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Wo der Alpkäs die Würze herhat

Bezau - Unermüdlich heben die kleinen Gondeln der Bezauer Bergbahnen Wanderer in die Höhe. Wendelin Eberle kann sie sehen, wie sie an der Mittelstation munter den Weg zur Alpe Baumgarten unter ihre Füße nehmen. Aber weit mehr erregt das Vieh seine Aufmerksamkeit. Jetzt trottet es zur Tränke. Den Durst gestillt, stellen sich die Kühe alsdann hinters Haus und nehmen Zuflucht vor der Mittagshitze im Schatten des Sennereidachs.

Noch eine Woche bleiben sie hier am Vorsäß. „Dann ziehen wir auf die Hochalp Wildmoos.“ Die liegt auf 1600 Meter Höhe. Wendelin Eberle aber wird hinunter nach Bezau gehen, „Heu machen“. Fünf Wochen hat der Senn seinen Bergbauernbetrieb jetzt nicht mehr betreten. Es wird Zeit, zurückzukehren. So ist das jedes Jahr. So war es immer. Als seine Frau noch lebte, „eine gute Bäuerin“. Und jetzt eben mit der Tochter Marlies und deren Freund. Michael soll dann einmal die Sennerei übernehmen. Aber das sagt der Wendelin so nicht. Er will überhaupt nicht viel darüber reden. „Man soll ja nichts verschreien.“ Denn käme die Nachfolge nicht zustande, müsste die Sennerei Sonderdach schließen. Das wäre ein Jammer. Nicht nur wegen der 70 Kühe, deren Milch Wendelin und Michael zu Butter und Käse verarbeiten. Auch nicht der Weidegründe wegen, die dann brach lägen. Vier, maximal sechs Jahre dauert es, bis eine Wiese verwildert. Es blieben dann wohl auch die Touristen aus, wie sie eben wieder fast ungebührlich in die erhabene Stille der Berge juchzen. Aber wer mag schon still sein, wenn er der Kanisfluh plötzlich „in Augenhöhe“ gegenübersteht? Nein, schlösse die Sennerei, wäre das auch von persönlicher Tragik.
Wendelin Eberle hat hier als Achtjähriger seinen ersten Käs’ gemacht. Noch fehlte ihm die Kraft, den Laib allein zu heben. Ein vierjähriger „Berufskollege“ fasste tapfer mit an. „Dort drüben war das.“ Er zeigt zum Waldrand, wo früher Vaters Hütte stand, die 1956 eine Lawine ins Tal riss. Seit seinem achten Lebensjahr lebt der Siebzigjährige im Wandel der Jahreszeiten, wie sie der Städter nur mehr aus Filmen kennt. Wird unruhig Ende Mai. Nennt es „eine Katastrophe“, wenn sie wegen hartnäckigem Schnee eine Woche später hinaufziehen können. So wie vergangenes Jahr. Da gehen dann 14 Tage mit Zäune richten und anderen Arbeiten drauf. Nein, Wendelin schüttelt den Kopf. „Vier Wochen sind zu kurz. Dann fehlt dir der Kern.“
Der Kern. Haben die Menschen hier heroben den Kern nicht ohnedies? Michael, der eben den „Bruch“ abschöpft aus dem dampfenden Kessel, um daraus Butter zu machen? Oder Marlies, die täglich die Kühe melkt, den Haushalt führt, mithilft, wo Not am Mann? Haben sie nicht alle ihre Mitte gepachtet im Gegensatz zu den Tagestouristen, die heraufkommen und erst einmal im kühlen Wind verharren? Man kann ihnen dann zusehen, wie ihre Schritte allmählich länger und regelmäßig werden. Noch tragen sie Firmenbilanzen im Kopf und Beziehungskisten auf dem Buckel. Noch liegen die Gedanken bleiern unten, während der Körper längst himmelwärts strebt. Wendelins Gedanken kreisen derweil um die Bremsen, „die eine Kuh fast umbringen können“. Und um das Wasser, das knapp wird, weil sich die Gewitterwolken bislang stets woanders ausgeschüttet haben.
Seit mehr als 60 Jahren macht er Käse. Er hat auch die beiden Kupferkessel selber ausgemauert. Vor Tagen erst riefen sie ihn nach Egg auf die Alpe Vals, weil der Ofner dort gescheitert war. „Feuer muss Platz haben“, sagt Wendelin, „und der Rauch muss Schleifen ziehen.“ Also hat er die Ecken und Kanten rausgehauen, wo der Rauch sich sonst staut. „Du musst nur logisch denken . . . und schon einmal selber Käse gemacht haben.“ Langsam kehren die ersten Touristen heim. Halten noch einmal die geröteten Wangen in den Wind. Dann schweben sie zurück in ihre Welt. Wendelin aber schaut hinüber zur Künzelspitze. Dann betritt er wieder den Käsekeller und wäscht die schweren runden Käselaibe und wuchtet sie ins Regal zurück, wie das seit undenklicher Zeit halt so gemacht wird.

Quelle: Thomas Matt

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