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Zeitgenössische Themen gewinnen in Cannes

Der Jubel in Cannes und in ganz Frankreich war groß: Endlich, 21 Jahre nach der letzten Goldenen Palme für Maurice Pialat, blieb der Hauptpreis des Filmfestivals wieder im Gastgeberland.

Mit ihrer Entscheidung für den Film “Entre les murs” von Laurent Cantet bestätigte die Jury unter dem Vorsitz des amerikanischen Kinorebellen Sean Penn ihre Ansage vom Beginn der 61. Festspiele. Politisches Bewusstsein erwartete Penn von den 22 Filmemachern im Wettbewerb. Er wolle ein Kino sehen, das sich “den Problemen der Zeit widmet und die Wirklichkeit abbildet”.

Im Zentrum des dokumentarisch wirkenden Siegerfilms – der erst am letzten Tag des Wettbewerbs in Cannes gezeigt wurde – steht ein junger Lehrer. Er unterrichtet in einem eher schlechten Bezirk von Paris. Die meisten seiner Schüler stammen aus Einwandererfamilien, ihre Leistungen sind miserabel, die Arbeitsmoral ebenso. “Entre les murs” (Zwischen den Mauern”) verfolgt den Alltag während eines Schuljahres, wobei der Klassenlehrer immer wieder gegen aufmüpfige 14- bis 15-jährige Schüler ankämpfen muss. Während Kollegen von ihm bereits frustriert aufgeben, macht Francois unermüdlich weiter ­ auch als sich die Jugendlichen offen gegen ihn stellen. Cantet hat viele Szenen und Dialoge mit seinen Laiendarstellern geduldig in Workshops erarbeitet, seine Bilder wirken völlig authentisch.

Auch das Filmland Italien meldete sich nach vielen enttäuschenden Jahren mit neuer Stärke und politischem Biss an der französischen Riviera zurück. Das drängende und angesichts der Müllkrise in Neapel hoch aktuelle Problem des organisierten Verbrechens schildert Matteo Garrone in seinem realistischen Drama “Gomorra”. Dafür gab es den “Großen Preis” der Jury. Die lähmende Regierungszeit von Giulio Andreotti und dessen Mafia-Kontakte brachte “Il Divo” in einer krachenden und bitterbösen Satire auf den Punkt und wurde mit dem Preis der Jury belohnt.

Wim Wenders, in Cannes schon häufig mit Auszeichnungen und vor 24 Jahren für “Paris, Texas” mit der Goldenen Palme bedacht, ging leer aus. “Palermo Shooting” erntete in der offiziellen Pressevorführung unfreiwillige Lacher und stieß auf viel Unverständnis. Der Film spaltete sein Publikum. Diejenigen waren tief berührt, die sich auf die Reise eines Fotografen vom oberflächlichen Erfolgstress zu einer Begegnung mit dem Tod und zurück ins Leben einließen. Andere reagierten auf die deutliche spirituelle Botschaft des Filmemachers aus Düsseldorf mit genervter Abwehr.

Dafür sorgte der Berliner Andreas Dresen mit seiner mutigen “Wolke 9” für das deutsche Highlight in Cannes. In der Nebenreihe “Un certain regard” eroberte die sehr körperliche Liebesgeschichte zweier alter Menschen die Herzen der Zuschauer und wurde mit dem “Herzschlag”-Preis (Coup de coeur) der Jury ausgezeichnet.

“Nicht spielbar”, so lautete der Kommentar einiger Filmverleiher über einen Teil der Beiträge im Wettbewerb, die zu deprimierend sind oder so regional, dass sie vom Publikum kaum nachvollzogen werden können. “La mujer sin cabeza” (Die Frau ohne Kopf) aus Argentinien gehörte dazu, ein minimalistisch inszenierter Film der – wahrscheinlich – den Blick auf die Ignoranz und Verwöhntheit der argentinischen Oberschicht richten sollte. Oder der philippinische “Serbis” (Servis) über das Leben einer Großfamilie in einem Sexkino. Kleine Filme, die etwas über den Alltag in ihren Ländern erzählen, aber für eine lustvolle Reise viel zu spröde sind.

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