
Sein Land braucht ihn
Für Johannesson wäre er wohl ein ernstzunehmender Gegner gewesen – wenn ihm nicht auch die Panama Papers dazwischen gekommen wären. In seiner Neujahrsrede hatte Grimsson zunächst angekündigt, nicht für eine sechste Amtszeit kandidieren zu wollen. Nach Gunnlaugssons Rücktritt entschied er sich um: Sein Land brauche ihn in diesen politisch unsicheren Zeiten. Bis herauskam, dass auch seine Familie Offshore-Konten besessen haben soll. Wenige Tage nach seinem Rücktritt vom Rücktritt trat Grimsson davon wieder zurück.
Präsidentenwahl wird von vielen vergessen
Der Historiker und Fußballfan Johannesson liegt inzwischen so weit vorn, dass Experten wie Oskarsdottir kaum noch Chancen für andere Kandidaten sehen – auch, weil sie eine geringe Wahlbeteiligung erwarten: “Viele Menschen sind auf Reisen, und die Isländer sind wegen der Fußball-EM aufgeregt, deshalb ist die Präsidentenwahl in den Köpfen der meisten Isländer praktisch schon vorbei.”
Verwandschaft in Österreich
Wenn Johannesson Präsident wird, wäre das neue Staatsoberhaupt durch den Sport auf besondere Art mit Österreich verbunden. Sein Bruder, Patrekur Johannesson, ist nämlich Trainer des österreichischen Handball-Nationalteams.
(APA/dpa)
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