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Zahl und Geometrie

Komposition aus Kuben und immer wieder gebrochener Struktur – strenge und lockere Geometrie, lichtes und schattiges Grau in einem.
Komposition aus Kuben und immer wieder gebrochener Struktur – strenge und lockere Geometrie, lichtes und schattiges Grau in einem. ©Bruno Klomfar
Ein Gebäude, von beiden Eltern gestiftet, für drei Geschwister gebaut – Zahlenmystik? Einheit wird Polarität und in der Triade dynamische Entfaltung. Ein Schlüssel zu diesem Bau?
Bilder der Wohnanlage

An einem Moränenrücken im Rheintal, etwas aus der Ebene herausgehoben, Feldkirch und die „Drei Schwestern“ im Blick, liegt dieses Haus inmitten einer typischen Siedlung zwischen Liechtenstein, der Schweiz und Vorarlberg. Einfamilienhäuser jeder Baumode der letzten Dekaden, kleine Wohnanlagen, flache und geneigte Dächer, Reste von Ortskernen, ab und zu alte Häuser – weder Fisch noch Fleisch, wenig, woran anzuknüpfen wäre, von der Landschaft abgesehen. So zieht sich das Gebäude auf sich zurück, auf sein Volumen, auf seine Geometrie. Und je weniger bildhaft die Bezüge eines Bauwerks ausfallen, je abstrakter es auftritt, desto bedeutender werden Zahl, Maß und Proportion.

Es ist eine geometrische Komposition aus drei Körpern, die einem begegnet – differenziertes Volumen, wohlproportioniert. Auf quadratischer Grundfigur talseitig ein dreigeschoßiger Riegel. An der Ecke oben am Hang ein ebenso hoher Turm auf annähernd quadratischem Grund, gegenüber, etwas versetzt, ein geschlossener Kubus für Nebenräume. Dazwischen höhenversetzt Garten und Höfe.

Drei Materialien: Holz, Aluminium, Glas. Die hellgraue Glimmerlasur verfremdet das Holz, die neutrale Nicht-Farbe Grau dominiert. Drei Strukturen: feine, vertikale Linien der Latten, horizontale Linien der Jalousien, kräftig balkenartig die Aluminiumverkleidung. Was auf den ersten Blick rätselhaft wirkt, enthüllt sich als ein Spiel aus verkleideten Decken, Stirnwänden und Fensterpfosten. Die Tektonik gibt sich rational und doch überraschend – modular aufgebaut mit dem geschoßhohen, quadratischen Fenstern als Grundfigur. Was sich so nicht zu erkennen gibt: Auf dem Betonsockel von Keller und Tiefgarage sitzt ein reiner Holzbau, erstellt aus vorgefertigten Elementen. Lediglich die aussteifenden Treppen- und Liftkerne sind betoniert. Daran schließen Brettstapeldecken an, die auf der tragenden Außenwand aufliegen. Die gedämmte Holzriegelkonstruktion gibt lediglich theoretisch ein Raster vor, für die Fassade bestimmend sind die beplankten Tafeln – die Flächigkeit eröffnet gestalterische Freiheit.

Es ist nicht einfach ein Haus, und es ist auch nicht einfach entworfen worden. Ein kleiner Wettbewerb gab die Richtung vor: Gohm & Hiessberger konnten mit ihrer Differenzierung der Baumassen am Hang überzeugen. Die drei Wohnungen der Geschwister setzen die Akzente der Wohnanlage mit sieben weiteren Einheiten und Tiefgarage. Mal eingeschoßig, mal über zwei Geschoße gehend, sind es auf die drei Geschwister genau zugeschnittene Gebilde mit ganz individuellen Außenräumen: Garten, Hof, Loggia. „Wir sind alle experimentierfreudig, wollten Neues“, sagt der Vater, „und deshalb haben wir dann den Architekten freie Hand gelassen.“

Intensiv erörterten Architekten und Bauherrschaft die räumliche Qualität. Nun sind alle Räume mit dunkelgrauem, versiegeltem Estrich versehen, die Decken zeigen die Brettstapelkonstruktion, die Wände die Fichte-Verbundplatten der ca. 50 cm starken, hochgedämmten Fertigwände. Holz-Fenster dreifachverglast, außen Alu-verkleidet. Alle Räume sind mit Fußbodenheizung versehen, die jedoch bei kontrollierter Be- und Entlüftung kaum genutzt wird. „Ich komme vom Bauernhof her“, erzählt die Tochter, die mit ihrer Familie den Wohnturm mit teilweise überhohen Räumen bewohnt. „Das war schon eine Umstellung. Dort war’s nicht so warm und die Store waren nie unten. Mit den großen Fenstern müssen wir noch umgehen lernen.“ Doch die robuste Art tut dem Familienleben und der Nachbarschaft in der Anlage gut.

Oder in den Worten der Architekten: Eine konstruktiv- modulare Raumgestaltung, „die alle Wohnungen mit gleich hoher Qualität ausstattet und doch individuelle Räume zulässt.“ Das wurde möglich dank der intensiven Zusammenarbeit mit dem Handwerk – insbesondere dem Zimmerer, der in die Planung einbezogen wurde. So ist ein Gebäude entstanden, das es versteht, mit einer einfachen, robusten Grammatik eine lebendige Sprache zu sprechen.

Daten & Fakten

Objekt: Wohnanlage mit 10 Wohneinheiten

Bauherr: Biedermann Büchel Familienstiftung

Architektur: Gohm & Hiessberger Architekten; Projektleitung: Otto Brugger

Planung: Wettbewerb 2007, 2009–2011

Ausführung: 2011–2012

Wohnfläche: 1050 m²

Grundstücksgröße: 3113 m²

Kosten: ca. 5 Mio. Schweizer Franken

Bauweise: Keller und Kerne Stahlbeton, Erdgeschoß und Obergeschoß Holz; Brettstapeldecken; Fassade aus vorgefertigten, hochgedämmten Holzelementen; Fußböden: Estrich, grau gefärbt, geschliffen, versiegelt; Heizung mit kontrollierter Wohnraumbelüftung und Geothermie; dreifachverglaste Fenster aus Fichte, außen Alu

Besonderheiten: Passivhausstandard

Ausführung:

  • Baumeisterarbeiten: E+G Marxner, Mauren (FL);
  • Holzbau: Frommelt, Schaan (FL);
  • Zimmerei: Ing. Holzbau AG, Schaan; 
  • Fenster: Zech GmbH, Götzis

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg, Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

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