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Wiener Tourismus-Chef beklagt "Schreckenssalami"

Wien Tourismus-Chef Norbert Kettner erwartet harte Jahre.
Wien Tourismus-Chef Norbert Kettner erwartet harte Jahre. ©APA/GEORG HOCHMUTH
Die Wiener Touristiker erwarten schlechte Jahre und kritisieren die Salamitaktik, mit der die Regierung ihnen neue Informationen nur scheibchenweise anbietet.

Die Zeit der Rekorde für Wiens Touristiker ist wegen der Coronakrise vorerst vorbei. Die Gästenächtigungen dürften heuer um mindestens 40 Prozent einbrechen, die Umsätze - im besten Fall - um 60 Prozent, schätzt Tourismusdirektor Norbert Kettner. Für den Verlauf der weiteren Saison seien nun von der Politik längerfristige Perspektiven nötig, wie er im APA-Gespräch forderte. Sonst könne der Herbst nicht geplant werden.

Im besten Fall werde heuer das Ergebnis von 2008 erreicht, rechnete er vor. Damals wurden 10 Mio. Nächtigungen erzielt, heuer waren es schon fast doppelt so viel. Im Worst-Case-Szenario fällt das Minus deutlich heftiger aus. Statt Prognosezahlen dazu zu präsentieren, verweist er auf aktuelle internationale Daten: "Hongkong hat jetzt in einem Monat ein Minus von 98 Prozent."

Wiener Hotels könnten zu bleiben

Die weiterhin geltenden Reisebeschränkungen würden dazu führen, dass viele Hotels nicht schon am ersten möglichen Tag, also am 29. Mai, wieder aufsperren, schätzt er: "Wir gehen davon aus, dass bestimmte Betriebe nicht vor September aufmachen. Wer offen hat, das werden wir tagesaktuell verfolgen."

"Wir waren der erst Dominostein, den es getroffen hat, wir werden der letzte sein, der sich wieder aufrichtet", umriss er die Situation in der Branche. Von den Nächtigungen hänge auch vieles im Handel, der Gastronomie oder der Kultur ab. Laut Kettner haben viele Beherbergungsbetriebe ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zumindest nicht gekündigt, sondern in Kurzarbeit geschickt. Jedoch: "Dass wir mit der sechsmonatigen Kurzarbeit im Tourismus nicht durchkommen ist klar. Wir brauchen zumindest eine Verlängerung bis zum ersten Quartal 2021."

Internationale Besucher fehlen

Denn fehlen würden - wohl auch im Sommer - die internationalen Besucher. Immerhin betrage der Anteil der Auslandsgäste in Wien 83 Prozent. Somit seien aktuell andere Schwerpunkte nötig: "Wir machen derzeit etwa eine Art Vivisektion in der Hotellerie, wir teilen die Funktionen." Man trete dabei als eine Art Clearingstelle für die verschiedenen Bereiche, also Übernachtung, Essen oder Meetings auf. Größere Konferenzräumlichkeiten könnten nämlich, so betonte er, auch für heimische Firmen interessant sein, die für Treffen Lokalitäten suchen, in denen der nötige Abstand gewahrt werden kann.

Auch in Sachen Inlandsgäste gebe es, gemeinsam mit der Österreich-Werbung, Aktivitäten, berichtete Kettner. Man wolle auch Kunstinteressierte ansprechen, da zumindest bildende Kunst wieder konsumiert werden könne. Die großen Erlöse seien aber jedenfalls nicht zu erwarten, befürchtet er: "Die Kategorie profitabel ist außer Kraft gesetzt." Was man keinesfalls tun werde: Damit werben, dass in der Stadt nun viel weniger Menschen unterwegs sind. "Das werden wir nicht machen. Der Normalzustand einer Stadt ist, dass sie auch manchmal voll ist. Ich hab kein großes Verständnis für vorindustrielle Fantasien wie toll die Stadt ist, wenn sie leer ist und wie toll es ist, wenn keine Flugzeuge am Himmel zu sehen sind. Alle die hier jetzt besonders laut sind, werden sich bald wünschen, dass wieder Flugzeuge zu sehen sind."

Klare Ansagen von der Politik gefordert

Von der Politik im Bund fordert Kettner "klare Ansagen". Mit solchen könne die Wirtschaft umgehen, versicherte er. Man stelle sich auf Maßnahmen ein, es sei jedoch nötig, mit der "Schreckenssalami" aufzuhören. Stattdessen müsse Klartext über den Zeitraum nach dem Sommer geredet werden. Denn man gehe davon aus, dass es im Herbst zum Beispiel keine großen Kongresse gebe werde. Diese könnten aber vorerst noch keine Absage tätigen, da es formal dafür noch keinen Grund gibt.

"Also bitte Klarheit und eine längere Perspektive - und dann auch klar dazusagen, wie überleben wir bis zum 1. Jänner 2021", urgierte der Tourismusdirektor: "Wir sind keine Obskuranten, die Wirtschaft steht zum großen Teil hinter den Maßnahmen. Aber jetzt kommen wir aus der Phase raus, wo es reicht, jeden Tag nach dem Motto 'Darfs ein bissl mehr sein' Maßnahmen zu verkünden. Jetzt muss man eine realistische und auch optimistische Perspektive bieten." Auch wenn natürlich selbstverständlich sei, dass die Gesundheit über allem stehe, fügte er hinzu.

Wiener Touristiker gegen Sonntagsöffnung

Skeptisch äußerte er sich zu aktuellen Vorstößen in Sachen Sonntagsöffnung - auch wenn er diese selbst immer wieder gefordert hat: "Im Gesamtgefüge glaube ich nicht, dass man sich in der Bevölkerung damit viele Freunde macht." Es würde jene treffen, die jetzt schon gearbeitet hätten, nämlich mit der Maske und zum Teil ohne Kinderbetreuung, gab Kettner zu bedenken: "Dieser Bevölkerungsgruppe, die nicht die Zeit gehabt hat, 17 Brotsorten zu backen, denen zu erklären, geht's bitte am Sonntag arbeiten, würde ich mich nicht trauen."

"Ich glaube nicht, dass man da in der Bevölkerung Konsens zusammenbringt. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man in Katastrophenzeiten durch die Hintertür eigene Agenden durchbringen sollte", sagte er. Wenn sich die Welt wieder normalisiert habe, könne man etwa über eine Sonntagsöffnung in der Innenstadt wieder reden.

Dass die Normalisierung bald eintritt, glaubt er jedoch nicht: "Wir werden uns bald freuen über Diskussionen, dass zu viele Menschen im ersten Bezirk sind. Weil die werden wir jahrelang nicht haben." Wobei er nicht davon ausgeht, wie er betont, dass der Tourismus langfristig in Mitleidenschaft gezogen wird: "Reisen ist ein Grundbedürfnis, der Mensch wird reisen wollen." Eine Rückkehr auf das frühere Niveau werde es aber nicht vor 2023 geben, vermutete er.

(APA/red)

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